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Flüchtlingsverteilung
Bartsch: Merkel soll mehr Druck ausüben

Nach Ansicht von Linksfraktions-Chef Dietmar Bartsch muss Bundeskanzlerin Merkel Angela mehr Druck auf Polen und Ungarn ausüben, damit diese mehr Flüchtlinge aufnehmen. Er sagte im DLF, die Bundesregierung reagiere bei dem Thema vorbildlich. Nun müsse Merkel Führung zeigen, damit sich einzelne Staaten in der Flüchtlingsfrage nicht ausklinkten.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.12.2015
    Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke, spricht am 14.10.2015 im Deutschen Bundestag in Berlin bei der Debatte zu 70 Jahre Vereinte Nationen.
    Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke, im Bundestag (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Es sei inakzeptabel, wenn Polen und Ungarn sagten, sie wollten keine muslimischen Flüchtlinge aufnehmen, betonte der Vorsitzende der Linken im Bundestag. Schließlich stelle die Europäische Union ihren Mitgliedern reichlich finanzielle Mittel zur Verfügung.
    Allerdings sei die EU nicht nur eine Zugewinngemeinschaft und deshalb müssten sich auch alle Mitgliedsstaaten in der Flüchtlingsfrage engagieren, forderte Bartsch. "Die Flüchtlingsfrage wird europäisch gelöst, oder gar nicht."

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Am Telefon in Berlin begrüße ich Dietmar Bartsch, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag. Guten Morgen, Herr Bartsch.
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
    Dobovisek: Die Flüchtlingshilfe, unbestritten, kostet Geld und soll Schäubles schwarze Null dennoch nicht gefährden. Jetzt schlägt, wir haben es gehört, CSU-Chef Horst Seehofer vor, den Solidaritätszuschlag nicht wie geplant stufenweise abzubauen, sondern zu verlängern. Was halten Sie davon?
    Bartsch: Ich empfinde das als eine wirklich absurde und populistische Diskussion. Wir haben keine Entscheidung im Deutschen Bundestag, dass der Soli schrittweise zurückgeführt wird. Das ist eine Position der CDU/CSU, die ab 2020 gelten soll. Wer bis dahin regiert, ist völlig offen. Meine Partei zum Beispiel ist gegen die Abschaffung des Solis aus ganz anderen Gründen. Das war sie schon lange vor der Problematik mit den Flüchtlingen. Ich finde, dass es unverantwortlich ist, eine solche Diskussion zu führen, weil sie keinerlei Bezug zur Aktualität hat.
    Dobovisek: Können wir uns die Flüchtlingskrise leisten?
    Bartsch: Schauen Sie, Herr Schäuble hat auch für das nächste Jahr einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt. Das ist doch einigermaßen kurios. Am Anfang des Jahres, wo das nicht abzusehen war, ging er von einer schwarzen Null aus. Jetzt gibt es acht Milliarden mehr Kosten, es ist weiterhin eine schwarze Null. Das ist doch komisch.
    "Wir brauchen eine Debatte über Steuern in Deutschland"
    Dobovisek: Aber auch die Steuereinnahmen steigen.
    Bartsch: Aber das ist nicht der Grund dafür. Diese Steuerschätzung ist sogar im Herbst schlechter geworden. Wenn das der Grund wäre, wäre es ja eine Begründung. Die gibt es nicht. Es ist in diesem Haushalt erstens reichlich Puffer. Zweitens: Wir müssen endlich mal darüber nachdenken, in Deutschland die wirklich unnormale Aufspaltung bei Einkommen und Vermögen. Es ist die größte in Europa und wir haben eine zunehmende Zahl von Milliardären. Darüber nachzudenken, wäre sinnvoll und nicht eine Diskussion zu führen, die interpretierbar wäre.
    Dobovisek: Sie sagen also, Herr Bartsch, der Soli soll bleiben, aber nicht für die Flüchtlinge.
    Bartsch: Der Soli - das ist die Position der Linken - soll bleiben. Wir brauchen generell - und das werden wir nach den nächsten Bundestagswahlen auch haben - eine Debatte über Steuern in Deutschland. Das was jetzt läuft, dass es verboten ist, überhaupt eine Frage zu stellen, wie wir unsere Einnahmen gestalten wollen, das ist nicht akzeptabel. Wir brauchen Entlastung bei denjenigen mit niedrigen Einkommen, aber wir müssen endlich die Superreichen und die Konzerne zur Kasse bitten. Dann sind sowohl die Aufgaben, die in Deutschland stehen - und die sind reichlich -, als auch die Thematik der Flüchtlinge finanzierbar.
    "Die Geldflüsse an den Islamischen Staat müssen aufhören"
    Dobovisek: Jetzt hat der sogenannte Islamische Staat offenbar viele Blankopässe erbeutet, hören wir. Was bedeutet das für die Kontrollen an den Grenzen Deutschlands, auch an den Grenzen der EU?
    Bartsch: Natürlich ist das ein Riesenproblem, was den Islamischen Staat betrifft. Aber ich wünsche mir, dass wir nicht auf Nebengleise gehen. Wir müssen - und da gibt es einige positive Zeichen -, aber vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, dass die Geldflüsse an den Islamischen Staat aufhören, dass endlich aufgehört wird, dass er Öl verkaufen kann. Wir müssen die Grenzen insoweit dicht machen, dass nicht Kämpfer zum IS neu kommen. Die Türkei ist weiterhin ein Transitland des Terrorismus. Dass die Pässe erbeutet haben, war im Übrigen schon vor einigen Monaten der Fall. Da wird vielleicht auch Schindluder getrieben. Das kann aber nicht dazu führen, dass wir jetzt etwa eine völlig neue Politik brauchen. Wir brauchen Ordnung in den Verfahren. Das ist seit Langem eine Forderung. Dafür brauchen wir zum Beispiel mehr Bundespolizei, vieles andere mehr. Aber diese Frage der gestohlenen Pässe jetzt zum Anlass zu machen, etwa wiederum bei den Syrern andere Verfahren einzuleiten, das wäre falsch.
    Dobovisek: Aber die Gefahr ist da, dass möglicherweise mit diesen Pässen Terroristen nach Europa, nach Deutschland einreisen können und nicht erkannt werden.
    Bartsch: Schauen Sie, diese Gefahr war vorher da. Die Terroristen in Frankreich waren im Wesentlichen aus Belgien und Frankreich. Wer denn glaubt, dass dafür diese gestohlenen Pässe notwendig waren, der ist wirklich reichlich naiv. Selbstverständlich konnte man das auch vorher tun. Selbstverständlich gab es gefälschte Pässe auch vorher. Damit wird auch wiederum auf einem sehr niedrigschwelligen Niveau versucht, Politik zu machen gegen Flüchtlinge. Wir brauchen etwas mehr Zurückhaltung aus der Politik. Wir brauchen eine Analyse, und zwar mit dem Ausgangspunkt, dass die Flüchtlinge die Botschafter der Kriege und des Elends dieser Welt sind. Und dann brauchen wir die Anerkennung des ersten Satzes unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar, und zwar aller Menschen.
    "Flüchtlingsfrage wird europäisch gelöst oder gar nicht"
    Dobovisek: Sie haben die Bundespolizei angesprochen, die Bundespolizei in Deutschland. Deutschland schickt fast 200 Polizisten nach Griechenland, um dort auch mitzuhelfen, die EU-Außengrenzen zu schützen. Ist das auch eine Form der europäischen Solidarität?
    Bartsch: Das sehe ich ganz anders. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Bundespolizei wirklich völlig unzulässig immer weiter reduziert worden ist, dass sie an der Grenze war schon vor der Flüchtlingskrise. Deswegen ist endlich auch durch Druck aus dem Parlament, auch durch Druck von der Linken hier anders entschieden worden, dass es mehr Bundespolizisten braucht. Allerdings Bundespolizei in andere Länder zu schicken, das sehe ich nun wirklich als völlig daneben an. Wir sollten die Aufgaben in unserem Lande realisieren.
    Dobovisek: Wollen Sie die Griechen dann alleine lassen?
    Bartsch: Es geht gar nicht darum, alleine zu lassen. Schauen Sie, wir haben die Griechen allein gelassen, als wir sie gepresst haben in der Eurokrise, indem wir ihnen Milliarden aufgedrückt haben.
    Dobovisek: Anderes Thema, Herr Bartsch. Die Griechen brauchen jetzt Hilfe, um die Grenzen so zu schützen, wie wir es gerne hätten.
    Bartsch: Genau. Dann sollten wir ihnen genau auch mit den finanziellen Mitteln helfen. Die Flüchtlingsfrage wird europäisch gelöst oder gar nicht, und da gehören viele Punkte dazu, auch die Hilfe für Italien, Griechenland und andere Länder, aber vor allen Dingen auch dafür Sorge zu tragen, dass alle europäischen Länder Flüchtlinge aufnehmen und dass sich nicht Regierungen ausklinken können. Dass Ungarn und Polen sagt, Muslime nehmen wir nicht, ist völlig inakzeptabel. Also: Ja europäische Lösung, aber nicht deutsche Polizisten etwa an die Außengrenzen der EU.
    "Europa ist nicht nur eine Zugewinngemeinschaft"
    Dobovisek: Warum gibt sich der Rest Europas demgegenüber so hilflos, wenn einzelne sagen, wir wollen nicht?
    Bartsch: Das ist mir auch unerklärlich. Da erwarte ich auch von der deutschen Kanzlerin, dass mehr Druck ausgeübt wird. Wir haben gesehen, gegen im Übrigen die Position der Linken, wie Länder - man sieht im Übrigen in Spanien, was es bringt - unter Druck gesetzt worden sind. Hier erwarte ich, dass ganz anderer Druck aufgemacht wird.
    Dobovisek: Welcher Druck?
    Bartsch: Europa stellt reichlich finanzielle Mittel zur Verfügung und man kann nicht Europa so betrachten, dass es nur eine Zugewinngemeinschaft ist, dass man die Dinge mitnimmt, die man kann, und wenn man hilft, dass man dann nicht bereit ist. Europa ist ein so großes Projekt von Frieden und Solidarität. Entweder das wird realisiert, oder es wird genau an dieser zweifellos großen Aufgabe scheitern.
    Dobovisek: Also Gelder Streichen für Ungarn, Polen und Co.?
    Bartsch: Zumindest Druck ausüben, dass hier Normalität eintritt. Wir können doch nicht zulassen, dass die Entwicklungen, die es in einigen Ländern gibt - ich verweise auf Polen, ich verweise auf Ungarn, aber da gibt es weitere. Wir müssen im Übrigen dort auch, um das klar zu sagen, durchaus kritisch mit unseren französischen Freunden und auch mit den Briten umgehen.
    Dobovisek: Und auch mit uns selbst, Herr Bartsch. Auch Deutschland hat sich nicht an die europäischen Regeln gehalten, indem es zum Beispiel 60.000 Flüchtlinge unregistriert nach Schweden hat weiterreisen lassen. Müssten also auch Deutschland Gelder gestrichen werden?
    Bartsch: Schauen Sie, auch an Deutschland ist vieles zu kritisieren, zum Beispiel auch die Frage, als es um Quoten ging. Deutschland hat es verhindert am Beginn des Jahres. Da war die Situation mit Griechenland eine andere. Jetzt auf einmal sind wir für Quoten. Da haben Sie sehr recht: Auch Deutschland müsste kritisch betrachtet werden. Jetzt aber meine ich das Thema der Aufnahme von Flüchtlingen. Da hat Deutschland eine andere Position eingenommen und wir sind dort vorbildlich. Es gibt das große Engagement vieler Menschen. Und es gibt Länder, die sich dort völlig ausklinken. Das ist inakzeptabel und da muss es auch Verständigung geben und da muss es entsprechenden Druck von Deutschland geben. Wir können ja mal Führung zeigen, nicht wie jetzt mehr Soldaten nach Afghanistan, Soldaten nach Syrien, sondern in dieser Frage, dass Europa solidarisch agiert.
    "Ein großer Sieg der Diplomatie"
    Dobovisek: Blicken wir auf die Soldaten in Syrien. Blicken wir auf die Fluchtursachen in Syrien, auf Krieg und Gewalt ohne Zweifel. Einen Friedensfahrplan für Syrien gibt es seit diesem Wochenende, eine Einigung im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf eine entsprechende Resolution. Schon im Januar soll es Friedensgespräche zwischen der Opposition und dem Assad-Regime geben, wenig später dann eine Übergangsregierung und spätestens in anderthalb Jahren freie Wahlen und eine neue Verfassung. Sind die Menschen, Herr Bartsch, in Syrien dem Frieden jetzt einen Schritt näher gekommen?
    Bartsch: Ich bin sehr froh, dass endlich die Diplomatie hier einen großen Sieg errungen hat. Ja, die UNO lebt, der Sicherheitsrat lebt. Das ist ein ganz wichtiger Schritt. Und ich glaube, dass dieser Weg in großer Konsequenz weitergegangen werden muss. Alle, die sich daran beteiligen und helfen, das kann man nur unterstützen. Ich freue mich auch, dass es in einzelnen Städten jetzt Waffenstillstände gibt. Das ist der eigentliche Weg. Wir brauchen allerdings dann auch dringend eine Zukunftsperspektive für Syrien als Land - da ist ein Schritt gemacht worden -, aber genauso auch für den Irak und auch für die Kurdinnen und Kurden. Denn das, was dort passiert, ist weiterhin hoch problematisch. Aber ich will das ausdrücklich sagen: Ein Schritt nach vorne, der zumindest ein bisschen Hoffnung macht. Wenn wir jetzt noch dazu organisieren, dass in den Flüchtlingslagern wirklich genügend Mittel vorhanden sind, dass die Menschen nicht hungern - und zwar in Jordanien, im Nordirak und und und -, das wäre ganz, ganz wichtig. Auch da wäre es notwendig, schnell initiativ zu werden.
    "Der IS produziert nicht einmal Messer"
    Dobovisek: Ein Sieg der Diplomatie, haben Sie gesagt, Herr Bartsch. Jetzt haben wir in Syrien allerdings das Regime und wir haben auf der anderen Seite auch den Islamischen Staat, Terroristen, jene, die vielleicht nicht mit am Verhandlungstisch sitzen sollten. Sie sind gegen einen Einsatz der Bundeswehr. Sie sind gegen Angriffe auf den Islamischen Staat. Ja sollen sie denn tatsächlich mit am Verhandlungstisch sitzen?
    Bartsch: Weder will das der Islamische Staat, noch sehe ich dafür eine Möglichkeit. Aber ich will darauf verweisen: Auf dem Territorium des Islamischen Staates werden nicht einmal Messer produziert. Diese Waffen kommen irgendwo her. Und eine dringende Maßnahme wäre, dass Waffenexporte in diese Region aufhören, nach Saudi-Arabien, nach Katar. Aus Saudi-Arabien, aus Katar laufen weiterhin Finanzströme. Es ist weiterhin so, dass Kämpfer zum IS kommen über die Türkei. Dort muss gehandelt werden. Der Ölschmuggel läuft leider, wenn auch etwas eingeschränkt, fort. Deshalb: Da müssen wir an all diese Punkte heran. Das ist das Entscheidende. Denn schauen Sie: Gebombt wird jetzt seit einigen Wochen. Im Übrigen wird seit Monaten von Amerikanern, von Russen, von der sogenannten Allianz mit Saudi-Arabien bombardiert. Das hat zu dem Ergebnis nicht geführt. Alle sagen, aus der Luft ist dieses Problem nicht mal militärisch lösbar. Wir brauchen also sehr wohl andere Maßnahmen, die dort eingeleitet werden. Wir haben immer gesagt, dieses Mandat, was es dort gibt, das können wir nicht unterstützen, weil es keine Perspektive bringt. Es zeigt vor allen Dingen, dass wir aus 13 Jahren Afghanistan offensichtlich nichts gelernt haben. Nach 13 Jahren Afghanistan sind die Taliban wieder erstarkt und wir haben dieselbe Situation und haben jetzt eine gewaltige Anzahl von Flüchtlingen aus Afghanistan, die einfach gehen, weil sie keine Perspektive sehen. Wenn wir daraus lernen, werden wir diesen Einsatz in Syrien so nicht unterstützen, und wir haben das als Linke anders als alle anderen Parteien im Deutschen Bundestag nicht getan.
    Dobovisek: ... sagt Dietmar Bartsch, einer der beiden Fraktionschefs der Linkspartei im Bundestag. Vielen Dank für das Interview.
    Bartsch: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.