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Flüchtlinge
"Wir haben uns nicht fremd gefühlt"

Wie leben Flüchtlinge in Deutschland? Mayssoun Al-Khlaif, von Beruf Apothekerin, ist vor einem Jahr aus Damaskus geflohen. Im Deutschlandfunk erzählt sie, wie sie und ihre Familie in Bad Wimpfen am Neckar willkommen geheißen wurden - und dort ein verlorenes Gefühl wieder aufkommt.

Mayssoun Al-Khlaif im Gespräch mit Christine Heuer | 24.12.2014
    Eine Gläubige hält eine brennende Kerze.
    Im Christentum bringt die Kerze Licht und damit Leben - von einem sicheren Leben in Deutschland berichtet ein syrischer Flüchtling. (dpa / Armin Weigel)
    Ihr erster Eindruck von Deutschland war die Abwesenheit von Krieg: Am Neckar in Bad Wimpfen habe sie sich sicher gefühlt, wenn auch nicht sorgenfrei. Sich in einer Fremdsprache zu verständigen, sei zunächst schwierig gewesen. Die Einwohner hätten ihr und ihrer Familie geholfen, Deutsch zu lernen. "Wir haben uns nicht fremd gefühlt." Am wichtigsten sei für sie gewesen, dass ihre Kinder wieder ohne Angst in die Schule gehen konnten - anders als in Damaskus: "Da wir Christen sind, haben wir immer in Angst vor Übergriffen gelebt."
    Ein Rückkehr nach Syrien könne sie sich momentan nicht vorstellen, sagte Khlaif. "Die Situation ist leider immer noch schlimmer geworden," habe sie von ihren Eltern erfahren, die noch in Damaskus leben. Heizöl, Strom, Gas zum Kochen, Wasser - all das gebe es dort nicht mehr. Lebensmittel seien sehr teuer. Jeden Tag fielen Bomben. "Man geht aus dem Haus und weiß nicht, ob man zurückkommt."
    An Weihnachten gehe sie mit ihrer Familie in die Kirche, werde daheim einen Baum aufstellen - und "die Kinder singen Weihnachtslieder in Deutsch".

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Heuer: Wunder gibt es immer wieder, zum Beispiel in Bad Wimpfen. Dort hat ein syrisch-deutsches Arztehepaar fast 30 Verwandte aus Damaskus aufgenommen, auf eigene Faust, um sechs Familien mit Touristenvisa und Bürgschaften vor dem möglichen Tod in Syrien zu retten. Ganz allein konnten Bassam Al-Khouri und seine Frau Christiane Krestel-Al-Khouri das natürlich nicht stemmen, Bürgermeister und Pfarrerin halfen dabei, den ganzen Ort für die christlichen Flüchtlinge zu mobilisieren. Es wurde Geld gespendet, Möbel, Kleidung, Artikel des täglichen Bedarfs, mittlerweile wohnen Al-Khouris zahlreiche Verwandte in eigens angemieteten Häusern, eine pensionierte Lehrerin aus Berlin unterrichtet sie in der deutschen Sprache, manche haben Arbeit gefunden, die Kinder gehen zur Schule. Einer der Bad Wimpfener Flüchtlinge ist jetzt am Telefon, Mayssoun Al-Khlaif, 36 Jahre alt, Apothekerin von Beruf und seit einem Jahr in Bad Wimpfen im Kreis Heilbronn. Guten Morgen, Frau Al-Khlaif!
    Mayssoun Al-Khlaif: Guten Morgen!
    Heuer: Was war Ihr erster Eindruck, als Sie nach Deutschland gekommen sind?
    Al-Khlaif: Das war ... Die Situation in Syrien war sehr schlecht, und als ich nach Deutschland gekommen bin, das war alles die Sicherheit. Ich habe Sicherheit gefühlt.
    Heuer: Waren Sie vorher schon mal in Deutschland gewesen?
    Al-Khlaif: Nein, das ist das erste Mal.
    Heuer: Dann war es aber recht kühl im Dezember letzten Jahres, oder?
    Al-Khlaif: Ja.
    Heuer: Ich frage deshalb, weil, das muss sich ja auch fremd angefühlt haben für Sie!
    Deutsch lernen mit Hilfe der Einheimischen
    Al-Khlaif: Ja, zu Beginn hier in Bad Wimpfen war es schwierig Deutsch zu sprechen, als Fremdsprache. Deshalb haben wir aber einen Deutschkurs gemacht und die Leute in Bad Wimpfen waren sehr hilfsbereit, sie haben uns zu Hause Unterricht gegeben und sind zu uns auch gekommen, um zu helfen.
    Heuer: Also, Sie sind freundlich aufgenommen worden. War da an keiner Stelle Misstrauen oder etwas Negatives auch, was Ihnen begegnet ist?
    Al-Khlaif: Als wir in Bad Wimpfen ankamen, haben wir uns in Sicherheit gefühlt. Schwierig war die Sprache, aber nicht mehr. Weil besonders ... Die Pfarrerin der evangelischen Gemeinde hat die Gemeindemitglieder gebeten, uns zu helfen, und viele haben dadurch Kontakt zu uns aufgenommen. Auch wenn die Leute auf der Straße, sie schauen mich immer an und begrüßen mich und lächeln, obwohl ich fremd bin.
    Heuer: Ist das, weil die Bad Wimpfener besonders freundlich sind oder, weil Sie da so gut eingebettet sind mit Ihrer Familie?
    Al-Khlaif: Ja, die waren sehr gut, sehr freundlich.
    Heuer: Frau Al-Khlaif, was war denn ganz konkret die wichtigste Hilfe für Sie, als Sie herkamen?
    Al-Khlaif: Wir haben uns nicht fremd gefühlt. Und mit vielen Sachen wurde unserer Familie auch geholfen, mit Deutschunterricht ...
    Heuer: Mit Gegenständen, mit Deutschunterricht, mit Gegenständen ...
    Al-Khlaif: Genau, mit Deutschunterricht, das ist am wichtigsten. Denn wenn man die Sprache kann, dann ist alles einfach.
    Heuer: Und Sie haben jeden Tag Kontakt zu den Menschen da in Bad Wimpfen, zu denen, die mit Ihnen in dieser 6.000-Seelen-Gemeinde wohnen?
    Al-Khlaif: Ja, sie kommen zu uns nach Hause, um zu helfen, und wir haben jeden Tag Kontakt mit vielen Menschen. Und jetzt habe ich viele Freunde hier in Bad Wimpfen.
    Heuer: Was ist in Ihrem neuen Leben hier das Wichtigste für Sie?
    Leben ohne Angst um das eigene Leben
    Al-Khlaif: Das Wichtigste für mich ist, dass meine Kinder wieder ohne Angst in die Schule gehen konnten. Und wir führen auch ein normales Leben. Und am wichtigsten ist, dass ich in meinem Beruf hier in Deutschland arbeiten kann, als Apothekerin. Dazu brauche ich das Sprachniveau B2 und ... Ja.
    Heuer: Arbeiten Sie schon oder haben Sie etwas in Aussicht?
    Al-Khlaif: Nein, ich habe noch nicht gearbeitet.
    Heuer: Wie geht es denn in den nächsten Monaten weiter für Sie in Deutschland, welche konkreten Pläne haben Sie?
    Al-Khlaif: Vielleicht gibt es ein Projekt ... Wir haben im Januar die Möglichkeit, nach Berlin und gehen, wo ich meine Sprachkenntnisse verbessere und erst einmal ein Praktikum in einer Apotheke machen kann.
    Heuer: Und da können Sie dann vielleicht auch Fuß fassen dauerhaft?
    Al-Khlaif: Ja, ich hoffe das.
    Heuer: Das wäre die Hoffnung, genau. Dürfen Sie denn in Deutschland bleiben? Sie sind ja mit Touristenvisa eingereist, das ist anders, als wenn der Staat Flüchtlinge aufnimmt. Was sagen da die Behörden?
    Al-Khlaif: Das weiß ich nicht. Wir dürfen nur zwei Jahre hier bleiben, aber es ist möglich, dass wir vielleicht auch noch mehr hier bleiben, in Deutschland.
    Heuer: Wollen Sie zurück nach Syrien?
    Al-Khlaif: Jetzt nicht, denn die Situation ist leider immer noch schlimmer geworden. Wenn ich mit meinen Eltern spreche, über Skype, sagen sie, dass das Wetter sehr kalt ist und es gibt kein Heizöl, keinen Strom, kein Gas zum Kochen, kein Wasser, und es gibt noch viele Bomben jeden Tag. Und alle Lebensmittel sind teuer. Und man geht aus dem Haus und weiß nicht, ob man zurückkommt. Und wir können uns auch nicht jeden Tag erreichen über Skype oder über Festnetz, denn es gibt nicht viel Strom.
    Sorge um die Eltern in Syrien
    Heuer: Sie müssen große Angst haben um Ihre Eltern.
    Al-Khlaif: Ja, immer, jeden Tag. Und meine Kinder weinen auch, sie wollen auch Opa und Oma sehen und so. Ja, das ist sehr schwierig.
    Heuer: Besteht da eine Chance?
    Al-Khlaif: Leider jetzt nicht, keine Chance.
    Heuer: Wie groß ist Ihr Heimweh?
    Al-Khlaif: Sehr viel, sehr viel, ja. Ich vermisse meinen Papa und meine Mama, jeden Tag, und auch drei Brüder in Damaskus. Ich habe jeden Tag Angst und ich bete, dass sie gesund bleiben. Ich hoffe, sie können nach Deutschland kommen. Da wir Christen sind, haben wir immer in Angst vor Übergriffen gelebt.
    Heuer: Vor wem haben Sie eigentlich mehr Angst, wenn Sie in Syrien sind oder wenn Sie jetzt an Ihre Familie denken? Vor den Regierungstruppen oder vor den Rebellen?
    Al-Khlaif: Beides.
    Heuer: Ist beides gleich schlimm?
    Al-Khlaif: Ja.
    Heuer: Frau Al-Khlaif, unter welchen Umständen würden Sie denn nach Hause zurückkehren, wie müsste die Situation in Syrien sein, damit Sie sagen können, ich gehe mit meiner Familie zurück in dieses Land, das ich ja eigentlich vermisse, weil ich da herkomme und dort zu Hause bin?
    Krieg wird immer schlimmer
    Al-Khlaif: Vielleicht komme ich jetzt nach Syrien zu Besuch, aber nicht mehr. Wenn der Krieg andauert, kann ich nicht nach Syrien zurückkommen.
    Heuer: Der Krieg muss aus sein, die Waffen müssen schweigen.
    Al-Khlaif: Genau. Der Krieg wird auch leider immer schlimmer und es gibt kein Ende oder keine Lösungsmöglichkeit oder so, ja.
    Heuer: Sie haben mehrfach erwähnt und ich habe das auch in der Moderation gesagt, Sie sind Christin. Wie feiern sie Weihnachten dieses Jahr?
    Kinder singen Weihnachtslieder auf Deutsch
    Al-Khlaif: Dieses Jahr ist es schön in Deutschland. Wir gehen alle, die ganze Familie, in die Kirche und mein Mann und ich haben einen Tannenbaum für meine Kinder gemacht, in meiner Wohnung. Und wir gehen in die Kirche und danach gehen wir zu meinem Schwager, Bassam Al-Khouri und seine Frau Christiane, nach Hause und essen und trinken und legen Geschenke unter den Baum und singen auch Weihnachtslieder. Die Kinder singen Weihnachtslieder auf Deutsch.
    Heuer: Zum Beispiel?
    Al-Khlaif: "O Tannenbaum"! Das ist sehr schön!
    Heuer: Und Ihre ganze, ganze große Familie, der Teil, der in Bad Wimpfen ist, der ist dann heute Abend zusammen.
    Al-Khlaif: Ja.
    Heuer: Das ist schön. Frau Al-Khlaif, ich wünsche Ihnen allen schöne Weihnachten und alles Gute!
    Al-Khlaif: Danke schön! Wiederhören!
    Heuer: Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.