Mittwoch, 24. April 2024

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Flüchtlingsdrama
"Die nationalen Regierungen versagen"

Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), hat den Innenministern der EU-Staaten vorgeworfen, kein echtes Interesse an der Bekämpfung von Schlepperbanden und dem Schutz von Flüchtlingen zu haben. "Man hört immer nur, es muss etwas geschehen, aber man hört nie, was geschehen ist", sagte er im DLF.

20.04.2015
    Alexander Graf Lambsdorff
    Alexander Graf Lambsdorff: "Das ist ein Vorwurf an Thomas de Maizière" (imago stock&people)
    Jasper Barenberg: Mitgehört hat Alexander Graf Lambsdorff, FDP-Politiker im Europaparlament in Brüssel. Schönen guten Morgen auch Ihnen.
    Alexander Graf Lambsdorff: Guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Ich habe eingangs den Papst zitiert. Franziskus fordert jetzt ja, entschieden und rasch zu handeln, damit sich solche Tragödien nicht wiederholen. Nun gibt es ein Treffen der Außenminister heute in Luxemburg. Es gibt ein Sondertreffen der Innenminister. Rechnen Sie damit, dass dort konkrete Schritte jetzt schon verabschiedet werden?
    Graf Lambsdorff: Herr Barenberg, ich wünschte, ich könnte Ihnen diese Frage mit einem klaren Ja beantworten. Allerdings: Man muss sich hier nur mal die Schlagzeilen aus dem Oktober 2013 vor Augen führen, nach der Katastrophe vor Lampedusa, wo fast 300 Menschen ums Leben gekommen sind. Es gab ein Sondertreffen der Außenminister, es gab ein Sondertreffen der Innenminister, es wurde erklärt, nunmehr tue man aber wirklich etwas. Und das, was Herr Bierdel hier eben angedeutet hat, dass hier eine Abwehrschlacht im Gange ist der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, das ist genau richtig. Ich bin da pessimistisch. Ich sehe den politischen Willen insbesondere in den Innenministerien der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union nicht.
    Barenberg: Gilt das auch und gerade für das deutsche Innenministerium, also ein Vorwurf an Innenminister Thomas de Maizière?
    Graf Lambsdorff: Das ist ein Vorwurf an Thomas de Maizière, der ja Innenminister geworden ist nach der Katastrophe von Lampedusa, der jetzt wieder vollmundig verkündet, man müsse die Schlepperbanden bekämpfen. Ich frage mich, was seit Lampedusa denn geschehen ist. Was ist denn konkret vom Bundesinnenministerium veranlasst worden? Ist beispielsweise der Bundesnachrichtendienst in die Lage versetzt worden, die Schlepperbanden zu bekämpfen? Welche Abteilungen des Bundeskriminalamtes sind international tätig im Verbund mit anderen für die Bekämpfung der Schlepperkriminalität? Ist da konkret was passiert? Man hört immer nur, es muss etwas geschehen, aber man hört nie, was geschehen ist.
    "Versagen des Innenministeriums"
    Barenberg: Liegt das möglicherweise auch daran, dass kaum etwas geschehen kann, wenn wir auf die Situation in Libyen schauen, auf einen zerfallenden Staat? Wie sollen da Schleuserbanden verfolgt werden?
    Graf Lambsdorff: Genau für solche Situationen haben wir einen Auslandsnachrichtendienst, den Bundesnachrichtendienst. Wenn Sie sich auf der Website des Nachrichtendienstes umschauen, finden Sie zur Schlepperkriminalität überhaupt nichts. Sie finden dort eine Reihe von wichtigen Aufgaben, das ist überhaupt keine Frage, aber das ist unser zentrales Instrument zur Ermittlung von Kriminalität im Ausland, zur Ermittlung von Bedrohungen gegen die Bundesrepublik Deutschland. Dort finden Sie zur Schlepperkriminalität nichts, und genau das ist der Punkt. Es wird wieder einen Gipfel geben, es wird wieder Schlagzeilen geben, es würde nunmehr aber wirklich etwas geschehen. Aber die Organisationen, die es gibt, die sind alle national. Es gibt nur nationale, und die werden von den entsprechenden nationalen Regierungen nicht in die Lage versetzt, tätig zu werden.
    Barenberg: Lassen Sie uns gleich auch über die Wichtigkeit sprechen, Menschenleben zu retten. Ich will noch einen Augenblick bei der Bekämpfung von Schleppern bleiben mit der Frage, wie wichtig das im Rahmen all dessen ist, was jetzt zu tun ist. Thomas de Maizière nennt das als einen Punkt, andere Mitglieder der Regierung tun das auch, der SPD-Chef Sigmar Gabriel, der Außenminister Frank-Walter Steinmeier, dass da ein Schwerpunkt liegen soll. Ist das richtig?
    Graf Lambsdorff: Das ist natürlich richtig, wenn denn etwas geschähe. Es geschieht aber nichts. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass Otto Schily - der war Innenminister, als Frontex gegründet wurde - oder Hans-Peter Friedrich, oder Thomas de Maizière in irgendeiner Weise mal eine Bilanz vorgelegt haben von tatsächlich erreichten Erfolgen in der Bekämpfung der Schlepperkriminalität. Hier haben wir ein Versagen sowohl des SPD-geführten Bundesinnenministeriums als auch des danach Unions-geführten Innenministeriums. Ein Ziel, das man ständig wieder ausgibt, ohne es jemals zu erreichen, das ist dann offensichtlich ein Scheitern, und ich glaube, hier muss sich grundlegend etwas ändern. Der politische Wille, genau gegen diese Kriminalität vorzugehen, muss steigen und es muss dann organisatorisch auch umgesetzt werden. Ich will aber auch eines sagen, Herr Barenberg, um das klar zu machen. Der eine Punkt, Schlepperbanden zu bekämpfen, wird sicher nicht das gesamte Problem lösen. Man muss auf die Ursprungsländer schauen, man muss die Ursachen bekämpfen, das ist genauso wichtig. Man muss auf die Transitländer schauen, da sind wir bei den Schlepperbanden, aber auch bei den Zielländern. Die Länder, in die die Flüchtlinge kommen, haben eine Verantwortung, mit den Menschen umzugehen, sie zunächst einmal zu retten, bevor man über die Frage von Aufnahme und weiteren Verfahren diskutiert.
    "Für eine legale Möglichkeit der Zuwanderung in die Europäische Union"
    Barenberg: Das alles kann ja bestenfalls mittel- und langfristig wirken. Was kann denn kurzfristig geschehen? Führt für Sie an der Wiederaufnahme dieser Operation Mare Nostrum, einer Seenot-Rettungsoperation, kein Weg vorbei?
    Graf Lambsdorff: Na ja. Mare Nostrum - und da sind wir erneut im selben Problem - war eine Operation, die ausschließlich Italien getragen hat. Es ist hier bemerkenswert, dass jetzt sehr viele darüber reden, hier handele es sich um ein Versagen Europas und die Europäische Union müsse mehr tun. Tatsache ist: Frontex hat einen Haushalt von circa 90 Millionen Euro pro Jahr. Unser deutsches Bundesinnenministerium beispielsweise hat einen Haushalt von sechs Milliarden Euro pro Jahr, also 6000 Millionen. "Mare Nostrum" ist genau dasselbe auf Italienisch. Die Italiener alleine werden gebeten, dort eine Rettungsaktion durchzuführen, weil man es europäisch nicht hinkriegt, nicht will. Frontex ist wie ein Feigenblatt, auf das die Regierungen zeigen und sagen, Europa versagt. Richtig ist: Die nationalen Regierungen versagen. Wenn Frontex nicht aufgestockt wird, dann wird Italien irgendwann auch Mare Nostrum wieder einstellen, so wie es das in der Vergangenheit schon immer getan hat.
    Barenberg: Ich möchte noch einen entscheidenden Punkt ansprechen, jedenfalls aus meiner Sicht. Die Flüchtlingsinitiative Watch the Med beispielsweise fordert jetzt direkte Fährverbindungen für Flüchtlinge aus Libyen und anderen Orten in Nordafrika. Auch andere Politiker äußern sich in diese Richtung. Es muss sichere und legale Zufluchtswege, Zugangswege geben. Kann das die Antwort sein?
    Graf Lambsdorff: Ich bin dafür, dass es eine legale Möglichkeit der Zuwanderung in die Europäische Union gibt. Ich halte allerdings die Idee einer Fährverbindung für, ehrlich gesagt, abenteuerlich. Wichtiger ist, in den Herkunftsländern bereits dafür zu sorgen, dass Informationen über die Voraussetzungen für legale Zuwanderung verfügbar gemacht werden, dass europäische Informationszentren in den Ländern in Afrika südlich der Sahara, in den Flüchtlingslagern zum Beispiel in der Türkei darüber informieren, was geht und was geht nicht, und dass diese Entscheidungen dann getroffen werden. Ich hielte es nicht für richtig, hier eine Fährverbindung einzurichten. Was ich aber für absolut unabdingbar halte, ist ein ernst gemeintes, wirklich gemeinsam europäisch verantwortetes Seenot-Rettungsprogramm. Das hat ja schon mal in der Diskussion stattgefunden. Das ist abgelehnt worden und das Ergebnis sehen wir jetzt: in einer Woche über tausend Tote. Das ist einfach eine Schande für Europa. Wenn wir da das nicht auf die Reihe kriegen, dass unsere Mitgliedsstaaten das endlich zusammen organisieren, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn man der politischen Klasse in Europa schwere Vorwürfe macht.
    Barenberg: Alexander Graf Lambsdorff, der FDP-Politiker im Europaparlament, heute hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
    Graf Lambsdorff: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.