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Flüchtlingsgipfel
"Die Türkei hat ihren Preis verlangt"

Beim Flüchtlingsgipfel in Brüssel habe die EU mit Blick auf die Forderungen der Türkei keine Wahl gehabt, sagte Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies im DLF. Die erneute Diskussion um einen EU-Beitritt der Türkei sei aber nur vorgeschoben: Tatsächlich habe Präsident Erdogan kein Interesse an einer EU-Mitgliedschaft seines Landes.

Daniel Gros im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 30.11.2015
    Daniel Gros, Director des Centre for European Policy Sutdies in Brüssel, Belgien
    Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Sutdies in Brüssel, Belgien (imago/Xinhua)
    Dirk-Oliver Heckmann: Es war ein ungewohntes Bild, das da gestern in Brüssel abgegeben wurde. Während die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei schon lange auf Eis liegen, rollte man gestern den roten Teppich aus für Ministerpräsident Davutoglu. Und das ist auch kein Wunder, denn die Europäische Union ist abhängig von der Türkei, wenn sie die bisher ungebremste Flüchtlingsbewegung unter Kontrolle bringen will. Die EU, zumindest ein Teil der Mitgliedsländer hat da einiges in Aussicht gestellt: Drei Milliarden zur Versorgung der rund zwei Millionen syrischen Flüchtlinge, die die Türkei aufgenommen hat, die Bereitschaft, einen Teil dieser Flüchtlinge nach Europa einreisen zu lassen, eine schnellere Visafreiheit für die Türken und eine Wiederbelebung der EU-Beitrittsgespräche.
    Am Telefon begrüße ich Daniel Gros. Er ist Direktor des Centre for European Policy Studies. Guten Tag, Herr Gros.
    Daniel Gros: Guten Tag!
    Heckmann: Herr Gros, wie bewerten Sie denn die Ergebnisse dieses EU-Türkei-Gipfels? Ist es so, dass vor allem Ankara profitiert, weil Europa in der Flüchtlingsfrage von der Türkei so abhängig ist?
    Gros: Ja. Im Grunde genommen hatte Europa keine Wahl, denn die Flüchtlinge kommen nun mal in erster Linie aus Syrien über die Türkei nach Europa, und der einzige Weg, den Strom zumindest etwas einzudämmen, war, der Türkei entgegenzukommen, und die Türkei hat da ihren Preis verlangt.
    Heckmann: Die Türkei hat ihren Preis verlangt, sagen Sie. Davutoglu, der Ministerpräsident, der sprach auch von einem historischen Tag. Man wolle Teil der europäischen Familie sein. Ankara rechnet damit, dass die Beitrittsgespräche wieder Fahrt aufnehmen. Sind wir denn einer Vollmitgliedschaft der Türkei damit näher gekommen, oder wird Ankara da was vorgemacht?
    Gros: Nein. Es ist ganz klar, dass die Türkei sich derzeit eher von einer Vollmitgliedschaft entfernt, denn es gibt ja immer größere Probleme mit der Demokratie, mit der Pressefreiheit und anderen Grundwerten in der Türkei selbst. Das weiß auch die Regierung dort und im Grunde genommen möchte sie auch gar nicht mehr Mitglied werden. Sie möchte nur ihrem eigenen Wahlvolk sagen können: Seht mal, ihr kritisiert uns vielleicht wegen der fehlenden Meinungsfreiheit, aber die Europäer sagen das Gegenteil, wir können jetzt sogar neue Verhandlungen aufnehmen, wir werden also immer europäischer, seid bitte erst mal ruhig.
    Heckmann: Das heißt, Erdogan wird es nicht schaden, wenn hinterher dann sich doch herausstellt, dass diese Beitrittsgespräche gar nicht mit so einem großen Elan geführt wurden, wie es jetzt sich angedeutet hat?
    Gros: Ganz genau. Für ihn ist wichtig, sagen zu können, ich werde von den großen Demokratien akzeptiert, mir wird sozusagen ein europäischer Stempel gegeben, und im Gegenzug kann ich im Inneren machen, was ich möchte. Das ist das Einzige, worauf es ihm ankommt, seine eigene Macht zu stabilisieren.
    Gros: Es ging um drei Milliarden Euro - der Rest sind diplomatische Feinheiten
    Heckmann: Das heißt, das sind im Prinzip alles Spiegelfechtereien, die da gestern ausgetragen wurden?
    Gros: Es ging um etwas Handfestes, nämlich die berühmten drei Milliarden Euro. Aber der ganze Rest sind eher diplomatische Feinheiten, die innenpolitisch wichtig sind für die Türkei und die höchstens vielleicht ganz langfristig nach Herrn Erdogan doch die Türkei ein bisschen mehr an Europa anbinden können. Aber ich bin da sehr skeptisch.
    Heckmann: Zum Beispiel über die Visafreiheit, die dann ja schneller kommen soll für Millionen von Türken. - Sie haben es gerade gesagt: Die EU stellt drei Milliarden Euro in Aussicht. Außerdem soll ja ein Teil der Flüchtlinge, die bisher in der Türkei leben, in Europa aufgenommen werden. Da ist die Rede von 400.000 Menschen, die das betreffen soll. Ist das möglicherweise genauso eine symbolische Handlung, ein Signal, das am Ende gar nicht umgesetzt werden wird?
    Gros: Bei der Visafreiheit könnte ich mir vorstellen, dass man doch etwas Fortschritte macht, denn solange man sie vielleicht formal herstellt, aber dann de facto doch die Grenzkontrollen verschärft beibehält, glaube ich nicht, dass das für Europa eine große Gefahr darstellen würde, denn die erste wichtige Kontrolle wäre ja immerhin dann innerhalb in der Türkei. Beim ganzen Rest, glaube ich, muss man mal sehen, denn die 400.000 sind ja auch nicht eine Zahl, die die EU alleine versprechen kann. Das ist auch nicht eine Zahl, die für ein Jahr gilt. Da ist eher mal das Prinzip Hoffnung errichtet, dass man den Türken sagt, wenn alles gut läuft, dann können wir euch vielleicht im Laufe der Zeit doch eine wichtige, eine bemerkenswerte Zahl abnehmen.
    "Am Ende wird es ein unsauberer Kompromiss werden"
    Heckmann: Aber wenn man auch dieses Versprechen möglicherweise gar nicht einhält, wie soll man denn darauf setzen, dass die Türkei wirklich dafür eintritt, den Flüchtlingsstrom zu stoppen?
    Gros: Deswegen ist das Ganze ja überhaupt so konstruiert, dass man bei jedem Schritt erst mal prüft, was haben die anderen eigentlich gemacht. Denn selbst die Aufnahme der Beitrittsgespräche wird ja davon abhängen, ob es zu einer Lösung in Zypern kommt. Dann wird vielleicht ein bisschen Geld fließen. Man wird sehen, wie ändert sich die Lage in den Lagern, wie steht es mit dem Flüchtlingsstrom. Und ich glaube, es wird über Jahre hinaus ein gegenseitiges Abtasten geben, ein Do ut des, was gebe ich, was gebt ihr, und man wird dann wohl einen Modus Vivendi finden müssen, wo es vielleicht einige Jahre ein bisschen besser läuft und andere Jahre ein bisschen schlechter.
    Heckmann: Von den drei Milliarden Euro war gerade schon die Rede, von den 400.000 Menschen auch. Da will aber nur ein Teil der EU-Staaten mitmachen. Sehen wir also eine Fortsetzung des unsolidarischen Europas?
    Gros: Genau. Es muss in Europa da noch viel ausdiskutiert werden, denn die Idee war ja, zu sagen, wer keine Flüchtlinge nimmt, der muss dann mehr zu den drei Milliarden zusteuern. Und da gerade die etwas ärmeren Staaten in Osteuropa keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, käme dann auf diese Staaten doch vielleicht prozentual etwas mehr zu. Ich glaube, das wird alles nicht so heiß gegessen, wie es erst mal gekocht wird. Es wird da noch Zugeständnisse geben auf beiden Seiten. Am Ende wird es wohl wieder ein unsauberer Kompromiss werden, dass die meisten Flüchtlinge doch dorthin gehen, wo einfach auch der Arbeitsmarkt am besten ist, wo die Versorgungslage am besten ist. Aber ein paar, vielleicht nur symbolisch am Anfang, aber ein paar werden auch nach Osteuropa gehen müssen.
    Heckmann: Der Direktor des Centre for European Policy Studies, Daniel Gros, war das hier live im Deutschlandfunk. Schönen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.