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Flüchtlingspolitik nach dem Ende der Diktatur

Vor der Küste Italiens spielen sich Flüchtlingsdramen ab. Die vielen Todesopfer der jüngsten Sturmnacht sind ein tragischer Höhepunkt. Je mehr Boote aus Tunesien oder Libyen am Horizont auftauchen, desto mehr gerät auch die Regierung in Rom unter Druck.

Von Karl Hoffmann | 07.04.2011
    Solange die Diktatoren in Tunesien und Libyen fest im Sattel saßen, war Italiens Südflanke dank bilateraler Verträge geschützt, nicht nur mithilfe gemeinsamer Küstenkontrollen, sondern vor allem aufgrund grausamer Gefängnisstrafen für eine geplante Flucht nach Europa - eine Art Berliner Mauer zwischen Italien Tunesien und Libyen. Die Barrieren der Diktaturen sind gefallen. Jetzt ist der Weg frei ins gelobte Europa, von dem vor allem junge Tunesier träumen, seit sie italienisches Fernsehen per Satellit empfangen können. Salvatore Tuccio, Sozialarbeiter in Lampedusa, hält mit vielen Tunesiern per Internet regen Kontakt.

    "Die Lust auf Italien kommt natürlich daher, dass viele Tunesier im italienischen Fernsehen nicht die Nachrichten anschauen, sondern nur Talkshows und den Big Brother, also die angenehmen Seiten Italiens, die Werbung, wo alles toll ist. Es ist fast zur Mode geworden: Ich will einfach so nach Europa, weil auch die anderen dahingehen. Man leiht sich etwas Geld von der Mutter oder den Verwandten, verspricht baldige Zurückzahlung mit der Arbeit in der Fremde und fährt los. Erst wenn die Leute wirklich begreifen werden, was Europa bedeutet, dann kehrt der eine oder andere vielleicht freiwillig zurück."

    Zum paradiesischen Italienbild hat ausgerechnet Ministerpräsident Silvio Berlusconi selbst beigetragen, als er vor zwei Jahren ein denkwürdiges Interview im tunesischen Privatsender Nessma gab, an der übrigens selbst beteiligt ist.

    "Viele Italiener sind in der Vergangenheit emigriert und das verpflichtet uns, allen Menschen das Herz zu öffnen, die zu uns nach Italien kommen möchten. Und ihnen Arbeit und eine Wohnung zu geben, Schulen für die Kinder, Wohlstand, Behandlung in all unseren Krankenhäusern. Das ist die Politik meiner Regierung."

    Offenbar haben viele Tunesier Berlusconi Worte ernster genommen, als ihm heute lieb ist. Letzte Woche flog er schließlich nach Lampedusa, versprach den Inselbewohnern, sie für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen, einen Golfplatz und ein Spielkasino einzurichten und eine teure Villa in Lampedusa zu erwerben. Innenminister Roberto Maroni fuhr derweilen zu Gesprächen nach Tunesien, die offenbar nicht ganz so erfolgreich verliefen, wie die römische Regierung sich das gewünscht hätte. Nach Abschluss der Verhandlungen blieb ein sichtlich erschöpfter Maroni eher vage:

    "Die Bedeutung der Vereinbarungen liegt in den vorbeugenden Maßnahmen gegen illegale Einwanderung,locker gesagt, wir wollen den Hahn zudrehen. Und zwar in vollem Einvernehmen mit den tunesischen Sicherheitskräften, indem wir ihnen Assistenz und Material liefern. Wir werden zusammenarbeiten und damit die früheren Vereinbarungen erneuern."

    Doch Italiens Innenminister kennt den Unterschied zwischen einer repressiven Diktatur und der jetzigen, noch allzu schwachen Übergangsregierung, die tunlichst zusätzliche Unruhe etwa durch die von Italien gewünschten Zwangsrückführungen vermeiden will. Seit dem Sturz der Diktatur hat sich die Arbeitsmarktlage drastisch verschlechtert, Arbeitslose, die emigrieren, erleichtern die Situation. Schwierig dürfte auch die Kontrolle der 1350 Kilometer langen tunesischen Küste sein. Ganz wird der Migrantenstrom wohl so schnell nicht versiegen. Deshalb versprach Silvio Berlusconi neben der Räumung der Insel von Immigranten auch eine weitere vorbeugende Maßnahme:

    "Für den Fall, dass es noch neue Anlandungen von Bootsflüchtlingen geben sollte,wird von nun an ständig ein Schiff in Lampedusa vor Anker liegen, um diese noch auf dem Wasser aufzunehmen und woanders hinzubringen."

    Das schwimmende Aufnahmelager ist noch nicht in Sicht. Stattdessen müssen nach dem tragischen Unfall der vorletzten Nacht mit mehr als 130 Todesopfern zwischen Lampedusa und Malta erst einmal die Einsatzkräfte zur Rettung von Menschenleben im Mittelmeer verstärkt werden.