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Flüchtlingspolitik
Wien will Westeuropa weiter abriegeln

Der ehemalige Bundesminister Norbert Blüm ist im Flüchtlingslager von Idomeni und spricht angesichts der Zustände von einer "Schande für Europa". Österreichs Regierung verteidigt erneut die Folgen der eigenen Flüchtlingspolitik, kritisiert einmal mehr die deutsche Haltung - und fordert weitere Grenzschließungen.

Von Johannes Kulms | 13.03.2016
    Ein Flüchtling trägt in Idomeni im Flüchtlingslager an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien im strömenden Regen ein Kind auf dem Rücken.
    Ein Flüchtling trägt in Idomeni im Flüchtlingslager an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien im strömenden Regen ein Kind auf dem Rücken. (picture alliance/dpa/Kay Nietfeld)
    Der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm will ein Zeichen setzen: Er verbringt an diesem Wochenende eine Nacht im in dem Flüchtlingslager von Idomeni, das sich am Grenzübergang zwischen Griechenland und Mazedonien gebildet hat. Hier sind die Auswirkungen der Grenzschließungen unübersehbar, die viele Staaten auf dem Balkan vorgenommen haben. Zu diesem Kurs sagte Blüm gegenüber einem ARD-Fernsehteam: "Ich würde all denen, die da große Töne spucken, mal empfehlen, drei Tage hier zu sein. Ich würde es dem österreichischen Bundeskanzler empfehlen, dem slowakischen, dem polnischen - das ist eine Schande für Europa."
    Österreichs Außenminister Sebastian Kurz sagte gegenüber der Bild am Sonntag: Auch wenn die Bilder von gestrandeten Flüchtlingen Zitat "nur schwer auszuhalten" seien, dürften die Anrainerstaaten der Balkanroute nicht nachgeben. "Sonst senden wir ein Signal in die Welt, auf welches hin sich noch mehr auf den Weg machen", so Kurz. Österreichs Chefdiplomat fordert weitere Grenzschließungen, um ein Ausweichen auf andere Wege zu verhindern. Alles, was jetzt schon an der Westbalkanroute getan werde, müsse auch entlang der Italien-Mittelmeer-Route getan werden. Kurz meint damit: Die Zeit des Durchwinkens nach Westeuropa sei vorbei.
    Faymann fordert erneut Obergrenzen
    Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, hat für solche Äußerungen kein Verständnis. Lischka sagte gegenüber dem Deutschlandradio-Hauptstadtstudio: "Also ich finde, die neuen Forderungen der Österreicher zeigen, wie undurchdacht bisher ihre Politik gewesen ist. Es ist ja nichts Neues, wenn ich hier in Europa einzelne Grenzen schließe, dass es dann entsprechende Ausweichrouten gibt. Insofern würde ich mir von den Österreichern wünschen, dass sie ihre ganze Energie darauf konzentrieren, dass der Gipfel am Donnerstag und Freitag zum Erfolg geführt wird. Das würde zu einer merklichen Reduzierung der Flüchtlingszahlen führen aber nicht nationale Lösungen."
    Derzeit sitzen rund 14.000 Flüchtlinge fest am Grenzübergang Idomeni. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Grenzschließung vor einigen Tagen erneut kritisiert. Für den österreichischen Außenminister Kurz muss das kein Dauerzustand sein. Doch die Grenzen könnten erst wieder geöffnet werden, wenn der Flüchtlingsstrom nach Europa abgeebbt sei, so Kurz.
    Auch Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann übte an diesem Wochenende Kritik am Kurs Berlins und der Weigerung Angela Merkels, sich auf Grenzwerte in der Flüchtlingspolitik festzulegen. In mehreren Zeitungsinterviews forderte Faymann erneut Deutschland auf, Obergrenzen zur Aufnahme von Flüchtlingen einzuführen. Das sei nötig um den Zitat "Flüchtlingswettlauf" zu stoppen, so der Sozialdemokrat.
    Es kommen immer weniger Asylsuchende
    "Nun, Herr Faymann sollte sich mal die Frage stellen, ob die Obergrenze, die er genannt hat, nämlich 37.500 Flüchtlinge, ob die irgendetwas geändert haben an dem Problem, ob dadurch weniger Flüchtlinge gekommen sind. Das ist nicht der Fall. Das Problem bei einer Obergrenze besteht darin, wenn ich sie sehr hoch einsetze, dann wird das als Einladung missverstanden, hier nach Europa zu kommen. Wenn ich sie sehr niedrig ansetze, dann wird das dazu führen, dass sich sehr schnell sehr viele Menschen auf den Weg machen weil sie meinen, sie hätten jetzt die letzte Chance", sagt Faymann deutscher Parteikollege Burkhard Lischka.
    Wie die Bild am Sonntag berichtet, sind die Zahlen der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge zuletzt stark gesunken. Im vergangenen Herbst waren bis zu 10.000 Flüchtlinge pro Tag nach Deutschland eingereist. In den ersten zehn Tagen des Monats März haben 2.900 Flüchtlinge die Bundesrepublik erreicht. Am vergangenen Mittwoch waren es 89, am Donnerstag dann 92 Asylsuchende, so die Bams.