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Flüchtlingsunterkünfte
Initiative will Frauen und Kinder besser schützen

Rückzugsräume für Frauen und Kinder, Aufklärung und psychosoziale Betreuung: Eine gemeinsame Initiative von UNICEF und dem Bundesfamilienministerium setzt sich für Schutzstandards in Flüchtlingsunterkünften ein. Auf einer Regionalkonferenz in Hamburg wurde diskutiert, wie die Umsetzung dieser Standards bundesweit gelingen kann.

Von Axel Schröder | 16.11.2016
    Alltag im Flüchtlingsheim Essen im Herbst 2014
    Mindeststandards sollen dabei helfen, Frauen und Kinder in Flüchtlingsunterkünften vor Gewalt zu schützen und den Zugang zu Bildungsangeboten und psychosozialer Unterstützung zu verbessern. (picture-alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Ulrike Scheen freut sich, dass heute in Hamburg ein Thema diskutiert wird, dass ihr am Herzen liegt. Ulrike Scheen arbeitet in einer Flensburger Flüchtlingsunterkunft für die AWO, die Arbeiterwohlfahrt. Und natürlich sei der Schutz von Kindern und Frauen in den oft spartanischen und zum Glück nicht mehr überfüllten Unterkünften immer noch nicht so gut, wie sie sich das wünsche:
    "Auf der einen Seite ist es das Problem der Dunkelziffer. Auf der anderen Seite ist das ein Problem der Scham. Schon wenn wir bedenken, wir reden, die wir hier leben, auch nicht ständig über unser Sexualleben, auch, wenn unser Sexualleben nicht von Gewalt betroffen ist. Über sexualisierte Gewalt zu reden, ist für viele Frauen nicht möglich, weil es eben so ein großes Tabu-Thema ist."
    Gewalt wird oft schon auf der Flucht erlitten
    Den Frauen die Angst vor dem Reden über Gewalt und sexuelle Übergriffe zu nehmen, braucht viel Zeit und vor allem geschützte Räume innerhalb der Unterkünfte. Belastbare Zahlen über die Anzahl von Übergriffen gibt es nicht. Klar ist aber, dass die Gewalt oft nicht erst in den Flüchtlingsunterkünften, sondern schon auf der Flucht erlitten wird, so Ulrike Scheen. Bei ihr und anderen Helfern finden sie heute schon ein offenes Ohr für ihre Nöte, Ängste und Traumata:
    "Wir führen Interviews, in denen sie ihre Flucht schildern können, ihre Betroffenheit durch sexualisierte Gewalt oder Gewalt überhaupt. Die sich häufig darin zeigt, dass die Frauen ihren Körper angeboten haben, um überhaupt hierher kommen zu können oder von Schleusern benutzt wurden oder halt auch mit ihrem Körper bezahlt haben, um ihre Kinder zu schützen."
    Mindeststandards sollen deutschlandweit in Flüchtlingsunterkünften gelten
    Ulrike Scheen nimmt heute an der vierten von insgesamt sieben Regionalkonferenzen der "Initiative zum Schutz von Frauen Kindern in Flüchtlingsunterkünften" teil. Veranstaltet wird sie von der Kinderschutz-Organisation "Plan International". Mit dabei sind aber auch das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen und das Bundesfamilienministerium. Erarbeitet wurden bereits sogenannte Mindeststandards, die eines Tages in Flüchtlingsunterkünften in ganz Deutschland gelten sollen, so Maike Röttger, die Vorsitzende von "Plan International Deutschland":
    "Das sind solche Dinge wie, dass die Toiletten zum Beispiel außerhalb sind. Dass da oft die Männer vor stehen und rauchen. Da haben sich die Kinder einfach nicht hin getraut, auch die Frauen nicht. Das kann dann dazu führen, dass zum Beispiel Frauen nicht mehr trinken, weil sie Angst haben, nachts auf Toilette zu gehen und Kinder eben auch."
    "Es hat ganz viel mit Aufklärung zu tun"
    Zum einen müssten Rückzugsräume für Frauen und Kinder in den Unterkünften zum Standard werden. In Eltern- oder Frauencafés kann der erste Kontakt mit den Helferinnen und Helfern hergestellt werden:
    "Es hat ganz viel mit Aufklärung zu tun. Wir arbeiten mit den Eltern in sogenannten 'Eltern-Sessions'. Wir machen Aufklärung darüber, wie man Kinder gut erzieht, wie die Standards dazu hier Deutschland sind. Wir machen sogenannte 'Kultur-Sitzungen', in denen wir darüber informieren, wie die Situation in Deutschland ist und wir bilden junge Flüchtlinge selber aus, damit sie selber das übernehmen in den Unterkünften, weil es uns immer ganz wichtig ist, mit ihnen gemeinsam zu arbeiten. Nur so schaffen wir es, dass auch wirklich langfristig eine bessere Situation in den Unterkünften geschaffen wird."
    "Wir müssen diese Probleme, die wir haben, benennen"
    Unterstützt wird das Engagement für mehr Schutz in den Unterkünften auch vom Bundesfamilienministerium. 500.000 Euro stehen dafür zur Verfügung. Eigentlich seien auch die Bundesländer davon überzeugt, dass gehandelt werden muss. Warum es trotzdem noch keine bundeseinheitlichen Regelungen gibt, hat vor allem zwei Gründe, erklärt Ralf Kleindieck, Staatssekretär im Bundesfamilienministerium:
    "Es ist einmal so, dass es in der Politik nicht immer so beliebt ist, dass Defizite und Mängel benannt werden. Wir finden das aber beim Schutz von Frauen und Kindern überhaupt keinen gangbaren Weg. Da müssen wir diese Probleme, die wir haben, benennen. Sonst können wir sie ja nicht beheben. Das ist der eine Punkt. Und der andere Punkt ist, dass die Länder sich immer ein bisschen schwertun, wenn der Bund sagt: 'Jetzt lasst uns mal einheitliche Verpflichtungen einführen!'"
    Am Ende soll es bundesweit 25 Beratungsstellen geben, die den vor Ort aktiven Menschen bei der Umsetzung von Mindeststandards in Flüchtlingsunterkünfte helfen.