Nach der Entscheidung in Karlsruhe

Schwieriger Umgang mit NPD-Urteil

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe; Aufnahme vom Januar 2017
Nach dem NPD-Urteil in Karlsruhe hat ein Stadtrat daraus Konsequenzen, die heute in Kassel vor dem Verwaltungsgericht verhandelt werden. © picture alliance / Uli Deck/dpa
Sebastian Roßner im Gespräch mit Dieter Kassel  · 05.04.2017
Kein Geld mehr für die NPD-Fraktion: Das hatte der Stadtrat im hessischen Büdingen im Januar 2017 nach dem gescheiterten Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht entschieden. Nun urteilt der Hessische Verwaltungsgerichtshof, ob es so bleiben darf. Der Jurist Sebastian Roßner kritisiert die Büdinger Entscheidung.
Ende Januar 2017 hatten die Stadtverordneten im hessischen Büdingen der NPD-Fraktion die Gelder gestrichen. Sie reagierte damit auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Die Karlsruher Richter hatten zuvor die NPD zwar nicht verboten, weil sie dafür zu unbedeutend sei. Die Richter wiesen aber auf "andere Reaktionsmöglichkeiten" gegen die Partei mit verfassungsfeindlichen Zielen hin - wie den Entzug der Parteienfinanzierung. Nun entscheidet der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel, ob die Satzungsänderung in Büdingen rechtlich in Ordnung ist.

Gleichheit der Parteien

"In Büdingen ist das sicherlich nicht okay", sagt der Jurist Sebastian Roßner im Deutschlandradio Kultur. Da die Gleichheit der Parteien im Grundgesetz verbrieft sei, gehe die Kürzung der Gelder rechtlich nicht. "Das gilt eben auch für die NPD", sagt der wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für öffentliches Recht der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

Kein guter Weg

Er sei über das Urteil der Karlsruher Richter verblüfft gewesen, so Roßner. Es habe den Büdinger Stadtrat erst zu dessen Entscheidung angeregt. "Das ist ungewöhnlich, dass das Gericht dem Verfassungsgeber einen konkreten Hinweis gibt, wie man denn ein als drängend empfundenes Problem beheben könne." Der Jurist sieht das Urteil kritisch. "Ich glaube, nicht, dass das ein wirklich guter Weg ist." Wenn man vom Gleichheitsgrundsatz für alle Parteien abweichen wolle, dann müsse man das in die Verfassung hineinschreiben. Es bleibe aber die Frage, ob das politisch sinnvoll sei. Es könne den kleinen Parteien, denen man die Finanzierung streiche, zusätzliche Publicity bescheren und eine Opferrolle produzieren. Er finde es problematisch, wenn der Staat sage, er unterstütze bestimmte Parteien aus inhaltlichen Gründen nicht, andere aber schon.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Verbieten wollte das Bundesverfassungsgericht die NPD schon zum zweiten Mal nicht, und als es am 17. Januar dieses Jahr sein diesbezügliches Urteil verkündete, da waren manche doch nicht wenig erstaunt, als in der Urteilsbegründung der Vorschlag auftauchte, man könne ja anders gegen die NPD vorgehen, nämlich mit finanziellen Methoden, zum Beispiel mit dem Entzug der Parteienfinanzierung. Das hat ziemlich viele Folgen gehabt.
Der Bundesrat zum Beispiel hat ungefähr einen Monat später beschlossen, die Parteienfinanzierung tatsächlich zu entziehen, aber die Stadt Büdingen in Hessen in der Wetterau, die war noch schneller. Sie hat den NPD-Abgeordneten im Rathaus die Entschädigungszahlungen für Fraktionsmitglieder gestrichen. Ob das in diesem Einzelfall rechtens war, darüber entscheidet heute der hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Die Grundsatzfrage, ob das überhaupt der richtige Weg ist, um mit der NPD und anderen Parteien aus dem rechten Spektrum umzugehen, die wollen wir jetzt allerdings mit Sebastian Roßner klären. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Düsseldorf. Schönen guten Morgen, Herr Dr. Roßner!
Sebastian Roßner: Schönen guten Morgen!
Kassel: Ich glaube, wenn man Menschen auf der Straße fragen würde, ist das okay, der NPD einfach Gelder zu streichen, würden die meisten sagen, ja, ja, ja, aber was sagen denn Sie als Jurist?
Roßner: Ja, muss man schauen. Also in Büdingen ist das sicherlich nicht okay, schon rein rechtlich deshalb nicht, weil die Gleichheit der Parteien verbrieft ist im Grundgesetz, und das gilt eben auch in Büdingen. Insofern, denke ich mal, wird der VGH Kassel heute feststellen, dass diese Satzungsänderung in Büdingen nicht in Ordnung ist. Aber der Stadtrat Büdingen stützt sich ja auf einen Hinweis, den er aus Karlsruhe bekommen hat, und wie Sie gerade in der Anmoderation gesagt haben, hat ja das Bundesverfassungsgericht angeregt – höchst ungewöhnlicher Weise –, das Recht zu ändern, um die Parteienfinanzierung so zu gestalten, dass man bestimmte Parteien aus inhaltlichen Gründen davon ausschließen kann. Und das ist eigentlich der Punkt, über den zu reden mir interessant scheint.

Überraschung aus Karlsruhe

Kassel: Ginge es Ihnen auch so als jemand, der als Jurist ja sich durchaus mit den Möglichkeiten des Verfassungsgerichts gut auskennt und auch mit anderen juristischen Möglichkeiten, dass Sie einfach erstaunt waren, als die Richter in Karlsruhe diesen Vorschlag gemacht haben?
Roßner: Ich war verblüfft. Ich habe ja die Verkündung des Urteils im Livestream bei Phoenix angeschaut und war zusammen mit anderen, und wir waren sehr erstaunt. Das ist ungewöhnlich, dass das Gericht dem Verfassungsgeber, das muss man ja sagen, nicht einfach nur dem Gesetzgeber, sondern dem Verfassungsgeber einen konkreten Hinweis gibt, wie man denn ein als drängend empfundenes Problem beheben könne. Das haben die auch ins Urteil reingeschrieben, aber das ist höchst ungewöhnlich in der Form.
Kassel: Aber das heißt doch eigentlich konkret, zu sagen, ja – das haben die Richter auch gesagt –, die NPD, um konkret noch mal bei denen zu bleiben kurz, ist verfassungsfeindlich, sie ist aber, das war ja auch die Begründung, zu unbedeutend, als dass wir deshalb konkret verbieten wollen. Deshalb schlagen wir euch vor – ich sag’s mal so lapidar –, ärgert sie anders. Ist das wirklich der Königsweg?

Publicity und Opferrolle

Roßner: Ja, ich glaube nicht, dass das ein wirklich guter Weg ist. Es hat drei Seiten, das Problem. Die erste Seite ist relativ einfach, das ist sozusagen die verfassungsrechtlich technische Seite: Die Gleichheit der Parteien, auf der dann eben auch die Gleichheit der Verteilung staatlicher Gelder an die Parteien beruht, steht in der Verfassung, und wenn ich davon aus inhaltlichen Gründen für eine bestimmte Partei eine Abweichung vornehmen möchte, dann muss ich das auch in die Verfassung reinschreiben. Das war genau das, was angeregt wurde, das funktioniert auch, wenn man das so macht – rechtlich, technisch.
Der zweite Aspekt, auf den es meines Erachtens nach zu achten gilt, wäre, ob das denn politisch auch sinnvoll ist. Das ist eine Prognose, also schadet es der Partei wirklich mehr, als es ihr nutzt, denn man darf ja bei der ganzen Sache nicht vergessen, dass wir – Sie haben es gerade gesagt – über sogenannte verfassungsfeindliche Parteien reden. Das ist ein Begriff, den es im Gesetz gar nicht gibt, sondern den man erst schaffen müsste. Und was damit gemeint ist, sind ja kleine Parteien, die aber bösartig sind. Und diese bösartigen Zwerge schlägt das Bundesverfassungsgericht jetzt vor, dadurch zu treffen, dass man ihnen die staatliche Parteienfinanzierung kürzt.
Jetzt ist natürlich die Frage, die man sich stellen kann, ob das nicht letztlich Publicity und eine Opferrolle produziert, die mehr wert ist als die paar hunderttausend Euro, die eine solche Partei bekommt. Denn wie gesagt, es geht um kleine Parteien, die man deshalb nicht verbieten kann, weil sie klein sind. Und die staatliche Parteienfinanzierung knüpft sich an den politischen Erfolg bei Wahlen oder an den Erfolg beim Einwerben von Spenden, und da sind diese kleinen Parteien typischerweise nicht besonders erfolgreich. Das heißt, es geht nicht um sehr viel Geld, und die Frage ist, ob das eine politisch sinnvolle Maßnahme ist.
Und der dritte Punkt wäre eben, zu schauen, was man eigentlich mit dem, was man altmodisch, den Geist der Verfassung nennen würde, macht, denn dahinter steht ja Demokratie. Und diese Demokratie, die wir im Grundgesetz in verschiedenen Formen ausgefaltet haben – bei Wahlen und so –, die basiert auf Gleichheit, und Gleichheit ist auch der Maßstab für die Bewertung von Regeln innerhalb der Demokratie. Und indem ich jetzt zwei Gruppen von Parteien schaffe, habe ich vielleicht einen rechtlich unanfechtbaren Weg gefunden zu differenzieren, aber Demokratie zielt ja auf Ergebnisse. Also es geht um einen politischen Wettstreit, und am Ende steht eine Wahl, und dieses Ergebnis muss auch sozusagen moralisch unanfechtbar sein. Da finde ich es problematisch, wenn ich sage, der Staat unterstützt bestimmte Parteien aus inhaltlichen Gründen nicht, andere aber schon.
Also stellen Sie sich vor, wir hätten irgendwie beim Radsport jemanden, der des Dopings überführt wird, und da sagt man, ja, du darfst zwar bei der Tour de France mitfahren, aber wir montieren dir ein Pedal ab. Das wäre ein Wettbewerb, den man nicht voll ernst nehmen kann. So schlimm ist es jetzt nicht, aber der Punkt ist, dass das Grundgesetz meines Erachtens nach mit seiner ursprünglichen Konzeption oder jetzigen Konzeption, wir verbieten die schlimmen Parteien und die anderen dürfen in gleicher Weise mitmachen am Wettbewerb, dass diese Konzeption richtig ist.

Gleichheit als Wurzel der Demokratie

Kassel: Mit anderen Worten zusammengefasst: Das, was das Verfassungsgericht vorgeschlagen hat und was jetzt von unterschiedlichen Entscheidern unterschiedlich, aber doch in eine Richtung geht, interpretiert wird, ist einfach inkonsequent. Also Sie sagen ja letzten Endes entweder oder – entweder verboten oder erlaubt, dann dürfen sie aber genau das Gleiche wie alle anderen Parteien auch und haben die gleichen Rechte.
Roßner: Ganz recht, genau. Es geht letztlich darum, dass die Demokratie – es ist eine Wettbewerbsordnung vor allem auch –, dass das geschützt wird in seiner Gleichheit. Das ist praktisch das – da können Sie bei Aristoteles schon nachlesen: Gleichheit ist die Wurzel der Demokratie. Und das gilt für die Bürger, das gilt aber auch für die, die sich als Kandidaten aufstellen, oder die Organisationen, die daran teilnehmen, an diesem Wettbewerb.
Und wenn man besonders gefährliche und böse Parteien von dem Wettbewerb ausschließt, ist das eine extreme Ausnahmemaßnahme – Parteiverbot –, die aber in dem Fall auch in Ordnung ist, denn diese Parteien, die man verbieten kann, die sind ja so gestaltet, dass sie den zukünftigen gleichen demokratischen Wettbewerb gefährden. Aber wenn diese Parteien unbedeutend sind – das hat das Bundesverfassungsgericht ja für die NPD umfangreich nachgewiesen –, dann funktioniert das nicht mit dem Ausschluss aus dem Wettbewerb, und dann ist es unglücklich, wie ich meine, sozusagen Parteien, die man mitmachen lassen darf, aber nicht unter gleichen Bedingungen zu schaffen. Also eine solche Gruppe von Parteien wäre letztlich eine Belastung für die Demokratie.
Kassel: Sagt Sebastian Roßner. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht der Universität Düsseldorf. Dr. Roßner, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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