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Flüchtlingspolitik der Bundesregierung
Kritik an fehlender Abstimmung mit Bayern

Der innenpolitische Sprecher der CSU, Stephan Mayer, hat die Kritik an der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel relativiert. Von einer "beispiellosen politischen Fehlleistung", wie es Ex-Innenminister Friedrich formuliert hatte, würde er mit Blick auf die Einreise der Flüchtlinge aus Ungarn nicht sprechen, sagte Mayer im DLF. Bayern hätte aber in die Entscheidung besser eingebunden werden müssen.

Stephan Mayer im Gespräch mit Bettina Klein | 12.09.2015
    Stephan Mayer, CSU
    Stephan Mayer, CSU (imago/Heinrich)
    Er habe durchaus Verständnis, dass es sich bei der Situation in Budapest um eine extreme Notsituation gehandelt habe, so Mayer. Allerdings teile er die Kritik von CSU-Chef Horst Seehofer, dass Bayern in die Entscheidung nicht eingebunden gewesen sei, Flüchtlinge unregistriert ins Land einreisen zu lassen. Zugleich warnte er in der Frage vor öffentlichen Schaukämpfen in der Union. CSU-Chef Seehofer hatte Merkel vorgeworfen, mit der Aufnahme in Ungarn gestrandeter Flüchtlinge einen Fehler gemacht zu haben, der Deutschland noch lange beschäftigen werde.
    Mayer äußerte zudem Verständnis für Positionen der ungarischen Regierung in der Flüchtlingsfrage, insbesondere was den Bau des Zauns an der Grenze zu Serbien angehe. Dieser sei nicht gebaut worden, um Schutzbedürftige abzuhalten, sondern um Schlepper besser bekämpfen zu können. Dass Flüchtlinge in Ungarn nicht vollständig registriert würden, sei jedoch nicht in Ordnung. Es müsse der Grundsatz gelten, dass das Land für die Asylbewerber zuständig ist, in das diese zuerst eingereist sind. Mayer forderte in diesem Zusammenhang mehr Unterstützung der EU für Ungarn. Zudem verteidigte er die Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zur nächsten Klausurtagung der CSU. Jedes Gespräch sei zielführend.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich jetzt Stephan Mayer, CSU, er ist innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Deutsche Bundestag. Guten Tag, Herr Mayer!
    Stephan Mayer: Grüß Gott, Frau Klein!
    Klein: Um mit dem Zitat Ihres Fraktionskollegen Friedrich zu beginnen: Ist das, was wir von der Bundesregierung, insbesondere von der Bundeskanzlerin sehen, eine, Zitat, "beispiellose politische Fehlleistung"?
    Mayer: Ich würde dies nicht als beispiellose politische Fehlleistung deklarieren, weil es war mit Sicherheit, was das Prozedere anbelangt, nicht in Ordnung, dass im Vorfeld der Entscheidung die bayrische Staatsregierung nicht eingebunden war. Dies hätte der Fall sein müssen, nachdem Bayern ja aufgrund der exponierten Lage an der Grenze zu Österreich als Erstes unmittelbar betroffen war. Also was das Prozedere anbelangt, was die Abstimmung anbetrifft, hätte mit Sicherheit einiges wesentlich besser laufen müssen, aber ich würde jetzt nicht von einer beispiellosen Fehlleistung sprechen.
    Klein: Das heißt also, das ist eine Einzelmeinung von Herrn Friedrich, oder gibt er das Bild der CSU wieder?
    Mayer: Es gibt in der CSU natürlich schon, gerade auch im Hinblick auf diese fehlende Abstimmung, schon Kritik an der Bundesregierung, das ist ja gar nicht zu verhehlen, aber ich möchte jetzt nicht so weit gehen zu sagen, dass es falsch war, hier in dieser extremen Notsituation die Menschen durch Österreich nach Deutschland reisen zu lassen. Ich möchte mir nicht ausmalen, was am Ostbahnhof in Budapest passiert wäre und auch in den Einrichtungen um Budapest, wenn man den Menschen zu verstehen gegeben hätte, sie müssen in Ungarn bleiben und dürfen partout nicht weiterreisen.
    Klein: Herr Mayer, Sie distanzieren sich da also ganz klar von Hans-Peter Friedrich und auch von Ihrem Parteichef Horst Seehofer, der das ja im "Spiegel" heute auch noch mal als Fehler bezeichnet hat.
    Mayer: Ich verstehe die Kritik von Horst Seehofer auch insbesondere in der Richtung, als dass die Abstimmung mit ihm nicht erfolgt ist, und diese Kritik teile ich, die unterstütze ich. Ich glaube aber auch, um dies auch offen zu sagen, dass auch der Sache jetzt nicht gedient ist, wenn hier zwischen der CDU und der CSU hier öffentliche Schaukämpfe jetzt vonstatten gehen und ablaufen. Ich glaube, die Situation ist viel zu ernst und viel zu gravierend, als dass man hier jetzt öffentliche Scharmützel abhalten sollte.
    Klein: Ja, da kann man sich eben auch fragen, ob das der richtige Zeitpunkt ist, in einer solchen Krisensituation innerhalb der Regierungskoalition der Kanzlerin da in den Rücken zu fallen.
    Mayer: Also ich sehe hier kein In-den-Rücken-Fallen, ganz im Gegenteil ...
    Klein: Wenn man sagt, beispiellose politische Fehlleistung, Entschuldigung, das sind schon sehr starke und sehr harsche Worte der Kritik auch, und zu denen steht ja auch Hans-Peter Friedrich.
    Mayer: Ja, das ist die persönliche Überzeugung von Hans-Peter Friedrich, die darf er haben, das ist auch sein gutes Recht als frei gewählter Abgeordneter, dass er auch seine Auffassung hat und die auch artikuliert, aber ich würde beileibe, das hab ich ja gesagt, nicht so weit gehen, von einer beispiellosen politischen Fehlleistung zu sprechen.
    Klein: Gut, dann schauen wir mal darauf, was Viktor Orbán sagt, der heute auch noch mal via Zeitungsinterview seine – wie das allgemein wahrgenommen wird – sehr harte Haltung gegenüber den Flüchtlingen begründet. Man kann schon auch Signale aus Ihrer Partei wahrnehmen, Herr Mayer, dass man da mit Orbán durchaus übereinstimmt. Der Vorsitzende der EVP-Fraktion aus dem Europaparlament, Manfred Weber, hat sich wohl gestern mit ihm getroffen, Ihre Partei hat Orbán eingeladen – also distanzieren Sie sich jetzt von dem, was er will, oder stimmen Sie da zu und planen das auch für Deutschland?
    Mayer: Ich hab sehr viel Verständnis für die Position der ungarischen Regierung, insbesondere was auch den Bau des Zauns gegenüber Serbien anbelangt. Das ist aus meiner Sicht auch der Not geschuldet. Wenn man sich mal ansieht, wie stark gerade Ungarn derzeit belastet ist und beansprucht ist, dann hab ich Verständnis, vor allem vor dem Hintergrund, dass die ungarische Regierung diesen Zaun ja nicht gebaut hat, um schutzbedürftige Flüchtlinge abzuhalten, sondern um die Zuwanderung stärker zu kanalisieren und um dadurch vor allem auch die Schlepper stärker und besser bekämpfen zu können. Also es gibt durchaus Verständnis meinerseits für vieles, was die ungarische Regierung derzeit ins Werk gesetzt hat. Ich hab ehrlich gesagt kein Verständnis dafür, dass die Flüchtlinge und Asylbewerber nur unzureichend registriert werden – zwar besser, das muss man auch dazusagen, als in Italien und in Griechenland, aber nicht vollständig. Und ich glaube, gerade in dieser krisenhaften Situation kann Europa sich nur bewähren, wenn sich auch jedes Land in der Europäischen Union an europäisches Asylrecht hält, und das muss auch Ungarn tun.
    Klein: Und Ungarn macht aber im Augenblick genau das Gegenteil von dem, was Deutschland macht, also was soll denn nun gelten Ihrer Meinung nach?
    Mayer: Es muss der Grundsatz gelten, dass das Land zuständig ist für die Durchführung des Asylverfahrens, in das der Asylbewerber zuerst einreist, aber natürlich kann man Ungarn hier auch nicht alleine lassen. Ich würde nie so weit gehen, jetzt die gesamte Verantwortung Ungarn zuzuschieben. Natürlich muss es Unterstützung geben, natürlich muss es auch Angebote der Europäischen Union geben, Ungarn jetzt hier zu helfen, deswegen unterstütze ich auch nachdrücklich die Bundeskanzlerin und auch die Bundesregierung in ihren Bemühungen, eine gerechte und solidarische und faire Verteilung der Asylbewerber über die gesamte Europäische Union zu erreichen. Davon würde Ungarn profitieren, aber davon würde auch Deutschland profitieren.
    Klein: Aber Ungarn plant ja, Flüchtlinge abzuschieben. Sollte das die Bundesregierung in Zukunft auch tun?
    Mayer: Ja, wenn ein Verfahren in Ungarn durchgeführt wird, und der Asylbewerber bekommt keinen Anspruch auf Asyl, wird nicht anerkannt in Ungarn, und Ungarn führt dann den Asylbewerber zurück, dann ist das das gute Recht der ungarischen Regierung. Man muss, glaube ich, schon so fair sein, dass man dann jedem Land auch zugesteht, wenn es die Verfahren durchführt, dass es dann auch nach Abschluss der Verfahren so vorgeht, wie es das europäische Asylrecht vorsieht.
    Klein: Anders als Ungarn nimmt die Bundesrepublik im Augenblick im Maßstab von Zehntausenden Menschen hier auf, und ich würde doch noch mal gerne die Frage vor dem Hintergrund auch stellen, was bezweckt die CSU da mit ihrem Treffen mit Viktor Orbán?
    Mayer: Ich glaube, es ist sogar richtig, sich jetzt mit Viktor Orbán zu treffen, gerade angesichts der starken Beanspruchung Ungarns und auch der Notwendigkeit, dass wir uns stärker abstimmen auch zwischen Deutschland und Ungarn. Deswegen kann jedes Gespräch hier nur unterstützend wirken und ist aus meiner Sicht auch zielführend. Ich verstehe deshalb überhaupt nicht diese Kritik, insbesondere auch bei unserem Koalitionspartner, der SPD, an diesen Bemühungen von Horst Seehofer, aber auch der CSU-Landtagsfraktion, durch die Einladung von Viktor Orbán auch zu einer besseren Verständigung und einer besseren Kommunikation beizutragen. Also ich glaube, dass Europa momentan nicht zu viel miteinander spricht, sondern zu wenig miteinander spricht, und dann ergreift die CSU die Initiative, lädt Viktor Orbán ein, und es wird wiederum auch kritisiert. Also dafür hab ich wirklich kein Verständnis.
    Klein: Ja, abschließend noch, Herr Mayer: Was muss Ihrer Meinung nach jetzt sofort geschehen, um eben auch Kommunen und Städte zu entlasten und denen Hilfestellung zu leisten, die im Augenblick besonders viele Menschen aufnehmen?
    Mayer: Wir sind in einer extremen Notsituation, deswegen müssen natürlich schnellstens jetzt auch Unterkünfte erstellt werden, behelfsmäßige Zelte, auch Container aufgebaut werden. Wir werden jetzt dieses Maßnahmenpaket sehr schnell durch den Deutschen Bundestag bringen. Ich erkenne die große Not, vor allem bei den Kommunen, und wir werden hier auch für Abhilfe sorgen. Was natürlich auch wichtig ist, um dies klar zu sagen, dass sich auch andere Großstädte auch mal solidarisch erklären gegenüber bayrischen Großstädten. Es kann nicht sein, dass die Landeshauptstadt München diese Belastung allein zu tragen hat, und ich hab deswegen auch kein Verständnis dafür, dass sich zum Beispiel der Oberbürgermeister von Leipzig beharrlich dagegen wehrt, dass Leipzig auch ein Aufnahmebahnhof wird, so wie es München schon seit über einer Woche ist. Also stärkere Solidarität auch unter den Kommunen wäre aus meiner Sicht in dieser schwierigen Zeit auch angebracht.
    Klein: Sagt der CSU-Politiker Stephan Mayer heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch, Herr Mayer!
    Mayer: Bitte schön, alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.