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Flüchtlingsunterbringung in BaWü
Krisen managen auf dem kurzen Dienstweg

Die Flüchtlingsfrage ist Chefsache geworden, statt dem Innenministerium ist nun Kanzleramt zuständig. Was in Berlin jetzt erst startet, hat sich bereits seit Monaten in Baden-Württemberg bewährt – im Planungsstab Flüchtlingsunterbringung. Dort arbeiten aller Behörden und Hilfsorganisationen Schreibtisch an Schreibtisch, in Sicht- und Rufweite, zusammen. Chef der Kompanie: ein Feuerwehrmann.

Von Thomas Wagner | 15.10.2015
    "Jetzt, Donnerstag, da müssen wir da noch mal verifizieren, was die an Hallen zur Verfügung haben."
    Ein fensterloser Raum im baden-württembergischen Innenministerium. Lagebesprechung: Um die hufeisenförmig angeordneten Tische sitzen gut zwei Dutzend Frauen und Männer. An den Wänden: Monitore, eine Großbildleinwand, auf der das Bild eines leer stehenden Kasernengebäudes erscheint – eine neue Flüchtlings-Unterkunft. Aber:
    "Es ist im Moment sehr schwierig, weil wir derzeit Lieferschwierigkeiten bei Feldbetten haben. Die sind weltweit gut gefragt. Und wir müssen da sehr, sehr improvisieren. Wir haben jetzt schon Bestände des amerikanischen und kanadischen Roten Kreuz angefragt. Es ist im Moment wirklich schwierig, Feldbetten zu bekommen. Wir müssen derzeit auf Matratzen ausweichen."
    Jeden Tag ein neues Problem – für Michael Uibel vom Deutschen Roten Kreuz nichts Ungewöhnliches. Jeden Morgen ist er dabei, wenn der baden-württembergische Planungsstab Flüchtlingsunterbringung zusammenkommt. Und jeden Morgen sitzt er gemeinsam mit Vertretern von Regierungspräsidien, Ministerien, Bundeswehr, Feuerwehr und Technischem Hilfswerk gemeinsam am Tisch. Dann die Nachricht: Weitere 1000 Flüchtlinge sind unterwegs, Richtung Baden-Württemberg, wie nahezu jeden Tag.
    "Am Anfang war's tatsächlich so, dass wir innerhalb von Stunden agieren mussten. Und wir hatten gottseidank unser K-Lager in Kirchheim-Teck, wo wir zum Beispiel Schlafsäcke vorhalten, in Betrieb. Und es hat alles gut geklappt. Aber es ist wirklich dünn gestrickt und an Oberkante gelegt."
    Doch derjenige, der die Sitzung leitet, strahlt professionelle Gelassenheit aus: Hermann Schröder, Anfang 60, arbeitet alle Fragen, die während der Lagebesprechung aufkommen, Punkt für Punkt ab. So hat er es gelernt. Schröder ist im baden-württembergischen Innenministerium eigentlich Landesbranddirektor.
    "Ich bin Feuerwehrmann, der nicht nur für Feuerwehren zuständig ist, sondern auch für Rettungsdienste und Krisenbewältigung. Wir lernen in unserer Ausbildung, wie man kritische Lagen bewältigt. Und ob man sich dann um einen Brand oder um eine Vogelgrippe oder in diesem Fall jetzt um eine Unterbringungsproblematik für Flüchtlinge kümmert: Die Verfahren, wie man Krisen bewältigt, sind vergleichbar, auf alle Situationen anwendbar."
    Kaum eine Minute, in der nicht das Telefon klingelt: Der Chef ist gefragt wie kein anderer im Planungsstab, lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Seine oberste Devise: Nicht nur kurzfristig reagieren, sondern perspektivisch, vorausschauend agieren.
    "Es wäre kurzfristig, zu warten, was heute die Meldung bringt. Wir planen immer so Acht-Tage-Schritte im Voraus. Wir können einigermaßen abschätzen, wie groß der Zulauf im Schnitt ist. Und hierauf bereiten wir unsere Unterbringungskapazitäten vor."
    Das Prinzip des vorausschauenden Handelns über den Tag hinaus hat sich auch Alexandra Rief vom baden-württembergischen Ministerium für Finanzen und Wirtschaft zu eigen gemacht. Sie sitzt ebenfalls täglich im Planungsstab. Ihr Job: Täglich muss sie sich auf dem Immobilienmarkt nach neuen Unterkünften umsehen. Und das ist häufig nicht einfach.
    Immobilieneigentümer wollen aus Flüchtlingskrise Kapital schlagen
    "Man hört das ja überall, dass die Nachfrage jetzt groß ist: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Wir müssen mit höheren Preisen rechnen."
    Immer wieder kommt es vor, das Immobilienhaie und Mietwucherer aus der Flüchtlingskrise Kapital schlagen wollen und Fantasiepreise für ihre Objekte verlangen:
    "Wir lassen uns aber nicht auf jedes Angebot ein. Wir suchen das Gespräch und versuchen, die Preise herunter zu handeln, soweit es geht: Manchmal haben wir Glück, manchmal nicht, je nachdem."
    Im Lagezentrum mit am Tisch sitzt ein stämmig wirkender Mann in olivgrüner Uniform: Oberstleutnant Reinhart Hirtzel ist Reserveoffizier der Bundeswehr. Mittlerweile sind in den Flüchtlingsunterkünften auch Bundeswehrsoldaten im Einsatz. Dafür gilt aber das Subsidiaritäts-Prinzip.
    "Subsidiär heißt, dass wir erst dann in Erscheinung treten, wenn die zivilen Kräfte an ihre Grenzen kommen. Und das ist im Moment tatsächlich so. Wir betreuen die Flüchtlinge ein Stück weit, in dem wir Soldaten eingesetzt haben, die in den Lagern sind, einfach als Ansprechpartner: Wo kriege ich jetzt eine Handy-Karte her? Wie funktioniert das jetzt mit den Verpflegungssets? Dass wir die Flüchtlinge vorbereiten können auf die Situation in Deutschland."
    Hier der Bundeswehr-Mann, dort die Frau vom Sozialministerium, drum herum Vertreter von Technischem Hilfswerk, Rotem Kreuz, Ministerien, Regierungspräsidien: Das alle an einem Tisch sitzen, direkt miteinander sprechen können, abseits der normalen Behördenhierarchien und Zuständigkeiten, ist nach Ansicht von Planungsstab-Chef Hermann Schröder entscheidend bei der Bewältigung der Flüchtlings-Krise:
    "Das ist das Grundprinzip des Erfolgs. Die Kunst liegt daran, den Stab so auszurichten, dass alle Fachkundigen hier im Land vertreten sind, dass sie ihre Informationen, ihr Wissen auch einbringen können."
    Hier huscht ein Lächeln über das Gesicht des Landesbrand-Direktors und obersten Flüchtlingskrisenmanagers. Denn: Mittlerweile hat das Planungsstab-Modell Nachahmer gefunden.
    "Das ist, glaube ich, schon ein Muster gewesen in dem Sinn, dass wir die ersten waren, die das entwickelt haben. Und wir sind auch ein bisschen stolz darauf, dass auch auf Bundesebene die neue Struktur unter Altmaier, unserem Model sehr, sehr ähnelt. Von daher gesehen, waren wir nicht schlecht."