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Flugzeugunglücke
Spanien stärkt Rechte von Angehörigen und Opfern

Seit 2013 gibt es in Spanien das Gesetz über die Rechte der Angehörigen der Opfer von Flugzeugunglücken. Diese Rechte hat das Parlament jetzt noch einmal erweitert. So vorbildlich, dass sich auch Vertreter von deutschen Angehörigenverbänden dafür interessieren.

Von Hans-Günter Kellner | 17.04.2015
    Am Anfang gaben die ersten Berichte noch Anlass für Hoffnung. Von sieben Toten sprachen die Nachrichtenagenturen in ihren ersten Meldungen über den Flug JK5022. Als die Angehörigen am Zielflughafen Las Palmas auf Gran Canaria am Nachmittag in ein Flugzeug nach Madrid stiegen, hofften viele, sie könnten ihre Eltern, Kinder oder Geschwister im Krankenhaus besuchen. Erst nach der Landung in Madrid kündigte der Pilot an, sie würden jetzt auf das Madrider Messegelände gebracht.
    Die Messehallen waren schon bei den Anschlägen auf die Madrider Vorortzüge von 2004 als Leichenhalle genutzt worden. Auch Pilar Vera fuhr auf das Messegelände, ihre Nichte hatte in der Unglücksmaschine gesessen.
    "Das war eine echte Folter. Einen Tag nach dem Unglück war immer noch nicht die Zahl der Toten bekannt. Als wir zwei Tage später erfuhren, dass 154 von 172 Passagieren gestorben sind, brach für uns eine Welt zusammen. Mehr als zwei Tage auf die offizielle Passagierliste - also auf Gewissheit - zu warten, hat mich stark traumatisiert. Darum habe ich bei der EU 2009 darauf gedrängt, dass die Passagierlisten nach solchen Unglücken so schnell wie möglich bekannt gegeben werden."
    Mehr Informationen und ein Raum zum Trauern
    Pilar Vera ist inzwischen Vorsitzende der Organisation der Angehörigen der Opfer des Spanair-Unglücks. Was sie nach der Katastrophe erlebt hat, soll niemand mehr durchmachen, sagt sie. Im Falle eines Unglücks müssen Fluggesellschaften in Spanien seit 2013 spätestens nach zwei Stunden die Passagierliste veröffentlichen. Auch müssen sie dann umgehend geschützte Versammlungsorte einrichten. Die Angehörigen der Spanair-Opfer wurden 2008 noch von einem Ort zum anderen gebracht. Auch daran, sie vor neugierigen Blicken zu schützen, hatte niemand gedacht.
    "Da hat sich jeder irgendwie reingemogelt. Verkäufer von Ratgeberbüchern, von Bibeln, Prediger irgendwelcher Weltuntergangsreligionen. Jeder, der sich einen Arztkittel überzog, kam rein, auch Journalisten. Und Rechtsanwälte, die für US-amerikanische Anwaltskanzleien Verträge auf Englisch anboten."
    Erweiterte Rechte
    Seit 2013 gibt es in Spanien das Gesetz über die Rechte der Angehörigen der Opfer von Flugzeugunglücken, für das Pilar Vera wichtige Lobbyarbeit geleistet hat. Diese Rechte hat das Parlament jetzt noch einmal erweitert: Für Rechtsanwälte gibt es in Spanien nun eine ganz besondere Beschränkung:
    "Anwälten ist jetzt bis zu 45 Tage nach einer solchen Tragödie verboten, den Angehörigen ihre Dienste anzubieten. Das Gesetz ist eigentlich für die Opfer von Unglücken der zivilen Luftfahrt gedacht, weil gerade hier US-amerikanische Anwaltskanzleien ihre Mandanten suchen. Aber jetzt gilt es auch für andere Unglücke mit Massentransportmitteln. Hier gab ja schließlich auch andere Katastrophen – etwa 2013 das Zugunglück von Santiago de Compostela. Hier waren Rechtsanwälte besonders gerissen: Eine Kanzlei hat eine eigene Opferorganisation gegründet."
    "Die Medien sind mit den Passagieren grausam umgegangen"
    "Vorbildlich" nennt Pilar Vera die Gesetzgebung in Spanien über die Rechte der Opfer und ihrer Angehörigen von Flugzeugkatastrophen jetzt. So vorbildlich, dass sich auch Vertreter von deutschen Angehörigenverbänden dafür interessieren, erzählt sie. Ein weiteres Problem regelt das spanische Gesetz allerdings nicht: den Sensationsjournalismus:
    "Die Medien sind mit den Passagieren grausam umgegangen. Diese Menschen standen nie im Licht der Öffentlichkeit. Aber dann tauchten plötzlich Fotos von ganzen Familien in den Zeitungen auf. Für die Angehörigen war das furchtbar. Sogar Bilder von Kindern haben die veröffentlicht. Gerade, weil so jemand nicht noch mehr Schmerz ertragen kann, darf man nicht neuen hinzufügen."
    Anders als in Deutschland gibt es in Spanien keinen Presserat, bei dem sich Opfer über die Berichterstattung und das Verhalten der Medien beschweren könnten. Die Rolle der Medien sei bei den parlamentarischen Beratungen im Vorfeld der Abstimmung nur kurz angesprochen worden, erklärt Carmen Quintanilla von der konservativen Volkspartei. In der Parlamentsdebatte wurde das Thema gar nicht mehr erwähnt. Einen Freibrief bedeute dies allerdings nicht, betont die Abgeordnete:
    "Ich weiß nicht, ob wir das nicht eines Tages regulieren müssen. Manche meinen, die Pressefreiheit als einer der Grundpfeiler der demokratischen Gesellschaftsordnung stünde über dem Schutz der Menschenwürde – zumindest steht sie aber manchmal im Widerspruch dazu. Die Sensationsgier führt dazu, dass Medien den Schmerz von Menschen instrumentalisieren, um Auflagen zu steigern oder Einschaltquoten zu erhöhen."