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Flüchtlingsversorgung
"Ich finde, die Diskussion hat etwas Unanständiges"

Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günther Burkhardt, hat den Vorstoß mehrerer Politiker, Gelder für Flüchtlinge durch Sachleistungen zu ersetzen, im DLF kritisiert. Es gebe ein absolutes Existenzminimum, um sich in Deutschland bewegen zu können und um am Leben teilhaben zu können. Dafür brauche man Bargeld, sagte Burkhardt.

Günther Burkhardt im Gespräch mit Thielko Grieß | 17.08.2015
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl
    Günther Burkhardt (Pro Asyl): Man kann die Menschenwürde nicht beliebig hin- und herinterpretieren. (Imago)
    Thielko Grieß: Bis zu 143 Euro monatlich bekommen Flüchtlinge, bekommen Asylbewerber, wenn sie in einer Erstaufnahmeeinrichtung auf das Ergebnis ihres Asylantrags warten. 143 Euro, von denen zum Beispiel Kleidung bezahlt werden muss, Telefongespräche in die Heimat, Nahrungsmittel, die über die Gemeinschaftsverpflegung in der Unterkunft hinausgeht. Die Unterkunft selber allerdings muss davon nicht bezahlt werden, die wird gestellt. Dieses Taschengeld, diese 143 Euro, sei zu üppig, heißt es aus etlichen Ecken des Landes. Der Bundesinnenminister hat sich so geäußert, der bayerische Innenminister, etliche mehr.
    Schauen wir auf eines der Länder, durch das viele Flüchtlinge hindurchreisen. Das ist Mazedonien, ein Balkan-Land. Dort kommen viele Flüchtlinge an, die aus Griechenland wiederum kommen, und auch das ist ja nicht ihr Herkunftsland, sondern sie kommen über die Türkei häufig aus Ländern des Nahen Ostens. Mazedonien, die Behörden dort, die haben es weitgehend aufgegeben, die Flüchtlinge selber zu beherbergen. Sie werden durchgewunken.
    In Deutschland gibt es die Organisation Pro Asyl, eine Organisation, die sich für die Interessen von Asylbewerbern und Flüchtlingen einsetzt. Ihr Geschäftsführer heißt Günther Burkhardt und den begrüße ich jetzt am Telefon. Schönen guten Tag nach Frankfurt am Main.
    Günther Burkhardt: Guten Tag!
    Grieß: Sie haben gerade eine Mail bekommen, das haben Sie gehört. Aber da müssen Sie kurz drauf warten. - Wir haben jetzt einige Minuten Zeit, über die deutsche Debatte zu sprechen. Das Taschengeld für Asylbewerber sei eine Zumutung für die deutschen Steuerzahler, sagt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Sie, Herr Burkhardt, sind ja auch Steuerzahler. Was wird Ihnen da zugemutet?
    Burkhardt: Das ist absurd, was der Innenminister formuliert. Das sogenannte Taschengeld ist ja schon eine Beschönigung. Wir reden vom Existenzminimum, dass Menschen sich eine Fahrkarte kaufen können, um in die nächste Stadt zu fahren.
    Wir wollen doch nicht, dass Asylsuchende versorgt werden, dass man sie zwangsweise isoliert, sondern dass sie arbeiten auf Dauer, und dazu müssen sie sich bewegen können, brauchen sie Sprachkurse, Integrationshilfen. Das kostet am Anfang eines Aufenthaltes Geld, ist aber gut investiert.
    "Es gilt die Würde des Menschen zu schützen"
    Grieß: Aber das geht natürlich bei sehr, sehr vielen Asylbewerbern, verglichen mit früheren Jahren, richtig ins Geld inzwischen.
    Burkhardt: Ja, es kostet Geld. Das ist richtig. Wir haben nur hier keine andere Wahl. Es gibt in Deutschland das Grundgesetz. Es gilt, die Würde des Menschen zu schützen. Das ist das oberste Gebot des Staates. Das hat das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren entschieden. Und ich verstehe nicht, wie der bayerische Innenminister diesen Richterspruch missachtet. Ich sehe dies als Stimmungsmache auf Kosten der Asylsuchenden, wo auch die Hilfsbereitschaft und die Aufnahmebereitschaft der Menschen, die in Deutschland da ist, untergraben wird.
    Grieß: Nun ist es nicht nur der bayerische Innenminister, müssen wir dazu sagen, der sich entsprechend äußert. Es sind etliche andere Politiker auch und auch Amtsleiter, zum Beispiel vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Aber die Würde des Grundgesetzes, die im Grundgesetz festgeschrieben ist auch für Asylbewerber und Flüchtlinge, lässt sich die, Herr Burkhardt, nicht auch mit Gutscheinen schützen?
    Burkhardt: Ich verstehe nicht, was das soll! Es gibt ein Existenzminimum. Das würde hier unterschritten werden. Und wenn ich gerade die Verbindung ziehen darf zum Beitrag, den Sie vorher schilderten? Es sind ja vor allem Syrer, Afghanen. Wir haben solche Menschen in Griechenland getroffen, auf Lesbos, auf Kos, mit Angehörigen in Deutschland, die über diese gefährliche Balkan-Route hier herkommen. Und dann kommen sie an und ich sage, ihr bekommt weniger als das, was das Existenzminimum ist in Deutschland.
    Das ist eine Diskussion, die ist verquer. Ich habe den Eindruck, der Innenminister aus Bayern will und andere wollen Deutschland unattraktiv machen für Flüchtlinge, denken, dass sie deswegen nicht kommen. Wer aber aus Syrien flieht, aus Afghanistan flieht, in Deutschland Verwandte hat, der bleibt doch nicht in Mazedonien oder Griechenland oder Ungarn.
    "Das geht nicht mit Sachleistungen"
    Grieß: Jetzt verstehe ich Sie an einem Punkt nicht ganz, Herr Burkhardt. Warum sinken die Leistungen automatisch, wenn ich Gutscheine ausstelle anstatt Bargeld, also Taschengeld auszuzahlen?
    Burkhardt: Das ist das Minimum, sich bewegen zu können in Deutschland, um sich selbst Bedürfnisse zu befriedigen, mal Verwandte anzurufen, mit einem Anwalt zu telefonieren. Dafür ist dieses Bargeld erforderlich. Das geht nicht mit Sachleistungen.
    Grieß: Aber 143 Euro wird kaum jemand im Monat vertelefonieren. Es geht doch in der Argumentation ...
    Burkhardt: Aber Sie brauchen in Frankfurt für eine Monatskarte mehr Geld.
    Grieß: Für den öffentlichen Nahverkehr?
    Burkhardt: Ja sicher! Flüchtlinge sind doch oft untergebracht am Rande von Siedlungen, außerhalb gelegen. Wenn sie sich bewegen - und das ist sinnvoll, dass sie sich bewegen -, auch um sich eine Arbeit zu suchen, brauchen sie Bargeld.
    Grieß: Die Argumentation ist ja, da dieses Geld womöglich in manchen Fällen angespart wird, und dann gehen die Menschen zurück, zum Beispiel in die Länder des Westbalkans. Von denen wird ja spezifisch gesprochen, nicht so sehr Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien. Und die Konsequenz daraus sollte lauten, die Nahverkehrskarte im öffentlichen Nahverkehr in Frankfurt zum Beispiel könnte man den Flüchtlingen als Karte zur Verfügung stellen und eben nicht als Geldleistung.
    Burkhardt: Es geht aber auch um die Würde des Menschen, und die heißt, dass man sich selbst versorgt. Es hat was Entwürdigendes, wenn etwa Menschen versorgt werden mit Essenspaketen. Das war jahrelang eine Diskussion in Deutschland. Und wir wollen, dass Flüchtlinge hier leben können als Menschen, als Teil dieser Gesellschaft, und die Frage ist, warum jetzt in der Sommerpause eine Diskussion losgetreten wird, wo eine ganz geringe Chance auf Realisierung besteht, ohne dass man in eklatanter Weise die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts missachtet.
    Grieß: Käme es denn so? Können Sie sich eine Klage vorstellen vor dem schon angesprochenen Gericht in Karlsruhe?
    Burkhardt: Ja natürlich würde geklagt werden. Aber die Politik scheint ja in Kauf zu nehmen, dann schieben wir die Betroffenen mal schnell ab, dann wird ja keine Klage bis nach Karlsruhe durchgehen und dort entschieden werden.
    Ich finde, die Diskussion hat etwas Unanständiges, und vor allem suggeriert sie, die Menschen kommen ja nur her, weil es ihnen hier besser geht, weil sie mehr Geld wollen. Das ist nicht der Fall. Es gibt handfeste Gründe zu gehen, auch aus einem Staat wie Albanien, wo es Blutrache gibt, weswegen in Frankreich viele anerkannt werden. Bei uns wird aber nicht genau hingeschaut.
    "Die Menschen können nicht wie Stückgut in Europa hin- und hergeschoben"
    Grieß: Wenn ich die Statistiken richtig lese, dann haben viele der Westbalkan-Flüchtlinge Deutschlands Zielland, nicht so sehr Frankreich. Woran liegt das?
    Burkhardt: Das liegt zum Teil daran, dass aus dem früheren Jugoslawien viele Menschen als Gastarbeiter in den 70er-Jahren, 80er-Jahren in Deutschland waren.
    Viele sind zurückgekehrt, andere wissen, es gibt Anknüpfungspunkte, und man geht als Flüchtling in der Regel in das Land, wo es Anknüpfungspunkte gibt. Da ist nicht die Geldleistung oder die Höhe der Geldleistung entscheidend, sondern eher die Frage, gibt es Personen aus meiner Verwandtschaft, aus meinem Bekanntenkreis, die mir helfen können bei der Integration, bei der Wohnungssuche. Auch deswegen kommen viele Flüchtlinge aus Afghanistan oder Syrien hierher und ähnlich ist es in Bezug auf die Balkan-Staaten.
    Grieß: Sollte das so bleiben, Herr Burkhardt, oder haben Sie Verständnis für jene, die fordern, Flüchtlinge in der Europäischen Union gleichmäßig und gleichmäßiger als bislang zu verteilen?
    Burkhardt: Im Moment haben wir die Tendenz, dass alle Zäune bauen und jeder mit anderen Mitteln versucht, die Menschen fernzuhalten. Europa zerfällt in Nationalstaaten, wo jeder dem anderen die Verantwortung zuschiebt.
    Ein gesamteuropäischer Ansatz ist richtig. Wenn es aber dazu führt, dass man Menschen zwangsweise hin- und herschiebt und jetzt sagt, na gut, dann ist der Afghane in Ungarn angekommen und er soll dorthin wieder zurück, obwohl in Hamburg die Familie lebt, dann wird das nicht funktionieren. Die Menschen können nicht wie Stückgut in Europa hin- und hergeschoben werden nach einer statistischen Rechengröße.
    Grieß: Aber es geht auch nicht, dass sich manche Länder ganz rausziehen und sagen, damit haben wir nichts zu tun?
    Burkhardt: Nein, das geht auch nicht. Hier könnten diese Staaten zum Beispiel sich beteiligen an Aufnahmeprogrammen des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Und man muss natürlich dann auch über Geldtransfers reden. Warum denn nicht! Es ist immer einfacher, Geld zu verteilen als Menschen hin- und herzuschieben.
    "Wir setzen auf Vernunft"
    Grieß: Wir haben im Beitrag der Kollegin Barbara Schmidt-Mattern eben auch gehört, wer sich alles schon geäußert hat zu dieser Debatte. Das geht fast quer durch alle Parteien. Wo, Herr Burkhardt, sind denn Ihre politischen Verbündeten noch? Haben Sie noch welche?
    Burkhardt: Das ist in Deutschland immer so, dass in der Sommerpause und wenn Flüchtlingszahlen steigen es quer durch alle politischen Parteien Menschen gibt, die meinen, gewissen Stimmungen nach dem Mund zu reden. Nur sie fachen diese Stimmungen umso weiter an. Wir setzen auf Vernunft. Wir setzen darauf, dass die Würde des Menschen zählt und dass das, was jetzt hier lose dahergeplappert wird im Laufe des Sommerlochs, nicht in Gesetzesvorhaben umgesetzt wird.
    "Die Würde des Menschen kann nicht hin- und herinterpretiert werden"
    Grieß: Sehen Sie denn im politischen Betrieb noch irgendwo Vernunft, so wie Sie sie definieren?
    Burkhardt: Wir haben diese vernünftigen Stimmen bisher in allen demokratischen Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, aber es ist die Gefahr, dass Irrationalität das Handeln bestimmen kann. Da gilt es abzuwarten, weiter aufzuklären und mit sachlichen Argumenten zu informieren. Die Barleistungen sind Teil der Gesetze, die in Deutschland verabschiedet sind, und die Würde des Menschen kann nicht nach Meinung von Politikern hin- und herinterpretiert werden. Dem hat zum Glück das Bundesverfassungsgericht, das sagt, die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu revidieren, einen Riegel vorgeschoben. Der Satz heißt, ich darf nicht abschreckend weniger Geld zahlen als andere, damit die Flüchtlinge gar nicht hier herkommen.
    "Mobilität erfordert Bargeld"
    Grieß: Aber noch einmal: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht davon gesprochen, dass Bargeldzahlungen geleistet werden müssen.
    Burkhardt: Ja. Es gibt aber ein absolutes Existenzminimum, um sich bewegen zu können in Deutschland, um am Leben teilhaben zu können, das sogenannte soziokulturelle Existenzminimum, und dafür braucht man Bargeld.
    Grieß: ... sagt Günther Burkhardt, der Geschäftsführer von Pro Asyl in Deutschland. Herr Burkhardt, danke schön für das Gespräch und einen schönen Gruß nach Frankfurt am Main.
    Burkhardt: Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.