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Flüchtlingsabkommen
Schwachstellen liegen in der EU

Durch das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei ist die Zahl der Migranten in der EU gesunken. Auch wenn es juristisch und moralisch umstritten ist, funktioniert es also im Wesentlichen. Dass es an manchen Stellen hapert, liegt an einigen EU-Staaten - nicht an der Türkei.

Von Sebstian Schöbel | 26.11.2016
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede in Ankara
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede in Ankara (picture alliance/ dpa/ Turkish President Press Office)
    Im Kern ist das EU-Türkei-Abkommen ein komplexes Tauschgeschäft: Die Türkei nimmt alle Flüchtlinge, die von ihrem Staatsgebiet in die EU kommen, zurück. Für jeden Syrer, der auf diese Weise in die Türkei zurückgeführt wird, darf ein anderer Syrer aus einem türkischen Flüchtlingslager in die EU einreisen. Im Gegenzug co-finanziert die EU die Unterbringung der syrischen Flüchtlinge in der Türkei.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte nach der Unterzeichnung des Vertrages: "Damit wollen wir dieses unmenschliche Schleusermodell beenden und auch die Außensicherung der Grenze wieder durchsetzen."
    Und das hat zumindest für die Flüchtlingsroute zwischen der Türkei und Griechenland funktioniert. Gut einen Monat nach der Unterzeichnung des Abkommens lobte Ratspräsident Donald Tusk bei einem Türkei-Besuch.
    Die Flüchtlingsroute über die Ägäis ist de facto zu. Kamen 2015 an manchen Tagen noch mehrere Tausend Menschen, sind es inzwischen weniger als 100. Rund 2.200 Syrer wurden seit dem Abkommen direkt aus der Türkei in die EU umgesiedelt - die meisten, rund 760, nach Deutschland. Gleichzeitig fließt das von der EU im Türkei-Abkommen versprochene Geld: Über zwei Milliarden Euro wurden bereits fest verplant, davon über 600 Millionen Euro ausgezahlt.
    Schulz: "Die Türkei ist wenigstens ein Land, das sich in diesen Fragen bewegt"
    Der Türkei-Deal: juristisch und moralisch umstritten, in der Praxis aber erfolgreich. Trotzdem setzen einige Länder, darunter auch die Bundesrepublik, weiter die Schengen-Regeln aus und kontrollieren ihre Grenzen. Denn die Schwachstelle der Flüchtlingskrise ist nicht die Türkei, sondern die EU. In der langen März-Nacht, in der das Abkommen ausgearbeitet wurde, trat EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vor die Kameras und war sichtlich verärgert, dass die Türkei als schlechter Partner in der Flüchtlingsfrage kritisiert wurde - teilweise sogar von einigen europäischen Regierungschefs. "Denn die Türkei ist wenigstens ein Land, das sich in diesen Fragen bewegt und mit uns diskutiert. Es gibt hier Länder, die bewegen sich überhaupt nicht."
    Weil sie keine oder zu wenige von den Flüchtlingen aufnehmen, die bereits in Italien und Griechenland sind und zum Teil unter erbärmlichen Bedingungen hausen. Von den 160.000 Flüchtlingen, die man mal auf die gesamte EU verteilen wollte, haben Stand heute nur knapp 7.000 eine neue Heimat gefunden. Länder wie Polen, Ungarn, die Slowakei und Dänemark verweigern sich sogar komplett. Auf den griechischen Inseln platzen derweil die Aufnahmelager aus allen Nähten - auch, weil die Asylprüfungen zu lange dauern. Der Grund: Es fehlt an Personal, vor allem an Asylexperten. In dieser Situation nun droht der türkische Präsident damit, das Flüchtlingsabkommen aufzukündigen. Ob er es ernst meint, bleibt abzuwarten, auf die dann ausbleibende finanzielle Hilfe würde er sicherlich nur ungern verzichten. Doch klar ist auch: Die Europäer wären auf eine neue Migrationswelle deutlich schlechter vorbereitet.