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Flüchtlingspolitik in Schwerin
Ohne Berührungsängste

Seit sieben Jahren ist Angelika Gramkow (Linke) Oberbürgermeisterin von Schwerin. Die Kommune kämpft seit Jahren mit Schulden - die Flüchtlingskrise belastet sie einmal mehr. Doch Gramkow bleibt zuversichtlich und engagiert sich für die Integration. Dass die gelingen wird, glauben ihre politischen Gegner nicht.

Von Silke Hasselmann | 05.11.2015
    Schwerins Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow (Die Linke)
    Schwerins Oberbürgermeisterin Angelika Gramkow (Die Linke) (dpa/picture alliance/Jens Büttner)
    "Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie sehr herzlich zur 32. öffentlichen und nichtöffentlichen Sitzung des Hauptausschusses. Die Tagesordnung liegt vor..."
    Seit genau sieben Jahren leitet die Linkspolitikerin Angelika Gramkow die Geschicke von Schwerin. Regelmäßig stehen sie und ihre Dezernenten dem Stadtparlament Rede und Antwort. An diesem Abend geht es um den Haushaltplan. Doch wie immer seit dem Frühjahr tauchen irgendwann Fragen zum Thema "Flüchtlinge und Migranten" auf. Derentwegen will und darf die tief verschuldete Stadt erstmals seit vielen Jahren zusätzliches Personal einstellen. Acht Fachkräfte für Gesundheitsamt, Feuerwehr, Jugend- und Sozialamt. Aber, so Finanz- und Sozialdezernent Andreas Ruhl:
    "Wir haben nicht genügend Kita-Plätze, wir haben nicht genügend Schul-Plätze. Wir haben nicht genügend Hort-Plätze. Auch da müssen wir überplanen und zusehen, dass wir für die Zeit, in der wir eine doppelte Quote haben, gut aufgestellt sind. Aber das können Sie nur jetzt machen. Da können Sie nicht warten, bis die Leute auf der Matte stehen."
    "Wir sind schon ein bisschen stolz"
    Einige Zahlen, Stand Anfang November 2015: Schwerin hat knapp 93.000 Einwohner, darunter gut 5.000 nichtdeutsche aus aller Welt und schätzungsweise 2.000 Russlanddeutsche. Was die aktuelle Flüchtlingswelle angeht, so bringt das Land rund 1.600 Menschen in Schwerin unter: in einer Erstaufnahmestelle und in drei Notunterkünften. Die Kommune selbst muss sich vor allem um 370 zugewiesene Asylbewerber kümmern und rechnet bis Januar mit fast doppelt so vielen.
    "Das entspricht genau der Zuweisungsquote für die Landeshauptstadt Schwerin, also 2,87 Prozent, weil die Integration der damaligen Russlanddeutschen angerechnet worden ist."
    Damit hat Schwerin deutlich weniger zu schultern als die Stadt Rostock oder die sechs Landkreise, fügt Oberbürgermeisterin Gramkow hinzu und ist dankbar für die Schonfrist. Denn so konnte sich die Stadt besser darauf vorbereiten, ab Januar 5 Prozent der Flüchtlinge und Asylbewerber Mecklenburg-Vorpommerns aufzunehmen. Für den Wohnraum etwa ist allein die städtische Wohnungsgesellschaft zuständig. Unter hohem Leerstand in drei Plattenbausiedlungen leidend, kann die relativ schnell viele Wohnungen herrichten und nebenbei die vom Land beglichenen Mieten gut gebrauchen.
    "Also, wir sind schon ein bisschen stolz darauf, dass wir inzwischen 128 Wohnungen hergestellt haben. Dass Leute, wenn sie zu uns kommen, ein Dach über dem Kopf haben. Und dass es ein Team ist, das Hand in Hand arbeitet, ohne die Probleme zu verschweigen, die auf uns zukommen, wenn sich die Zuweisungen verdoppeln und verdreifachen. Aber wir sind einfach gut aufgestellt. "
    Derzeit könne Schwerin sogar jedem alleinstehenden Asylbewerber eine eigene kleine Plattenbauwohnung anbieten - auf dem Großen Dreesch, in Lankow oder in Schwerin Süd.
    Doch dort leben bereits überdurchschnittlich viele Migranten, auch Hartz-4-Empfänger, Niedrigverdiener und Rentner. Viele von ihnen kommen regelmäßig hierher ins "Stadthaus Schwerin". Nicht zur Oberbürgermeisterin, sondern aufs Sozial- oder Jugendamt. Wichtige Wählergruppen für Gramkows Partei "Die Linke". Aber auch für die Rechten.
    Wird sich die NPD weiter ausbreiten?
    Voriges Wochenende, Samstagabend. Unter dem Titel "Schwerin wehrt sich" ziehen circa 250 Menschen durch die Innenstadt. Die meisten kommen wohl aus der Szene rund um NPD, Kameradschaften, Hooligans; man sieht und hört es ihnen an.
    "Wir sind hier, weil wir Ängste haben. Wir haben Angst um unsere Zukunft und Angst um unser Deutschland. Es ist wichtig und sollte unser oberstes Ziel sein, dass wir dieses verlogene Politikerpack austauschen, bevor sie anfangen, das Volk auszutauschen."
    Zur gleichen Zeit schafft eine etwas größere Menschenmenge vor dem Schweriner Dom mit Musik und Kerzen ein "Lichtermeer für ein weltoffenes Schwerin". Mit dabei Angelika Gramkow, die schon jetzt ein Auge auf die Landtagswahl im kommenden September richtet. Wird sich die NPD dann weiter ausbreiten, weil sie erstmals auch bei Schwerinern auf Zuspruch stößt? Was schafft die "Alternative für Deutschland", die seit vorigem Jahr in der Schweriner Stadtvertretung sitzt? Und Die Linke? Angelika Gramkow weiß, dass auch immer mehr Anhänger ihrer Partei Überfremdung, Sicherheitsprobleme oder Verteilungskämpfe fürchten.
    "In einer Stadt, wo 10 Prozent Arbeitslosigkeit ist, 7.000 Bedarfsgemeinschaften, 5.000 Kinder bei "Bildung und Teilhabe" - arm -, steht ja die Frage: Wie sehen die Zahlen nächstes Jahr aus, wenn jetzt noch mal 1.000, 1.200, 1.500 Flüchtlinge dazukommen? Dass wir das beherrschen, ist in einer Stadt, die mal 135.000 Einwohner hatte, kein Thema. Aber die Integration, ob uns die gelingt, die wir in den letzten Jahren mit einer anderen Menschenkategorie versucht haben, aber nicht zufrieden sind?"
    Die Oberbürgermeisterin verweist auf Einwanderer aus Russland, der Ukraine und aus Togo, die noch immer überwiegend von Sozialleistungen und teils abgeschottet in ihren Gemeinschaften leben.
    "Das muss dann noch die gleiche Entwicklung für alle Schwerinerinnen und Schweriner möglich machen. Wir können nicht das Eine auf Kosten der Anderen machen und umgekehrt, und das ist etwas, das für mich noch nicht beantwortet ist. Wird spannend sein, was das in einem Jahr bedeutet, ne?"