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Flüchtlingsheime
Angriffe haben sich bundesweit verdoppelt

Das Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf sorgte schon im vergangenen Sommer für Schlagzeilen als Asylbewerber mit Hitlergruß empfangen wurden und ihre neue Unterkunft nur unter Polizeischutz beziehen konnten. Jetzt ließ ein neuer Vorfall aufhorchen, als eine Gruppe junger Männer nachts versucht hat in das Heim einzudringen.

Von Claudia van Laak | 17.03.2014
    Es geschieht mitten in der Nacht: Sechs junge Männer verfolgen zwei Flüchtlinge auf dem Weg zu ihrer Unterkunft in Hellersdorf, bewerfen sie mit Bierflaschen. Dann versuchen sie, in das Heim einzudringen. Wachschutz und Bewohner können den Überfall gerade noch verhindern, der Staatsschutz ermittelt. Der Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf ist entsetzt. Stefan Komoß:
    "Ich halte das für einen erschreckenden Tatbestand: Zwei Menschen sind verfolgt worden, angegriffen auf offener Straße, und dann ist sogar der Versuch unternommen (worden), in das Asylbewerberheim einzudringen. Das ist ganz gezielte Gewalt gegen Menschen und das ist eine ganz andere Qualität als das, was wir bisher diskutiert haben. Das ist keine politische Auseinandersetzung, sondern Schwerstkriminalität."
    Gemeinde engagiert sich für die Asylbewerber
    Nur einen Tag später brennt ein Auto auf dem Parkplatz der evangelischen Kirchgemeinde Hellersdorf aus, die Polizei geht von Brandstiftung aus. Eine Verbindung zum versuchten Anschlag auf das Flüchtlingsheim ist nicht ausgeschlossen - die Gemeinde engagiert sich für die Asylbewerber.
    Die Flüchtlinge reagieren unterschiedlich auf den versuchten Überfall – einige verängstigt, andere gelassen.
    "Er sagt, also abends gehen sie nicht raus, abends haben sie Angst, aber am Tag gehen sie schon raus und er sagt, dass seine Kinder auch hier leben, die gehen zur Schule auch, er hat aber Angst, sie rauszulassen. Vor allem auch am Wochenende…"
    "Ich glaube, die Leute haben schon Angst, besonders die Familien, ich nicht. Warum nicht? Ich habe so viele Tote gesehen, da lasse ich mich von diesen Leuten nicht einschüchtern. "
    sagt dieser syrische Flüchtling im Regionalfernsehen.
    Rückblick: Als die ersten Asylsuchenden im letzten Sommer unter Polizeischutz ankommen, werden sie mit dem Hitlergruß empfangen. Eine anonym agierende Bürgerinitiative hetzt auf Facebook, heizt die Stimmung in der Nachbarschaft an, die NPD demonstriert.
    Aber auch Unterstützer werden aktiv - die Bürgerinitiative "Hellersdorf hilft" kümmert sich um die Flüchtlinge, sammelt Spenden. Tim Schwiesau:
    "Also wir haben Briefe für die Asylbewerber in mehreren Sprachen geschrieben, um ihnen zu zeigen, dass es viele Menschen gibt, die für sie da sind, die nichts gegen sie haben. Wir haben sie aufgeklärt über die Situation im Bezirk, dass es Menschen gibt, die es nicht so toll finden, dass sie hier sind, aber dass es vor allem auch sehr viele Menschen gibt, die dafür sind."
    Symbolort für die rechtsextreme Szene
    Im Laufe der Monate entspannt sich die Situation - auch die benachbarte evangelische Gemeinde wird aktiv, die Fachhochschule veranstaltet Seminare im Flüchtlingsheim. Aber die ausländerfeindliche Hetze hört nicht auf - in den sozialen Medien und auf der Straße. Michael Trube von der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus zählt auf:
    "Dass Böller in die Einrichtung geworfen worden sind, dass Leute dort hin urinieren, sich übergeben, dass (es) einfach Menschen dort einen Hitlergruß zeigen, oder einfach mal pöbeln."
    Michael Trube geht davon aus, dass das Flüchtlingsheim in Hellersdorf mittlerweile zu einem Symbolort für die rechtsextreme Szene geworden ist.
    Und: Die ausländerfeindliche Propaganda ist auf fruchtbaren Boden gefallen: Bei der letzten Bundestagswahl erzielte die NPD in dem Wahllokal in der Nähe des Flüchtlingsheims ihr berlinweit bestes Ergebnis - über neun Prozent der Stimmen. Jörg Spieler, Schulleiter der Hellersdorfer Melanchthon-Schule versucht eine Erklärung.
    Angriffe auf Flüchtlingsheime steigen bundesweit
    "Da ist schon Nährboden da. Marzahn-Hellersdorf hat inzwischen auch eine soziale Struktur, die sich verändert hat in den letzten 15, 20 Jahren, und das sind zum Teil Leute, die von Hartz IV leben, denen es sozial nicht gut geht, die also am Rand der Gesellschaft stehen. Und jetzt kommen da welche, die stehen noch ein Stückchen weiter am Rand - und das ist dann so’n Automatismus: 'Ach, jetzt kann ich vielleicht meine Misere auf andere noch abwälzen'. Also ich denke, da ist schon Nährboden da, so ist es nicht."
    Für den Bezirk, die Kirchgemeinde und die Bürgerinitiative heißt es: Wachsam sein, denn zu den derzeit 200 in der ehemaligen Schule untergebrachten Flüchtlingen sollen in den nächsten Monaten 200 weitere dazukommen.
    Das Bundesinnenministerium zählt unterdessen eine steigende Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte bundesweit. Von 2012 auf 2013 hat sich die Zahl nahezu verdoppelt.