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Förderschule wider Willen

Dass behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsamen Unterricht besuchen sieht die UN-Behindertenrechtskonvention vor, die der deutsche Bundestag 2009 ratifiziert hat. Seither bereiten sich die Länder darauf vor, die Konvention umzusetzen. Mit mäßigem Erfolg.

Von Andrea Lueg | 18.02.2011
    Die neunjährige Begüm war an diesem Morgen wie immer fröhlich in ihre Grundschule im Kölner Süden marschiert. Als sie zum Rektor gerufen wurde und der sie bat, ihre Bücher abzugeben und nach Hause zu gehen, brach eine Welt für sie zusammen. Sie werde, erklärte der Rektor, künftig auf eine andere Schule gehen – eine Förderschule. Der Bescheid des Schulamtes über diese Entscheidung traf bei den Eltern erst später ein. Und die sind entsetzt, denn sie wollen nicht, dass Begüm auf eine Förderschule geht. Vater Fikret Karaaslan sagt:

    "Heutzutage Schüler von der Hauptschule die haben schon Probleme mit einem Ausbildungsplatz; und ein Kind von einer Förderschule hätte nie irgendwelche Chancen."

    Begüms Grundschule hatte ein Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs durchführen lassen. Und der war dann auch festgestellt worden. Dass Begüm in der Schule Schwierigkeiten hat, bestreiten die Eltern nicht. Sie haben bereits Sprach- und Ergotherapie für die Kleine organisiert. Doch das reicht Schule und Schulamt nicht.

    "Und da kam es halt vor, dass wir von der Klassenlehrerin ziemlich unter Druck gesetzt wurden, dass das Schreiben unterschrieben werden müsste, dass das Kind in eine Förderschule müsste."

    Die Karaaslans wollen aber nicht vom Schulamt gezwungen werden, ihre Tochter auf eine besondere Schule zu schicken. Sie haben Klage eingereicht. Laut UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland bereits 2009 ratifiziert hat, müssen sie das auch nicht. Die schreibt nämlich vor, dass alle Kinder das Recht haben, eine Regelschule zu besuchen. Nur ist die Konvention in NRW und auch in anderen Bundesländern noch nicht in die Schulgesetze integriert worden. Obwohl das Land NRW Inklusion als zentrales schulpolitisches Ziel ausgegeben hat. So entsteht eine unklare Rechtslage, mit der Rechtsanwältin Anne Quack, an die sich die Eltern wandten, in ihrer Praxis häufiger zu tun hat.

    "Ich kenne mittlerweile relativ viele Schulämter in NRW und die arbeiten unterschiedlich. Die einen sagen, sobald die Eltern Theater machen rudern die zurück und es gibt andere, die haben sich ihre Meinung gebildet zu dem jeweiligen Kind, welches die entscheidenden Personen in der Regel gar nicht sehen, die entscheiden nach Aktenlage, wenn die dann überzeugt sind, das Kind gehört in die Förderschule, dann ziehen die das gnadenlos durch. Da gibt es gravierende Unterschiede."

    Obwohl das Verfahren vor Gericht noch läuft, besteht das Schulamt darauf, dass die Grundschülerin auf eine Förderschule geht – und zwar sofort. Es drohte den Eltern Zwangsgeld an, falls dies nicht passiert. Sofortvollzug heißt das in der Juristensprache. Auch dagegen wehren sich die Eltern.

    "Der Stand der Dinge ist, dass die Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht anhängig ist gegen den Sofortvollzug. Die Klage ist sowieso anhängig, da tut sich derzeit nichts, weil es eben im Rahmen dieses Eilantrages beim Oberverwaltungsgericht ist."
    Das Kölner Schulamt will sich zum laufenden Verfahren nicht äußern. Magna Becker, zuständig für den Bereich Förderschulen erklärt aber:

    "Unsere Situation ist die, dass das Landesrecht jetzt schon, den Eltern das Recht einräumt jederzeit im Verfahren einen Antrag auf gemeinsamen Unterricht zu stellen. Das ist schon immer möglich gewesen nach dem jetzigen Recht. Wir haben hier schon sehr lange jeden Antrag auf gemeinsamen Unterricht mit großer Sorgfalt bearbeitet."

    Nur: Da es nicht genügend Plätze für gemeinsamen Unterricht an Grundschulen gibt, droht vielen Kindern dann doch die Zwangszuweisung an eine Förderschule. Dass eine Klärung solcher Probleme vor Gericht in der Regel wenig hilfreich ist, räumt Magna Becker ein. Dennoch könne das Gericht eingeschaltet werden,

    "Wenn man sich in vielen Gesprächen mit den Eltern nicht auf einen Weg, der dem Wohl des Kindes entspricht, einigen kann."

    Inzwischen hat ein Kinderpsychologe übrigens festgestellt, dass Begüm keine Lernbehinderung hat und bescheinigte ihr eine durchschnittliche Intelligenz, erklärt Rechtsanwältin Quack.

    "Da wurde diagnostiziert eine akute Belastungsstörung, was ich mir aus der Entwicklung von Begüm versucht habe zu erklären, am Anfang hatte sie Sprachschwierigkeiten, dann kam immer eins aufs andere und wenn Stress kommt, macht das Kind sich dicht."

    Wie lange das Verfahren der Karaaslans noch dauern wird, ist schwer abzusehen. Und auch, wie lange es dauert, bis die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt ist. Die Familie wird nun aber umziehen. In der Hoffnung, dass in einer anderen Gemeinde gemeinsamer Unterricht für Begüm möglich wird.