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Flüchtlingsberater
"Am wichtigsten ist das Gefühl, angekommen zu sein"

Wenn haupt- und ehrenamtliche Flüchtlingshelfer gut zusammenarbeiten, wird es gelingen, die Krise zu bewältigen, sagte der syrische Flüchtlingsberater K.N.* im Deutschlandfunk. Am dringendsten benötigten die Menschen das Gefühl, angekommen zu sein - und angenommen zu sein.

K.N.* im Gespräch mit Christine Heuer | 23.12.2015
    Ein herzliches "Willkommen" gilt den Flüchtlingen an vielen Orten in Deutschland - in Jugenheim bei Mainz hat man sich schon vor ihrer Ankunft viele Gedanken gemacht.
    Ein herzliches "Willkommen" gilt den Flüchtlingen an vielen Orten in Deutschland - in Jugenheim bei Mainz hat man sich schon vor ihrer Ankunft viele Gedanken gemacht. (dpa / picture alliance / Friso Gentsch)
    Der Flüchtlingsberater K.N.* würdigte das Engagement der ehrenamtlichen Helfer. Durch ihren Einsatz trügen sie wesentlich dazu bei, dass sich Flüchtlinge willkommen fühlten. Das helfe ihnen, auch innerlich anzukommen. Dieses Gefühl sei das dringendste, was die Flüchtlinge nach ihrer langen Reise brauchten: "Das Gefühl, dass sie auf deutschem Boden in Frieden leben können, und dass ihre Kinder auf Spielplätzen spielen können."
    K.N. stammt selbst aus Syrien. Im nordrhein-westfälischen Gummersbach arbeitet er für die Kirche als Flüchtlingsberater. Außerdem koordiniert er für die Stadt die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit.
    Nach seiner Erfahrung stießen sich viele Neuankömmlinge zunächst an Wertvorstellungen, die in Deutschland anders seien als in ihren Heimatländern. In der Beratungsstelle verteile er deshalb das Grundgesetz auf Arabisch. Aber das reiche nicht aus. "Man muss mit den Flüchtlingen reden. Man muss ihnen erzählen, wie lange Deutschland für diese Werte gekämpft hat." Für viele Flüchtlinge werde damit auch ein Traum wahr: dass die Würde des Menschen unantastbar ist.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Wir schaffen das, Obergrenze, Willkommenskultur, Passrisiko, Einzelfallprüfung, zuletzt der Flüchtlingssoli - die deutsche Flüchtlingsdebatte hat viele Schlagworte erzeugt. Den Flüchtlingen selbst hilft keines davon weiter. Am Tag vor Weihnachten möchten wir - nicht zum ersten und ganz sicher auch nicht zum letzten Mal - den Blick wieder auf die Menschen lenken, über die hierzulande so viel gesprochen und gestritten wird: die Flüchtlinge. Was brauchen sie? Wie fühlen sie sich aufgenommen? Wie kann ihre Integration gelingen? Fragen jetzt an K.N. Der christliche Syrer ist vor fünf Jahren als Wirtschaftsstudent nach Deutschland gekommen. Seit einem Jahr arbeitet er in der Flüchtlingsberatungsstelle des Kirchenkreises an der Agger und er koordiniert die ehrenamtliche Flüchtlingshilfe für die Stadt Gummersbach hier in Nordrhein-Westfalen in der Nähe von Köln. Seien Sie gegrüßt, Herr K.N.
    K.N.: Danke schön.
    Heuer: In welchem Zustand sind die Flüchtlinge, die bei Ihnen ankommen, nach dem langen Weg, den sie zurückgelegt haben?
    K.N.: Die Flüchtlinge kommen sehr erschöpft. Sie freuen sich aber sehr, angekommen zu sein in Deutschland. Hier wissen sie, dass sie ein menschenwürdiges Leben als schutzbedürftige Menschen haben können.
    Heuer: Sie arbeiten jeden Tag mit Flüchtlingen. Sie haben selbst Familienangehörige aus Syrien nachgeholt. Was berichten Ihnen die eigene Familie, aber auch die Menschen, die Sie da neu kennenlernen, über ihre Flucht?
    K.N.: Die Flüchtlinge berichten, aufgrund ihrer Religion oder Volkszugehörigkeit wurde ihnen das Existenzrecht abgelehnt.
    In einem fremden Land innerlich ankommen
    Heuer: Arbeiten Sie vorrangig mit syrischen Flüchtlingen, oder haben Sie viele gemischte Nationalitäten in Gummersbach?
    K.N.: Zurzeit kommen die meisten Flüchtlinge aus Syrien und aus dem Irak. Ich spreche aber von diesem Zeitraum. Am Anfang des Jahres kamen viele Asylsuchende aus den Westbalkan-Ländern. Das hat sich im Laufe der Zeit geändert.
    Heuer: Die Syrer, die Iraker, von denen Sie gesprochen haben, was brauchen diese Menschen im Moment am dringendsten?
    K.N.: Sie brauchen das Gefühl, angekommen zu sein, angenommen zu sein. Sie brauchen das Gefühl, dass hier auf deutschem Boden sie in Frieden leben dürfen, dass ihre Kinder hier ruhig auf dem Kinderspielplatz spielen können und dass sie hier, wie ich gesagt habe, einen neuen Anfang haben können, ohne konfessionelle Spannung, ohne Ablehnung des Existenzrechtes.
    Heuer: Fühlen sich die Flüchtlinge denn in Deutschland gut aufgenommen? Wir haben ja eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, dass so viele Menschen zu uns kommen. Hat sich das Klima da verschärft?
    K.N.: Durch meine Arbeit in der Flüchtlingsberatungsstelle merke ich, wie viele ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sich einbringen, um Flüchtlingen zu helfen. Durch ihren Einsatz fühlen sich Flüchtlinge willkommen und das hilft ihnen auch, hier in einem fremden Land innerlich anzukommen.
    Heuer: Sie helfen den Menschen dabei. Ganz konkret: Was heißt das? Was tun Sie jeden Tag?
    K.N.: Ich helfe den Menschen, hier zurechtzukommen in einem fremden Land. Ich helfe ihnen, die deutsche Sprache zu erwerben. Ich helfe ihnen und erkläre, wo sie Hilfe bekommen. Und ich helfe auch, dass Hilfsangebote umgesetzt werden.
    "Die Verteilung des Grundgesetzes auf Arabisch reicht nicht aus"
    Heuer: Wie wichtig ist es dabei, dass sie beide Kulturen kennen? Oder anders gefragt: Wie fremd fühlen sich Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, am Anfang?
    K.N.: Es ist nicht einfach, in einem Land anzukommen, wo man die Sprache nicht versteht. Deshalb setze ich mich ein, dass die Flüchtlinge so schnell wie möglich die deutsche Sprache erwerben. Das ist ja das Gelbe vom Ei. Hier in Deutschland gibt es andere Wertevorstellungen als in den Heimatländern der Flüchtlinge und ich habe mehrmals beobachtet, wie Flüchtlinge manchmal an Grundwerte der deutschen Gesellschaft stoßen, wie zum Beispiel Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichstellung von Frau und Mann. Aber dafür ist die Flüchtlingsberatungsstelle da, um ihnen zu helfen, auch hier zurechtzukommen.
    Heuer: Es gibt eine Debatte in Deutschland auch darüber, wie leicht ist es eigentlich, muslimische Flüchtlinge zu integrieren. Merken Sie denn bei Ihrer Arbeit, dass Sie tatsächlich Menschen mit anderen Wertvorstellungen als die, die wir hier leben, dass Sie denen mit Ihrer Hilfe über diese Hürde hinweghelfen können?
    K.N.: In der Beratungsstelle verteilen meine Kollegen und ich das Grundgesetz auf Arabisch. Wir versuchen, durch diese Arbeit den Flüchtlingen mitzuteilen: Damit wir hier ein friedliches Zusammenleben haben können zwischen den Einheimischen und den neuen Nachbarn, muss man die Grundwerte der deutschen Gesellschaft achten. Aber die Verteilung des Grundgesetzes auf Arabisch reicht nicht aus. Man muss mit den Flüchtlingen reden, ganz einfach in einer Runde darüber sprechen, wie lange hat Deutschland gekämpft, damit jeder hier, ob Frau oder Mann, gleiche Rechte hat, wie lange hat Deutschland gekämpft, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, und was für den Flüchtling ein Traum war, ist eine Wahrheit geworden. Hier befindet er sich in einem Land, wo die Würde des Menschen unantastbar ist.
    Heuer: Aber trotzdem sagen Sie, man muss darüber reden, man muss das nahebringen, wie hier gelebt wird. Nehmen die Flüchtlinge das an?
    K.N.: Ich sehe zum großen Teil, dass viele Flüchtlinge hier wirklich einen neuen Anfang suchen. Früher gab es konfessionelle Spannung zwischen Religionen und Konfessionen, zum Beispiel in Syrien oder im Irak, aber ich sehe hier, wir wollen nicht mehr mit anderen Konfessionen als Feinde reden, sondern zusammen hier in Frieden leben. Und die Bereitschaft, einen neuen Anfang zu haben, macht es für mich viel leichter, ihnen andere Wertvorstellungen beizubringen.
    "Ich sehe eine große Hilfsbereitschaft"
    Heuer: Was vor allem müssen denn die Deutschen beitragen, nicht nur die aktiven Helfer, sondern die Gesellschaft insgesamt, damit die Flüchtlinge, die zu uns kommen, tatsächlich auch ankommen in unserem Land?
    K.N.: Ich bin beeindruckt, wie oft ich Anrufe bekomme von Menschen, die mir erzählen, dass ihre Großeltern oder Eltern nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Flüchtlinge waren. Eine ältere Dame berichtet zum Beispiel von ihrer Flucht vom ehemaligen Ostpreußen nach Deutschland. Sie sagte, ich bin angekommen in einem Land, wo man auch Deutsch spricht, aber die Berichte von Vertreibung und Gewalt sind gleich. Und genau weil sie oder ihre Kinder Erfahrungen mit dem Thema Flucht gemacht haben und weil sie genau wissen, was bedeutet es, vertrieben zu sein, dann haben sie entschieden, wir wollen helfen. Ich sehe eine große Hilfsbereitschaft. Ich erlebe auch, wie viele Menschen im Namen der Nächstenliebe sich einbringen, und das hilft auch den Hauptamtlichen, ihre Arbeit zu leisten. Das Jahr geht zu Ende und ich bin optimistisch, dass durch die Zusammenarbeit zwischen Ehrenamtlern und Hauptamtlern die Krise zu bewältigen uns gelingen wird.

    (*) Anmerkung: Name der Redaktion bekannt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.