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Flüchtlingserstaufnahme
Streit um Frauen und geschlagene Kinder

1.000 Flüchtlinge in einer Messehalle: In der Erstaufnahme-Einrichtung in Berlin geht es eng zu. Die Helfer haben alle Hände voll zu tun. Eltern schlagen ihre Kinder, Christen und Muslime streiten über den Umgang mit Frauen.

Von Susanne Arlt | 05.11.2015
    Ein Flüchtling aus Eritrea sitzt am 31.10.2014 in München (Bayern) in der Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber auf dem Gelände der Bayernkaserne vor bunt bemalten Hallentoren.
    Ein Flüchtling, der sich ein bisschen Ruhe gönnt. In den Erstaufnahme-Einrichtungen geht es mitunter turbulent zu. (dpa/Tobias Hase)
    "Hat keine Papiere gehabt ...was will er? Will er rein, hat er unsere Bänder? ... Ne, die weißen Bänder von gestern."
    Dann darf der Mann leider nicht herein, sagt Matthias Nowak, schüttelt den Kopf und hebt wie zur Entschuldigung beide Hände.
    "Unsere Gäste haben grüne oder blaue Bänder. Wir sind voll und wenn er keins hat, dann muss er raus."
    Wer kein grünes oder blaues Band an seinem Handgelenk trägt, hat hier keine Chance auf Obdach. Das klinge hart, gehe aber nicht anders, erklärt Matthias Nowak.
    Seit vier Wochen leitet der Pressesprecher der Malteser die Notunterkunft auf dem Berliner Messegelände. Normalerweise werden in Halle 26 Boote ausgestellt. Jetzt leben auf 10.000 Quadratmetern mehr als 1.000 Menschen. Sie stammen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan, dem Iran und Irak, aber auch aus Somalia oder Eritrea. Verschiedenste Ethnien, Religionen, Schicksale – alle unter nur einem großen Dach. Konflikte sind da vorprogrammiert.
    "Wir haben viele Sprachmittler im Team. Wir haben eine gute Sicherheitsfirma, die auch viele Menschen mit Sprachkompetenzen hat, aber letztendlich faktisch die wichtigste Sprache ist ein Lächeln und dann kriegt man jedes Problem relativ schnell wieder geerdet. Natürlich hast du auch hier Reibereien, natürlich hast du auch hier mal Auseinandersetzungen."
    Um die so weit wie möglich in Grenzen zu halten, haben sich Matthias Nowak und seine Mitarbeiter um ein Mindestmaß an Privatsphäre bemüht. So schotten zum Beispiel Messebauwände die 40 Quadratmeter großen Schlafräume in den beiden kleineren Hallen ab. An den Eingängen dienen Stoffbahnen als Sichtschutz. Acht Doppelstockbetten stehen in jedem Zimmer.
    Einschreiten, wenn Kinder geschlagen werden
    In der größten der drei Hallen befindet sich der Gemeinschaftssaal. Von oben fällt Licht herein. Kinder kicken gegen eine Fußballwand. Neben dem Essplatz mit 40 Bierbänken wurden provisorisch der Gebetsraum und das Kinderspielzimmer eingerichtet. Matthias Nowak zeigt auf die weißen Zettel, die man überall an den Wänden sieht. Auf Arabisch, Farsi, Paschtu, Urdu, Russisch, Englisch.
    "Hier haben wir zum Beispiel die Hausordnung hängen. Gemeinsam erarbeitet mit Hausbewohnern, die das dann in ihre Sprachgruppen, in ihre Landsmannschaften reingetragen haben und denen das auch noch einmal erklärt haben. Alles gemeinsam verabredet, alles gemeinsam verabschiedet."
    Integration sei sicherlich genauso wichtig, wie eine klare Ansage, glaubt Matthias Nowak. Einer der ersten Paragrafen auf der Hausordnung lautet darum auch: Hier drin gibt es keine Gewalt, auch nicht gegenüber den eigenen Frauen und eigenen Kindern.
    "Das gilt auch für die Frauen übrigens. Also wir haben viele Frauen schon verwarnt, die ihre Kinder einfach mal geschlagen haben. Dann wurde mit denen ein Einzelgespräch geführt und seitdem findet das auch nicht mehr statt. Sie müssen sich gewissen Regeln unterfügen, genauso die Regel: Hier darf jeder seine Religion ausüben und hier wird keiner wegen seiner Religion verfolgt oder gedisst oder gemobbt."
    Wer nicht Folge leistet, wird beim ersten Mal verwarnt, beim zweiten Mal fliegt er raus, muss sich eine andere Unterkunft suchen. Fünf Männer und eine Familie seien bereits des Hauses verwiesen worden, erzählt der Leiter der Notunterkunft. Durch dieses strikte Durchgreifen konnten ernsthafte Auseinandersetzungen bisher vermieden werden.
    Inmitten der Halle sieht man zwei hohe Säulen. An der einen hocken nur Frauen, an der anderen nur Männer auf Bierbänken. Dort gibt es die Steckdosenverteiler, erklärt Nowak. Freies W-Lan natürlich auch.
    Echte Privatsphäre gibt es nicht
    "Das ist aus meiner Sicht ein Grundbedürfnis, fast noch wichtiger als Essen. Weil, damit halten die Menschen Verbindung in ihre Heimat. Alle haben ein Smartphone und das ist auch gut so, weil, das sind die einzigen Wurzeln, die ihnen neben ihrem Glauben geblieben sind."
    Als einige afghanische Flüchtlinge anfangs der Meinung waren, nur sie hätten ein Anrecht auf die Stromversorgung, kappte Matthias Nowak einfach für sechs Stunden die Leitung. Seitdem laden dort wieder alle ihre Handys auf, sagt er und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Trotzdem kommt auch er manchmal an seine Grenzen. Denn echte Privatsphäre gibt es in dieser Notunterkunft nicht. Immer wieder geraten die Menschen hier aneinander. Wenn auch nicht gleich handgreiflich, sagt Jamane, der aus Eritrea stammt und Christ ist.
    "Hier ist es nicht immer leicht und natürlich gibt es auch Probleme unter den Flüchtlingen. In unserem Schlafraum zum Beispiel sind meine Frau und ich mit zwölf muslimischen Männern und Frauen untergebracht. Sie haben uns gesagt, sie wollen nicht mit uns Christen zusammen in einem Raum schlafen. Ich habe das dann auch mit den Mitarbeitern hier von der Unterkunft besprochen, aber sie haben gesagt, ich muss dort bleiben."
    Als Christ fühle er sich in dieser deutschen Notunterkunft in der Minderheit, sagt er. Noch dazu würden ihn die muslimischen Männer immer auffordern, nicht mit den Frauen zusammenzusitzen. Das gehöre sich nicht. Jamane schüttelt den Kopf. So was stehe doch in keinem deutschen Gesetz, sagt er und schaut zu Matthias Nowak.
    Der Pressesprecher der Malteser schüttelt bedauernd den Kopf. Dies sei eine Notunterkunft, keine Gemeinschaftsunterkunft, erklärt er. Er könne hier niemanden separat unterbringen. Er weiß aber auch. Die meisten Flüchtlinge werden für die nächsten vier bis fünf Wochen bleiben müssen. Die Berliner Gemeinschaftsunterkünfte sind restlos überfüllt. Matthias Nowak hofft darum, dass es hier auch in Zukunft friedlich bleibt.