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Flüchtlingspolitik
"Zuwanderung muss sich an den Interessen unseres Landes orientieren"

CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat die Gemeinsamkeiten von CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik betont. Man sei sich in allen zentralen Fragen einig, sagte er im Interview der Woche des Deutschlandfunks. Auch im Streit um eine Obergrenze sieht er Fortschritte.

Peter Tauber im Gespräch mit Stephan Detjen | 25.09.2016
    CDU-Generaksekretär Peter Tauber
    CDU-Generaksekretär Peter Tauber (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    CDU und CSU wollten, dass geltendes Recht umgesetzt werde, dass man wisse, wer im Land sei, erklärte Tauber. Es gebe auch keinen Dissens darüber, dass es eine europäische Lösung beim Schutz der EU-Außengrenzen geben müsse. Beim Streit über eine Obergrenze sehe er Bewegung, erklärte Tauber. Man könne darüber reden, ob man sich bei der Einwanderung über eine Zahl verständige. Er glaube aber, dass sich diese Zahl an den Bedürfnissen Deutschlands orientieren müsse. Dies sehe die CSU genauso.
    Der CDU-Generalsekretär äußerte sich auch zur Suche nach einem Nachfolger für Bundespräsident Joachim Gauck. Er warnte vor einem Parteienstreit über dieses Thema. Man habe in Deutschland gute Erfahrungen mit Präsidenten, die in der Lage seien, die Menschen zusammenzubringen, sagte Tauber. Die Parteien täten gut daran, dieses Amt nicht im Streit zu vergeben. Tauber bestätigte damit indirekt einen Bericht des Magazins "Spiegel", nach dem sich die Spitzen von Union und SPD darauf geeinigt haben, einen gemeinsamen Kandidaten für die Nachfolge von Bundespräsident Gauck zu benennen. Die Wahl findet am 12. Februar statt.

    Das Interview der Woche:
    Detjen: Herr Tauber, in einem Jahr, wahrscheinlich ziemlich genau auf den Tag genau in einem Jahr, ist Bundestagswahl – Sie müssen langsam anfangen, den Wahlkampf vorzubereiten als CDU-Generalsekretär. Wünschen Sie sich, dass Sie diesen Wahlkampf nochmal für Angela Merkel führen können?
    Tauber: Ich wünsche mir vor allem – und das ist auch der Wunsch vieler Freunde in der CDU –, dass wir ihn erfolgreich führen. Und ich bin mir sicher, dass Angela Merkel das Ziel auch hat und derzeit alles tut, damit wir am Ende dann sagen können: Es ist uns gelungen, der Wahlkampf war erfolgreich.
    Detjen: Die Frage ist ja natürlich, ob Angela Merkel nochmal antritt. Und da sie immer darauf verweist, zum gegebenen Zeitpunkt - so formuliert sie immer - werde sie das sagen – wann auch immer das sein ist –, ist an Sie die Frage: Wünschen Sie sich, dass Angela Merkel nochmal antritt?
    Tauber: Also, ich kann Ihnen sagen, dass ich mir das persönlich natürlich wünsche und dass ich sehr froh bin, dass ich damit auch nicht alleine bin. Nicht nur in unserer Partei, sondern auch in unserem Land wünschen sich das viele. Und ansonsten gilt das, was die Bundeskanzlerin dazu gesagt hat.
    Detjen: Ansonsten gilt für die Bundeskanzlerin natürlich auch, dass in diesem Land wenige Menschen so gut wie Angela Merkel wissen, wie die Macht eines Bundeskanzlers aber auch eine Partei erodieren, verkrusten kann, wenn man 16 Jahre Bundeskanzler oder – so lange wäre sie am Ende einer vierten Amtszeit – Bundeskanzlerin ist, wenn man so lange im Amt ist. Sie hat das bei Helmut Kohl aus nächster Nähe erlebt. Müssen Sie als Generalsekretär nicht sozusagen qua Amt die Sorge haben, dass eine CDU auch nach einem vierten Wahlerfolg Angela Merkels so verkrustet und verschlissen wäre, wie sie es einst unter Helmut Kohl war am Ende?
    Tauber: Also, wir haben uns darum gekümmert, dass wir als CDU – und dazu dienen ja auch die Deutschlandkongresse, die derzeit mit der bayerischen Schwester zusammen stattfinden – programmatisch auf der Höhe der Zeit bleiben. Wir haben für die Partei selbst eine Parteireform auf den Weg gebracht – "Meine CDU 2017" –, wo es dann auch um organisatorische und strukturelle Fragen geht, damit wir als Volkspartei nah bei den Menschen bleiben. Und wir haben in drei großen Zukunftsthemen die CDU auch programmatisch weiterentwickelt. Die CSU hat gerade ein neues Grundsatzprogramm auf den Weg gebracht. Also, ich glaube, da sind wir gut unterwegs.
    Detjen: Das war jetzt nicht ganz die Antwort auf die Frage. Aber da warten wir ab, wie sich Angela Merkel dann entscheidet und erklärt. Herr Tauber, Parteipolitik scheint ohnehin ein ...
    Tauber: Entschuldigung, wenn ich da nochmal einhake. Die Partei ist nicht allein die Vorsitzende, sondern wenn Sie nach einer möglichen Verkrustung oder Unbeweglichkeit von Parteien fragen, dann ist für mich als Generalsekretär da vor allem das Programm wichtig. Und wir haben in vielen Fragen auch immer wieder neu nachgedacht beim Thema Nachhaltigkeit zum Beispiel, beim Thema Entwicklungs- und Zusammenarbeit und auch eine Partei zu sein, in der Menschen willkommen sind und mitarbeiten können. Das ist auch eine wichtige Frage und auch da haben wir uns verändert.
    Detjen: Ja, aber die Frage war natürlich, ob es generell für Parteien gut ist, so lange Amtszeiten zu haben. Das ist eine Frage, die stellt sich ja jetzt bei der Abwägung, sowohl für Angela Merkel und auch für Sie, wenn Sie Ihren Wunsch artikulieren.
    Tauber: Also, ich kann für mein Heimatland Hessen sagen, dass es dem Hessenland gutgetan hat, dass wir seit '99 regieren. Und ich glaube, auch die Freunde in Bayern werden für sich reklamieren, dass die Regierung der CSU dem Land guttut. Also insofern, glaube ich, kommt es nicht allein auf die Dauer der Regierung an, sondern bleibt man auch selbstkritisch, schaut man, was sind die neuen Fragen. Und auch da, wie gesagt, das tun wir gerade gemeinsam mit der CSU.
    Detjen: Sie haben, Herr Tauber, auf Erneuerung in der CDU verwiesen. An diesem Wochenende sind Sie damit konfrontiert, dass mehrere Zeitungen unabhängig voneinander über verschiedene Vorfälle von Sexismus und Mobbing in der CDU berichten. Das soll sich in Berlin abgespielt haben, da geht es aber auch um Ihren Heimatkreisverband. Man kann, wenn man das liest, den Eindruck bekommen, Ihre Partei hätte auch nach 15 Jahren Merkel an der Spitze der Partei, ein ganz altes Problem im Umgang mit Frauen.
    Tauber: Ich würde sagen, wir merken, dass Frauen an verschiedenen Stellen in unserer Gesellschaft – und das findet in Parteien sicherlich auch Raum – nach wie vor Diskriminierung erfahren und dass wir gut daran tun, in allen Bereichen unserer Gesellschaft – auch dort, wie es noch nicht der Fall ist – Frauen wirklich teilhaben zu lassen an Macht und Entscheidung. Und deswegen muss man über dieses Thema ganz allgemein sprechen. Und natürlich ist es nicht in Ordnung, wenn es stattfindet.
    "Ich habe weder dieses Papier in Auftrag gegeben, noch habe ich es geschrieben"
    Detjen: Und jetzt sind Sie konkret damit konfrontiert, dass sich Leute an einen Vorfall erinnern, der eine ganze Zeit zurückliegen soll – zehn Jahre. Und da erheben Parteifreundinnen den Vorwurf, Sie seien an einem – so wie sich das liest – ziemlich fiesen Mobbing gegen die Geschäftsführerin Ihres hessischen Kreisverbandes Main-Kinzig beteiligt gewesen.
    Tauber: Ja, dazu habe ich an anderer Stelle schon alles gesagt. Das ist ein Vorgang, der elf Jahre zurückliegt. Ich habe weder dieses Papier in Auftrag gegeben, noch habe ich es geschrieben. Alle anderen Protagonisten sind nicht mehr in Amt und Würden. Die Dame war unter meiner Ägide auch Kreisgeschäftsführerin weiterhin, bis zu ihrer Pensionierung. Ich mag solche persönlichen Dinge, ehrlich gesagt, dann nicht weiter kommentieren. Sie muss selber wissen, was sie da umtreibt.
    Detjen: Aber Sie erinnern sich an den Vorfall, an dieses Papier?
    Tauber: Wissen Sie, damals hatten viele davon Kenntnis, auch das habe ich schon gesagt. Ich war nicht beteiligt am Schreiben des Papiers, ich bin nicht der Auftraggeber und ich habe eine leise Ahnung, warum das kurz vor meiner Nominierung aus der Schublade gezogen wird.
    Detjen: Gibt es etwas, was Sie da rückblickend bedauern?
    Tauber: Da ich es nicht geschrieben habe, habe ich mir da nichts vorzuwerfen.
    Detjen: Herr Tauber, wir haben über Angela Merkel und ihre bevorstehende vielleicht schon getroffene aber noch nicht verkündete Entscheidung gesprochen. Ist der CDU-Parteitag Anfang Dezember das, was Angela Merkel den "gegebenen Zeitpunkt" nennt?
    Tauber: Auch da gilt das, was die Vorsitzende immer sagt: Zu gegebener Zeit wird sie es uns wissen lassen, ob sie diesen Zeitpunkt für den gegebenen hält.
    Detjen: Wird der CSU-Vorsitzende, Horst Seehofer, beim CDU-Parteitag – so wie das Tradition ist bei den Unionsparteien – als Gastredner sprechen?
    Tauber: Wissen Sie, erstens sind die Einladungen noch nicht verschickt beiderseitig – auch darüber reden die beiden Vorsitzenden zusammen – und das Wichtige – und auch da sind wir uns jetzt wieder einig – ist natürlich auch die gemeinsame inhaltliche Basis. Und über die sprechen wir jetzt im Vorfeld auf den Deutschlandkongress, um dann auch mit Blick ins neue Jahr zu entscheiden, wie die gemeinsame Aufstellung fürs Bundestagswahlprogramm und für den Wahlkampf selbst aussieht.
    Detjen: Die Frage dränge ich Ihnen aber ja nicht auf, denn sie ist von Horst Seehofer aufgeworfen, der schon angekündigt hat, dass er Angela Merkel nicht auf dem CSU-Parteitag sehen will. Ist das inzwischen geklärt?
    Tauber: Das habe ich so nicht gehört, muss ich Ihnen ehrlich sagen.
    Detjen: So musste man es verstehen.
    Tauber: Ja, aber da weiß ich nicht, ob ich Ihrer Interpretation folgen möchte.
    Detjen: Ist es denn geklärt? Die Spitzen der Parteien haben ja jetzt viel miteinander gesprochen. Wir sitzen ja gerade in Würzburg, da gab es eine Veranstaltung beider Parteien, da kommen wir sicherlich auch gleich noch drauf zu sprechen. Aber zunächst nochmal die Frage: Ist oder wie weit ist das Verhältnis zwischen den beiden Vorsitzenden geklärt?
    Tauber: Wir hatten eine wirklich konstruktive, gute Sitzung am Ende der Woche und haben in der Woche ja auch andere Themen auf den Weg gebracht. Bei der Erbschaftssteuer haben wir jetzt ein Ergebnis, jetzt ist die nächste große Aufgabe das Thema Bund-Länder-Finanzen. Also, ich glaube, damit wird deutlich, wir schauen da nach vorne und wir lösen die Aufgaben.
    Detjen: Trotzdem noch einmal die Frage: Ist das Verhältnis oder wie weit ist das Verhältnis zwischen den Vorsitzenden der Parteien geklärt nach den letzten Begegnungen, das die Parteien ja bis in die Tiefe, bis in die Breite der Basis hinein belastet hat? Das ist auch hier in Würzburg ja nochmal deutlich geworden.
    Tauber: Ja, das war zu spüren in den gemeinsamen Veranstaltungen und Terminen, dass wir uns sehr darum bemühen, Antworten zu geben auf diese Fragen, die aktuellen – ich habe das Thema Erbschaftssteuer, das lange im Raum stand, genannt. Wir reden jetzt über die anderen noch offenen Punkte, auch die, die wir in der Koalition gemeinsam mit der SPD auf den Weg bringen wollen und müssen. Auch da ist es ja so, dass zum Beispiel beim Thema Freihandel die Union sich einig ist: Wir wollen eine starke Wirtschaft, wir wollen alles tun für Arbeitsplätze, wir müssen aber gucken, dass wir das gut tun und dass wir deutsche und europäische Interessen da einbringen – da verhält sich Sigmar Gabriel ein bisschen anders. Also, am Ende des Tages sehe ich, dass die Gemeinsamkeiten sehr stark sind. Dass wir auch immer Unterschiede haben, ist aber nichts Neues, nur, ich glaube, man merkt einfach, die sind nicht so groß, wie sie manchmal gemacht worden sind.
    "Dass wir eine europäische Lösung brauchen, um die Außengrenze zu schützen, auch da haben wir gar keinen Dissens"
    Detjen: Herr Tauber, ich habe jetzt beobachtet hier in Würzburg, das Treffen. Da wird über Gemeinsamkeiten besprochen, aber es ist doch nach wie vor vollkommen unübersehbar, wie groß die Hürden auch sind, wie groß die trennenden Fragen sind in der Flüchtlingspolitik und namentlich auch die Feindseligkeit – man kann das gar nicht anders sagen –, die Angela Merkel entgegentritt. Da tritt ja jemand auf und sagt also: 'Wenn eine Partei vom Abstieg bedroht ist, dann ist das wie im Fußball, dann muss der Trainer ausgewechselt werden' - und da gibt es Applaus im Saal.
    Tauber: Schauen Sie, wir sind uns bei den zentralen Fragen einig. Wir haben darüber geredet. Wir wollen, dass geltendes Recht umgesetzt wird. Und der Eindruck ist eben im letzten Jahr entstanden, dass das nicht ausreichend geschah. Da gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen CDU und CSU, dass wir das Notwendige tun müssen, damit wir wissen, wer ist im Land. Das ist das Erste. Das Zweite, wir müssen dringend unterscheiden zwischen Asyl und Flucht und Einwanderungen auf der anderen Seite. Deswegen muss klar sein, wenn Asyl- und Fluchtgrund entfallen sind, muss derjenige Deutschland verlassen, es kann keinen dauerhaften Aufenthaltstitel geben. Dass man, wenn man hierherkommt um hier zu arbeiten, Integrationskurs durchlaufen muss, Sprachkurs absolvieren muss, auch da gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen den beiden Unionsparteien. Dass wir eine europäische Lösung brauchen, um die Außengrenze zu schützen, auch da haben wir gar keinen Dissens. Wir streiten darum, wie wir weiterkommen können bei der Frage einer Begrenzung, ob es dafür eine Obergrenze braucht oder ob wir dafür andere Mechanismen finden, ob wir an diesem Wort festhalten müssen, da gibt es Bewegung in der Diskussion, das haben Sie gemerkt. Und da sind wir eben in einem Gespräch. Aber die Gemeinsamkeiten, die sind sehr, sehr groß, gerade auch bei dem Flüchtlingsthema.
    Detjen: Welche Bewegung gibt es da in der Diskussion? Da wird von anderen Begrifflichkeiten gesprochen. Bewegt man sich dann aber, was Zahlen, Kontingente, Obergrenzen angeht, aufeinander zu? Ist das die Lösung, dass man für das, was bisher Obergrenze genannt wird, den Begriff Richtgröße, Kontingent verwendet und dann ist das die Einigung?
    Tauber: Schauen Sie, wenn klar ist, dass jemand, der als Asylbewerber und Flüchtling zu uns kommt, nicht auf Dauer bleiben kann, sondern dass er nach Entfallen des Fluchtgrundes wieder gehen muss, es sei denn er erfüllt eine große Zahl von Voraussetzungen – eben den Integrationskurs, Sprachkurs, andere Dinge, einen Arbeitsplatz –, dann kann man natürlich darüber reden, ob diejenigen, die einwandern ins Land, ob man da sagt: Da verständigen wir uns auf eine bestimmte Zahl. Ich glaube aber, dass diese Zahl sich daran orientieren muss, welchen Bedarf hat unser Land, was brauchen wir an Einwanderung für unsere Volkswirtschaft, für den Fachkräftemangel. Da wird man nicht eine starre Zahl festlegen können, sondern da wird man das individuell überlegen müssen. Und auch da gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen CDU und CSU, dass diese Zahl sich nach den Interessen unseres Landes orientieren muss, wenn wir über Zuwanderung reden.
    Detjen: Sie waren ja einer der Ersten in Ihrer Parteienfamilie, der sich schon vor der Zuspitzung der Flucht- und Migrationskrise im letzten Jahr stark dafür gemacht hat, ein Einwanderungsgesetz in Deutschland zu erlassen. Wenn ich Sie richtig verstehe, ist diese Überlegung für Sie nach wie vor und vielleicht mehr denn je aktuell?
    Tauber: Die CDU hat dazu eine Beschlusslage. Wir wollen die bestehenden Regeln in einem Gesetz zusammenführen – ich streite mich nicht über den genauen Namen. Und die CSU hat jetzt auch einen Beschluss gefasst, sie ist für ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz – auch da streite ich mich nicht über den Namen. Aber wenn man gemeinsam aufschreibt und Regeln festlegt, unter welchen Voraussetzungen Menschen nach Deutschland kommen können, um hier zu leben und zu arbeiten, dann finde ich das einen guten Ansatz. Und auch da merkt man, offensichtlich sind wir auf dem Weg zu Gemeinsamkeiten da ein gutes Stück vorangekommen.
    Detjen: Sie haben auch bei dieser gemeinsamen Veranstaltung hier in Würzburg – die hieß "Deutschlandkongress" – über Gesellschaftspolitik über Integrationsfragen gesprochen. Der schwerste Vorwurf, der noch vor einem Jahr aus der CSU gegen die Bundeskanzlerin zu hören war, wurde immer so formuliert: "Die Bundeskanzlerin Angela Merkel will ein anderes Land". Jetzt sagt Angela Merkel selbst in ihrer Haushaltsrede: Deutschland bleibt Deutschland – mit allem, was uns lieb und teuer ist. Aber die Frage ist ja: Was ist der CDU, was ist der Union lieb und teuer und ist es das Gleiche?
    Tauber: Sie hat gesagt: Deutschland wird Deutschland bleiben – mit allem, was uns lieb und teuer ist, und niemand wird trotzdem bestreiten, dass sich unser Land seit 1945 verändert hat und zwar sehr zum Positiven. Und jetzt geht es um die Frage – darüber haben wir ja geredet unter dem Stichwort "Leitkultur", unter dem Stichwort "Wertebasis", aber auch, wie ich finde, unter dem sehr spannenden Stichwort "Wertekenntnis" –, was setzt das denn voraus? Ist es nur das Grundgesetz? Nein. Sondern es sind Regeln des Umgangs miteinander, es sind kulturelle Fragen, es ist die Akzeptanz von Unterschieden, es ist die Neugier aufeinander, es ist der Respekt, es ist der Fleiß, es ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Und sicherlich in einer pluralistischen Gesellschaft wird es auch Werte geben, die ich jetzt nicht aufgezählt habe, die andere für sich sehr wichtig finden. Und da gibt es in den beiden Unionsparteien wegen des "C" eine ganz große Übereinstimmung, ohne dass wir den Anspruch erheben, dass die Werte, die wir für wichtig erachten, die alleingültigen sind.
    Detjen: Haben Sie sich gefragt, ob das noch gilt, als Sie das Zitat Ihres Kollegen, des Generalsekretärs der CSU, Andreas Scheuer, gehört haben, der von ministrierenden Senegalesen spricht, die besonders schlimm sind, weil man sie nicht mehr abschieben kann?
    Tauber: Also ich finde, Andi Scheuer hat es verdient, dass man ihm da mal zuhört, wie es dazu gekommen ist. Und er sagt ja selbst, er empfindet, dass das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen und verkürzt ist. Und ich finde, reden Sie mit ihm nochmal darüber.
    Detjen: Aber Herr Tauber, es ist klar, das hat Gauland, als er über Boateng gesprochen hat …
    Tauber: … ja, Entschuldigung.
    "Ich hätte es auch so nicht formuliert"
    Detjen: Also, so ein Zitat ... ich kann es ja nochmal vorlesen: "Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist, weil den wirst du nie wieder abschieben." Das ist blanker Rassismus, auch wenn man vorher augenzwinkernd sich für die Sprache entschuldigt.
    Tauber: Nein, ich bin jetzt nicht derjenige, der Andi Scheuer erklären muss, wie gesagt, das muss er selber tun. Ich hätte es auch so nicht formuliert. Aber die Frage, die dahintersteht, ist eben eine andere. Es geht um die Frage: Warum haben wir denn so große Probleme bei der Umsetzung des Asylrechts in den vergangenen Jahren? Wie kann es sein, dass Menschen lange hier sind, keinen geklärten Status haben? Warum haben wir bei den Verfahren so lange gebraucht? Und da müssen wir eben auch besser werden.
    Detjen: Aber das ist ja dann eine Frage an Ihre Parteien. Ist es, wenn man nicht sagt schlimm, ist es bedauernswert, ist es erstrebenswert, dass man Menschen, die lange hier sind, bestens integriert sind, dass man die abschiebt?
    Tauber: Das ist ja die Erfahrung der letzten Jahre. Wir haben in den letzten Jahren viele Fälle gehabt, wo Menschen eben lange auf eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge warten mussten, wo vor Ort schon unheimlich viel an Integrationsmaßnahmen stattgefunden hat und wo dann in der Tat aufgrund der Länge der Zeit auch entschieden wurde: Nein, entgegen der Rechtslage – sie müssten eigentlich gehen – dürfen sie bleiben. Und ich finde, das ist den Menschen gegenüber nicht fair und es ist eben nicht das, was – wie ich finde zu Recht – die Menschen bei uns im Land auch erwarten können, dass Regeln die da sind, eingehalten werden. Und deswegen ist es ja so wichtig, dass hier Verfahren beschleunigt werden, damit derjenige, der zu uns kommt, klar weiß, worauf er sich einlässt. Hat er eine Bleibeperspektive, dann lernt er die Sprache, macht einen Integrationskurs oder wird er gleich wieder gehen müssen. Und das ist ja ein Teil der Debatte: Warum ist es uns nicht gelungen in den letzten Jahren, das entsprechend aufzubauen. Und da leisten Frank-Jürgen Weise im BAMF und viele an anderer Stelle eben auch gute Arbeit, damit wir da besser werden.
    "Die Wahrheit ist auch, dass in den letzten Jahren wir auch viele andere Baustellen hatten"
    Detjen: Die Frage ist aber auch: Warum ist es nicht gelungen, auch in der Union nicht gelungen, die Diskussion, die Sie angestoßen haben, schon längst viel weiter voranzutreiben? Angela Merkel hat ja in ihrer Stellungnahme nach der Landeswahl von Berlin von Versäumnissen gesprochen, die auch etwas damit zu tun haben, gar nicht auf das letzte Jahr bezogen, sondern sich darauf bezogen haben, man hätte sich schon viel, viel früher – "viele, viele Jahre", sagte sie – viel mehr auf die Migrationsströme, auf mögliche Fluchtströme vorbereiten können.
    Tauber: Ich finde, einerseits ist es doch gut, wenn wir darüber reden, haben wir auch Sachen falsch gemacht. Den Eindruck zu erwecken, es war immer alles richtig, den sollte keiner erheben. Die Wahrheit ist auch, dass in den letzten Jahren wir auch viele andere Baustellen hatten. Es ist ja nicht so, dass man einfach nur da im Bundestag saß und dachte: 'Na ja, gut, was fällt uns denn jetzt mal ein als Gesetz?' Sondern wir hatten die Staats- und Finanzkrise in der Welt – das war ein weltweites Ereignis – mit allen möglichen Auswirkungen, die wir teilweise ja bis heute spüren. Wir haben die Staatsschuldenkrise in Europa mit allen Folgen und Konsequenzen, die wir bis heute spüren. Wir erleben doch einfach, dass diese Welt sich verändert, dass Herausforderungen gar nicht mehr sozusagen lange schon am Horizont sichtbar sind, um sich darauf einzustellen, sondern dass man oft unmittelbar und schnell entscheiden und reagieren muss. Und dass dann noch hinzukommt, man ist noch gar nicht fertig mit dem einen Problem und schon kommt das nächste. Und deswegen finde ich es einerseits gut, nochmal zu überlegen: Hätten wir gewisse Entwicklungen früher sehen können? Dann kann man heute vielleicht auch nochmal den Blick auf andere Dinge richten. Das hilft aber nichts, die Probleme muss man eben jetzt lösen. Und man kann es eben nicht mehr rückwirkend tun. Deswegen, bleibe ich ja dabei, ist zum Beispiel das Abkommen mit der Türkei wichtig und es wäre noch wichtiger, wir hätten vergleichbare Abkommen auch mit anderen Ländern.
    Detjen: Angela Merkel hat gesagt, faktisch, da sind Fehler gemacht worden, sie wünschte sich, das Rad der Zeit zurückdrehen zu können. Die einen haben das so verstanden, dass sie Fehler in den zentralen Streitfragen ihrer Flüchtlingspolitik eingestanden hat. Wenn man genau zugehört hat, steht sie da aber hart zu dem, was im letzten Jahr gewesen ist. Hat sie sich da bewusst missverständlich ausgedrückt, sich auf die CSU zubewegt, wissend, dass sie in den Streitfragen aber die Position nicht räumt?
    Tauber: Na ja, also ich habe den Eindruck, dass das, was Angela Merkel da gesagt hat, natürlich in der Linie steht, die wir auf dem Parteitag in Karlsruhe beschlossen haben. Wir haben auf dem Parteitag sehr genau darüber diskutiert: Was ist jetzt eigentlich in den letzten Wochen und Monaten geschehen? Vor welchen Herausforderungen stehen wir da? Wie haben wir das bis jetzt bewältigt? Aber vor allem: Was ist jetzt noch zu tun? Und alle Entscheidungen, das Asylpaket I, das Asylpaket II, die Beschleunigung der Verfahren, die Unterstützung der Kommunen, die sicheren Herkunftsländer des Balkans, jetzt die Debatte um die sicheren Herkunftsländer Nordafrikas, all diese Dinge haben wir auf dem Parteitag diskutiert und beschlossen. Und ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich habe ja schon viele Parteitage der CDU mitgemacht, ich kann mich an wenige erinnern, wo ein Beschluss gefasst wurde, der danach so wortnah umgesetzt wurde, Gesetzeskraft erlangt hat und jetzt eben – das ist das Nächste – auch einen Ausblick gegeben, was als Nächstes zu tun ist. Und das, finde ich, ist ihre Aufgabe als Kanzlerin.
    Detjen: Das Problem scheint mir zu sein – so schildern es auch viele Ihrer Parteifreunde –, dass man auf diese Maßnahmen verweisen kann, dass man auf Erfolge verweisen kann, es kommen nicht mehr so viele Flüchtlinge, man hat das Abkommen mit der Türkei geschlossen, das möglicherweise auch ein Modell für weitere Abkommen mit Mittelmeeranrainerstaaten sein kann und sein soll. Aber trotzdem stellt man dann fest, wenn man zur Basis geht, da hat es einen Vertrauensabriss gegeben, der sich auch in den jüngsten Wahlergebnissen niederschlägt, der ist so tief. Und dann hört man doch immer wieder den Zweifel und das Nachdenken darüber: Wie kriegen wir das eigentlich wieder in den Griff? Wie können wir dieses verlorene Vertrauen, da sich ja gerade auch an der Figur Angela Merkel festgemacht hat, wieder herstellen?
    Tauber: Wissen Sie, wir haben alle im letzten Herbst diesen Satz aufgegriffen: Das ist eine der größten Herausforderungen seit der Deutschen Einheit, vielleicht sogar noch weiter zurück. Und ich glaube, dass es ganz normal ist, wenn es wirklich so eine große Herausforderung war und ist, wenn es wirklich eine Krise war, dass Menschen dann erstmal zweifeln, ob sie wirklich gemeistert ist, ob das Problem wirklich gelöst ist. Und dann muss man sagen: Wir brauchen dafür manchmal auch noch Zeit. Manche Dinge gehen schneller. Die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, das ging relativ schnell, aber den Nachweis zu erbringen, dass unsere Gesellschaft integrationsfähig ist und dass, wenn wir dann wissen, wer wirklich bleibt, wir diese Zahl der Menschen auch erfolgreich integrieren können, auch angesichts der Erfahrung in deutschen Städten von gescheiterter Integration, dass das Fragen sind, das finde ich sehr legitim. Und da muss die Politik eben nicht nur besser erklären, sondern sich zusätzlich auch fragen: Gibt es weitere Maßnahmen, die notwendig sind? Wie die sicheren Herkunftsländer Nordafrikas, wie auch die Frage: Tun wir schon genug in den Kommunen, um dort zu unterstützen bei der Integration? Diese Fragen und auch neue, an die wir heute noch gar nicht denken, werden sicherlich kommen.
    "Die Union tut gut daran, einerseits sich klar nach rechts abzugrenzen"
    Detjen: Jetzt manifestiert sich dieser Vertrauensabriss nicht nur für die CDU, aber in besonderer Weise für die CDU, auch im Erstarken einer anderen Partei, der AfD. Wir sind hier – ich habe es eben erwähnt – in Bayern, in Würzburg, wo Sie sich mit der CSU getroffen haben. CSU-Politiker verweisen darauf, dass die AfD in Bayern bei Umfragen deutlich schlechter abschneidet als im Rest Deutschlands und sie begründen damit dann auch nicht nur ihre Forderungen in der Sache, sondern auch – wir haben über Andreas Scheuer gesprochen – die zugespitzte Rhetorik. Was leiten Sie aus dieser Beobachtung mit Blick auf die Umfragen ab?
    Tauber: Ach, wenn ich an das Kommunalwahlergebnis in Niedersachsen denke, stelle ich auch fest, dass die AfD dort deutlich schlechter abgeschnitten hat als in Mecklenburg-Vorpommern oder jetzt auch in Berlin. Insofern glaube ich, dass jede Wahl und jedes Ergebnis auch seine eigenen Besonderheiten hat, wenn man sich Wählerwanderungen anschaut und so weiter. Ich glaube, die Union tut gut daran, einerseits sich klar nach rechts abzugrenzen – da hilft uns das "C". Als Christdemokrat ist man Patriot aber eben wegen des "C" nie Nationalist. Und dann tun wir auch gut daran zu sagen: Wir dienen diesem Land seit 70 Jahren, wir lassen uns da jetzt auch nicht kirremachen, sondern wir arbeiten, wir haben gerade Verantwortung, wir tun das gemeinsam, und dazu dienen ja auch die Deutschlandkongresse, um das nach außen zu dokumentieren. Dass dabei die beiden Unionsparteien manchmal unterschiedlich sprechen und auch manchmal unterschiedliche Positionen haben, das ist auch normal – das war übrigens immer so in der Geschichte – und es ist ein bisschen auch unsere Stärke.
    Detjen: Herr Tauber, die nächste Wahl in Deutschland ist die Wahl des Bundespräsidenten am 12. Februar. Es heißt, man habe sich festgelegt in einem Spitzengespräch, einen gemeinsamen Kandidaten der Großen Koalition zu benennen. Ist das das Ziel?
    Tauber: Ich glaube, dass wir gute Erfahrungen damit gemacht haben, an der Spitze unseres Landes einen Menschen zu haben – einen Mann/eine Frau –, die gerade in Zeiten wie diesen in der Lage ist, Menschen zusammen zu bringen. Und wenn das eine der Voraussetzungen ist, dann tun die Parteien gut daran, möglichst zu zeigen, dass dieses Amt nicht im Parteienstreit vergeben wird.
    Detjen: Muss das neue Staatsoberhaupt – der Mann/die Frau –, das zwangsläufig in einer fünfjährigen Amtszeit des Bundespräsidenten auch mit Parteienstreit, mit Parteienpolitik konfrontiert ist, ein politischer Profi sein oder kann es auch ein Außenseiter sein?
    Tauber: Ich glaube oder lassen Sie mich es aus meiner Position als Generalsekretär beantworten, ich wünsche mir natürlich einen Präsidenten oder eine Präsidentin, die sagt: Dieses Land und unsere parlamentarische Demokratie braucht Parteien, braucht Menschen, die sich ehrenamtlich in Parteien engagieren, weil sonst diese Republik nicht funktionieren wird. Und bei allem Streit und auch allem Ärger und Unmut, den man über Parteien immer wieder artikulieren kann, zitiere ich einen Kollegen von Ihnen, der in der "FAZ" geschrieben hat: "Was Besseres als die Parteien, hat auch noch keiner erfunden, um politische Willensbildung zu organisieren." Und ich glaube in der Tat, neben einem Präsidenten, der Präsident für alle ist, wenn der zusätzlich noch das Signal aussendet: Unsere Demokratie braucht starke Parteien, dann wäre das ein schöner Anspruch, den ich an meinen künftigen oder meine künftige Präsidentin hätte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.