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Flugzeugabsturz von Smolensk
Polen erhebt neue Vorwürfe gegen Russland

Bis heute geht man in Polen davon aus, dass es sich beim Absturz einer Regierungsmaschine im russischen Smolensk 2010 um einen Anschlag handelte. Damals kamen 96 Menschen ums Leben - darunter auch der polnische Präsident Lech Kaczynski. Sieben Jahre nach dem Unglück ermittelt die polnische Staatsanwaltschaft nun offiziell gegen die Fluglotsen in Smolensk.

Von Florian Kellermann | 04.04.2017
    Einmal im Monat organisiert die regierende PiS-Partei in Polen eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk 2006 - bisher stets begleitet von Protest von Regierungskritikern.
    Einmal im Monat organisiert die regierende PiS-Partei in Polen eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des Flugzeugabsturzes von Smolensk 2010. (picture alliance/ dpa/ Jan A. Nicolas)
    Polen geht nun ganz offiziell von einem Attentat aus. Der stellvertretende Generalstaatsanwalt Marek Pasionek erklärte:
    "Alte und neue Beweise erlauben es uns, neue Vorwürfe gegen die Fluglotsen zu erheben - und gegen eine dritte Person, die sich damals im Tower des Flughafens aufhielt. Der Vorwurf lautet: die vorsätzliche Herbeiführung einer Flugkatastrophe.
    Wir haben uns an die russische Regierung gewandt: Wir fordern sie auf, den Fluglotsen den Vorwurf vorzutragen und ein Verhör zu ermöglichen, an dem polnische Staatsanwälte teilnehmen. "
    Schon vor Jahren hatten polnische Experten festgestellt, dass die Fluglotsen Fehler begangen hatten. Sie hatten den Piloten beim Landeanflug mehrfach signalisiert, die Maschine sei auf Kurs, obwohl diese sich deutlich außerhalb des zulässigen Korridors befand. Allerdings unterstellte die polnischen Experten den Fluglotsen in Smolensk bisher keinen Vorsatz.
    Vorwurf des politischen Theaters
    Die polnische Opposition beschreibt die Aussagen der Staatsanwaltschaft als politisches Theater. Sie wolle nur davon ablenken, dass sie keine Beweise für ein Attentat gefunden habe, sagt Marcin Kierwinski von der rechtsliberalen "Bürgerplattform" (PO):
    "Die Staatsanwälte hatten nicht viel zu sagen. Den Nachfragen von Journalisten sind sie ausgewichen, mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen. Der Staatsanwaltschaft ging es nur darum, im Auftrag der Regierungspartei PiS vor dem nächsten Jahrestag des Unglücks die Atmosphäre anzuheizen."
    Tatsächlich untersteht Staatsanwaltschaft in Polen unmittelbar der Regierung. Die PiS verabschiedete schon im vergangenen Jahr ein Gesetz, wonach der Justizminister in Amtseinheit auch Generalstaatsanwalt ist.
    Die Regierungspartei machte auch nie ein Geheimnis daraus, dass sie Beweise für ein Attentat finden will. Die Wahrheit müsse ans Tageslicht kommen, wiederholt der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski seit vielen Jahren. Er verlor bei dem Absturz seinen Zwillingsbruder, den damaligen Staatspräsidenten Lech Kaczynski.
    Bisher jedoch gingen die meisten Spekulationen dahin, der Absturz des Flugzeugs sei durch eine oder mehrere, aus der Ferne gezündete, Explosionen an Bord herbeigeführt worden. Deshalb lässt die Staatsanwaltschaft derzeit fast alle Opfer der Tragödie exhumieren. Staatsanwalt Marek Kaczynski:
    "Bisher hat das Ermittlungsteam 16 Exhumierungen durchgeführt, die Leichen wurden seziert. Dabei wurde festgestellt, dass zwei der Leichen in den Särgen vertauscht waren. In fünf weiteren Särgen wurden Fragmente von Körpern gefunden, die eigentlich zu anderen Personen gehörten als denen im betroffenen Grab bestatteten."
    Bisher keine Beweise für Sprengstoff
    Bisher weist jedoch nichts darauf hin, dass die Ermittler auf Spuren von Sprengstoff gestoßen wären. Kritiker meinen: Die Staatsanwaltschaft bringe die Anschuldigungen gegen die Fluglotsen nur deshalb vor, damit die Regierung auch ohne den Nachweis von Explosionen weiterhin von einem Attentat sprechen könne.