Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Flüchtlingsaufnahme
"Es ist ja kein Ende in Sicht"

Gestern 950 Flüchtlinge, heute Morgen schon 250: In der bayerischen Grenzgemeinde Wegscheid bei Passau seien die Bedenken und Ängste groß, sagte Bürgermeister Joseph Lampertstorfer, im Deutschlandfunk. Ungeklärt seien immer noch die Lage am Wohnungsmarkt, die Integration und die Finanzierung durch den Steuerzahler.

Joseph Lampertstorfer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 13.10.2015
    Flüchtlinge auf dem Weg von Österreich nach Bayern. Ein Schild weist den Weg nach Deutschland.
    Flüchtlinge auf dem Weg von Österreich nach Bayern. Ein Schild weist den Weg nach Deutschland. (picture alliance / dpa / Armin Weigel)
    "Österreich nimmt das Dublin-Abkommen überhaupt nicht ernst." Die Flüchtlinge seien von Wien an die Grenze zu Deutschland gefahren und informiert worden, wie sie über die Grenze gelangen. Eine Registrierung finde nicht statt. Nötig sei ein Machtwort von Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Deutschland muss jetzt mal konsolidieren, wie man so schön sagt."
    Es gebe noch keine Antworten auf die zunehmenden Ängste in der Bevölkerung, die fehlenden Wohnungen, die Integration der vielen Asylsuchenden und die fehlende Finanzierung der Betreuungskosten. "Da kann das sicher nicht sein, dass wir keinerlei Steuererhöhungen haben", sagte Lampertstorfer. "Es hat ja auch bei der Einheit geheißen, wir brauchen keine und dann sind sie doch gekommen."

    Das Interview mit Joseph Lampertstorfer in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Verlassen wir die bundespolitische Ebene, bleiben aber in der CSU und blicken nach Wegscheid bei Passau, direkt an der Grenze. Gut 5.000 Einwohner hat Wegscheid und jeden Tag kommen dort hunderte Flüchtlinge über die Grenze nach Deutschland. Am Telefon begrüße ich Joseph Lampertstorfer, den Ersten Bürgermeister von Wegscheid. Guten Morgen, Herr Lampertstorfer.
    Joseph Lampertstorfer: Guten Morgen!
    Dobovisek: Herr Mayer ist ja gerade deutlich geworden und hat gesagt, Transitzonen würden eine enorme Entlastung der Kommunen bedeuten. Sehen Sie das auch so?
    Lampertstorfer: Das auf jeden Fall, weil es kann ja nicht so weitergehen. Gestern waren bei uns zum Beispiel 950 Flüchtlinge. Heute sind bereits jetzt in der Früh wieder 250 Flüchtlinge, die noch in Österreich übernachtet haben, hier dementsprechend auf dem Weg zu uns. Und man muss wirklich sagen, Österreich nimmt das Dublin-Abkommen überhaupt nicht ernst, weil es wird keinerlei Registrierung gemacht. Die Flüchtlinge werden direkt von Wien an die Grenze, an den Nachbarort in Österreich nach Kollerschlag gefahren und dort dementsprechend ihnen aufgezeigt, wie sie nach Wegscheid kommen, also nach Deutschland.
    Dobovisek: Sozusagen auf Einladung der Kanzlerin, könnte man sagen.
    Machtwort von Merkel erforderlich
    Lampertstorfer: Könnte man schon sagen, ganz klar, wobei hier einfach ein Machtwort unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel unbedingt erforderlich ist.
    Dobovisek: Moment! Da möchte ich noch mal einhaken. Machtwort, um den Zustrom zu stoppen? In welcher Form wünschen Sie sich dieses Machtwort?
    Lampertstorfer: Ja, dass man mal sagt, Leute, Deutschland muss jetzt einmal konsolidieren, wie man so schön sagt. Es kann nicht so weitergehen. Weil es sind natürlich auch Ängste dementsprechend in der Bevölkerung da, wenn man sieht, es ist ja nicht nur Wegscheid, sondern Neuhaus, Simbach, Freilassing und Züge, die tagtäglich mit Flüchtlingen kommen. Und wenn man nur rechnet finanziell, wenn man sagt, eine Million Flüchtlinge, ein Flüchtling kostet im Monat mindestens tausend Euro - das ist sicher noch tiefgegriffen -, dann sind das eine Milliarde pro Monat. Und dann kann das sicher nicht sein, dass wir hier keinerlei Steuererhöhungen und so weiter haben.
    Dobovisek: Also brauchen wir Steuererhöhungen?
    Lampertstorfer: Bitte?
    Dobovisek: Also brauchen wir Steuererhöhungen?
    Höhere Steuern wohl nötig
    Lampertstorfer: Wahrscheinlich schon! Es hat ja auch bei der Einheit geheißen, wir brauchen keine, und dann sind sie doch gekommen. Weil der zweite Punkt sind natürlich die Wohnungen. Wir brauchen dann für eine Million Flüchtlinge Wohnungen, und die, glaube ich, haben wir in unseren Städten und selbst auf dem Land sicher nicht. Und der dritte Punkt: Eine Integration ist natürlich bei solchen Massen umso schwieriger, und wir wollen sicher keine Parallelgesellschaften in Deutschland.
    Dobovisek: Nun bleiben die Flüchtlinge ja nicht in Wegscheid. Wie groß ist die Belastung für Ihre kleine Gemeinde?
    Lampertstorfer: Gut, die Belastung ist zurzeit nicht allzu groß, weil das Ganze ist eingerichtet worden Samstag/Sonntag. Da war natürlich die Belastung schon dementsprechend. Da ist Feuerwehr mit eingebunden, Bauhof, das Landratsamt natürlich. Zurzeit läuft es hauptsächlich über die Bundespolizei. Dann die Bundeswehr mit dem roten Kreuz versorgt die Flüchtlinge und das Landratsamt muss natürlich immer wieder versuchen, Not-Übernachtungsmöglichkeiten zu bekommen, weil Passau zum Beispiel überlastet ist.
    Dobovisek: Das bedeutet für die Menschen in Ihrer Gemeinde in Wegscheid? Was sagen die zu den vielen Flüchtlingen, die durch Wegscheid kommen?
    "Flüchtlingsstrom reißt eigentlich nicht ab"
    Lampertstorfer: Ja gut, durch Wegscheid kommen sie nicht. Es geht vorbei an Wegscheid, also im Gewerbegebiet. Aber trotzdem: Diese Bedenken sind natürlich da. Die sehen, hier sind Unmengen an Flüchtlingen, und jetzt hat man sie tatsächlich vor Ort. Sonst sieht man sie normal bloß in der Presse beziehungsweise im Fernsehen und hier sind sie unmittelbar vor Ort, und dann sagt man schon, wie soll das weitergehen. Weil es ist ja kein Ende in Sicht. Es ist zurzeit bis Ende November voraussichtlich Kollerschlag geöffnet. Das ist eine Schützenhalle, wo die Flüchtlinge übernachten können im Notfall. Aber dann, nach dem Zeitpunkt weiß keiner, wie es weitergeht, und ich glaube, der Flüchtlingsstrom reißt eigentlich nicht ab.
    Dobovisek: Joseph Lampertstorfer, für die CSU Bürgermeister von Wegscheid bei Passau. Heute treffen sich die Unions-Innenpolitiker des Bundestages mit der Kanzlerin, um über die Flüchtlinge zu beraten. Ich danke Ihnen.
    Lampertstorfer: Bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.