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Folgen der Arabellion
Der arabische Frühling frisst seine Kinder

Mitten in Tunis schossen Mitglieder der Terrormiliz IS im März wild um sich. 24 Menschen kamen bei dem Anschlag ums Leben. Tunesien - das Land, in dem 2010 der Arabische Frühling begann - sollte gezielt destabilisiert werden. Und tatsächlich: Tunesien droht sich seit den Anschlägen zurückzuentwickeln. Und nicht nur in Tunesien scheint der Plan des IS aufzugehen.

Von Marc Thörner | 30.04.2015
    Tunesier beklagen ihre Verwandten, die während des sogenannten Arabischen Frühlings ums Leben kamen.
    Ein Polizist sichert das Bardo-Museum am Tag nach dem Terroranschlag in Tunis. (Mohamed Messara, dpa picture-alliance)
    Avenue Habib Bourgiba, die Hauptstraße von Tunis, im März 2015. Gut eine Woche nach dem tödlichen Anschlag auf Touristen im Bardo-Museum versammeln sich Tausende, um gegen den Terror zu protestieren. Unter ihnen auch eine junge Frau, dezent geschminkt, mit Kopftuch. In den Händen hält sie ein Schild mit der Aufschrift: "Rettet die Revolution!"
    "Ich bin für die Freiheit, auch wenn ich meine Haare verschleiere. Ich tue das nicht, weil ich Terroristin bin. Ich respektiere auch alle anderen Religionen. Und ich habe keinerlei Probleme, Standpunkte zu akzeptieren, die von meiner Meinung abweichen."
    "Wir sind gegen den Polizeistaat. Wir sind für die Freiheit"
    Als gäbe es nur eine Stimme, scheinen sich die Demonstranten an diesem Tag zu den Freiheitsidealen der arabischen Revolution zu bekennen. Gleichzeitig geht bei vielen die Angst um. So auch bei Afif Geiji, einem Anwalt Anfang 50:
    "Ich befürchte ein Szenario, in dem es immer mehr solche Vorfällen wie den Bardo-Anschlag gibt; dass jemand in Tunesien willentlich ein Chaos anrichten könnte, um anschließend davon zu profitieren. Irgendjemand könnte so ein Attentat durchführen allein mit dem Zweck, dass sich die Situation bei uns immer weiter zuspitzt. Wenn man uns den Krieg erklärt, dann reagieren wir auch wie im Krieg. A la guerre comme à la guerre. Wir sind gegen den Polizeistaat. Wir sind für die Freiheit. Aber ich sage auch: Die Freiheit hört da auf, wo sie missbraucht wird. Und wir sind heute die Opfer eines Missbrauchs, der von Fanatikern ausgeht. "
    Der 88-jährige Beiji Caid Essebsi wurde im Oktober 2014 zum tunesischen Präsidenten gewählt. Unter dem Regime des Staatsgründers Bourgiba war der Veteran der tunesischen Politik mehrfach Minister. Unter dem Langzeitdiktator Ben Ali fungierte er als Präsident der Abgeordnetenkammer, galt aber als weitgehend integer, weil er nicht zu Ben Alis unmittelbarer hochkorrupter Entourage gehörte.
    Beiji Caid Essebsi
    Beiji Caid Essebsi (picture alliance / dpa )
    2012 gründete Essebsi die betont säkular auftretende Partei Nida Tounès. Sie entwickelte sich rasch zum Sammelbecken für viele ehemalige Funktionsträger des alten Regimes. Wenige Tage nach dem Bardo-Anschlag verkündete der Präsident vor der ausländischen Presse Gegenmaßnahmen:
    "Das Antiterrorgesetz ist bereits konzipiert. Ich glaube, das Parlament wird es jetzt schleunigst verabschieden. Aber es geht nicht nur um eine Handhabe gegen Terroristen. Wir brauchen auch ein Gesetz, das unsere Sicherheitskräfte schützt. Schließlich stehen sie an vorderster Front im Kampf gegen den Terror und entrichten einen hohen Blutzoll."
    Ein Gesetz zum Schutz der Sicherheitskräfte? Bei den Vorkämpfern und Anhängern der Revolution klingeln ob solch eines Diskurses sämtliche Alarmglocken. Nicht nur auf der Avenue Bourgiba. Auch bei Sihem Bensedrine. Die liberale Journalistin ist Vorsitzende der Tunesischen Liga für Menschenrechte. Unter dem Ben-Ali-Regime inhaftiert und gefoltert, ist sie heute die Vorsitzende der Nationalen Versöhnungskommission.
    "Wir beobachten, wie eine völlig neue Partei quasi aus dem Nichts auftaucht. Essebsi verkauft sich als der Retter Tunesiens vor der Gewalt, dem Abrutschen in die islamistische Kriminalität und so weiter. Um ihn herum hat sich eine neue Elite zusammengefunden und macht die Sicherheit zu ihrem Anliegen, zur Spezialität ihrer Partei Nida Tounès. Manchmal kommt mir das vor, als ob ein Pyromane als Feuerwehrmann agiert."
    Erste Anzeichen einer neuen Diktatur?
    Die Journalistin und Menschenrechtlerin hat jahrzehntelang ihr Leben, ihre Karriere und die Karriere ihrer Kinder für die Freiheit in die Waagschale geworfen. Präsident Essebsi kündigt zwar Gegenmaßnahmen gegen den Terror an. Doch Sihem Bensedrine und andere Revolutionäre der ersten Stunde befürchten, dass es sich dabei um erste Anzeichen einer neuen Diktatur handeln könnte.
    Was bedeutet es, fragt die Vorsitzende der tunesischen Versöhnungskommission, wenn Präsident Essebsi die tunesischen Sicherheitskräfte per Gesetz unter besonderen Schutz stellen lassen will. Also dieselbe Polizei, die Spezialeinheiten und Geheimdienste, die unter Ben Ali das Rückgrat der Diktatur waren. Sie haben die Revolution weitgehend unbeschadet überstanden und bilden jetzt, so Sihem Bensedrine, überall in der Gesellschaft Seilschaften.
    "In Deutschland haben Sie Vergleichbares durchgemacht. Die Stasi hat sich nicht nur um die Sicherheit gekümmert, sie hat das gesamte öffentliche Leben durchsetzt, bis hin zu Künstlern und Intellektuellen. Genauso hat auch unsere politische Polizei agiert. Und in dem Maße, wie sich der alte Staat aufgelöst hat, taucht bei uns die politische Polizei wieder auf. "
    Diese alten Verbindungen könnten, so befürchten Sihem Bensedrine und andere, eine Agenda haben: Sie könnten vorgeben, gegen den Terror zu kämpfen - bei der Gelegenheit aber gleich alle ausschalten, die den Sicherheitsapparat stören, also: Demokratische Parteien, Menschenrechtsverbände, Organisationen der Zivilgesellschaft, Zeitungen, Rundfunkstationen.
    So, wie es in Ägypten bereits geschehen ist. In dem Land, dessen Arabellion unmittelbar auf die tunesische folgte. Auch der neue ägyptische Präsident, Ex-Armeechef al Sisi, galt, obwohl dem Apparat des Diktators Mubarak entstammend, zunächst als integer, unbelastet, überparteilich. Doch inzwischen regieren die alten Sicherheitskräfte das Land am Nil so unumschränkt, wie es ihnen nicht einmal unter dem Langzeitdiktator Mubarak möglich war. Politiker, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, Journalisten - wer immer die Macht der Militärs infrage stellt, riskiert, verhaftet und gefoltert zu werden, als Sympathisant des islamistischen Terrors. Stephan Rosiny forscht am Hamburger GIGA-Institut für Globale und Regionale Studien über die Entwicklungen nach der Arabellion:
    "Schon vor den Aufständen haben die autoritären Regime sehr stark die Angst vor dem Islamismus geschürt und haben hier unterschiedliche Gruppierungen in einen Topf geworfen. Und das findet auch heute wieder statt. Und diese Strategie ist meines Erachtens sehr riskant. Sie hat zwei Ziele. Einerseits soll sie die eigene Bevölkerung von den Islamisten wegbringen und andererseits soll sie im Westen Unterstützung für den gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus mobilisieren. Der Arabische Frühling hat zunächst ungeheure Erwartungen geweckt. Gerade junge Menschen, die die Rebellion getragen haben, haben sich erhofft, dass durch den Sturz der autoritären Regime sich ihre Situation unmittelbar verändern würde. Das sind Erwartungen gewesen, die übertrieben waren und die in der Form auch gescheitert sind."
    Vorwurf: Iran hat Unruhen in Bahrain geschürt
    Genau hier haken die Kritiker und Gegner der arabischen Demokratie ein. Dazu gehören nicht nur die alten Seilschaften aus Armee und Polizei. Es sind vor allem auch die konservativen arabischen Golfmonarchien. Ihnen ging es seit Beginn der Arabellion offensichtlich darum, das Narrativ der arabischen Freiheit durch ein anderes zu ersetzen.
    "Saudi Arabien und Katar haben während all dieser Zeit auch parallel salafistische Gruppen unterstützt und viele von den Salafisten haben sich weiter radikalisiert zu Dschihadisten. Und da treffen sich mittlerweile die Ideologien von Al-Kaida und Islamischem Staat, die letztendlich eine Weltverschwörung von Schiiten, Kreuzrittern, sprich dem Westen und Juden sehen und den konservativen Golfmonarchien. Hier vor allem Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, die ebenso die Schiiten als Bedrohung sehen und hier insbesondere den Iran als Regionalmacht, als Hauptkonkurrenten ihrer politischen Macht sehen."
    Eine dieser konservativen arabischen Golfmonarchien ist Bahrain. Nicht die größte, nicht die bekannteste, nicht die reichste, nicht die mächtigste – aber vielleicht das eigentliche Schlüsselland. Denn mitten durch das kleine Inselkönigreich im persischen Golf verläuft eine unsichtbare Grenze. Die Frontlinie zwischen Sunniten und Schiiten. Bahrains Bevölkerung besteht zu rund 70 Prozent aus Schiiten. Die Herrscherfamilie al Khalifa jedoch gehört, wie die al Saud und die al Thani in Katar, zur sunnitischen Glaubensrichtung.

    Porträt von Hamad Bin Isa Al Khalifa, König von Bahrain 
    Porträt von Hamad Bin Isa Al Khalifa, König von Bahrain (dpa / picture alliance / Diego Azubel)
    Als auch in Bahrain im Frühjahr 2011 die Arabellion ausbrach und die Bevölkerung auf der Straße mehr demokratische Rechte einforderte, rief die Königsfamilie die Armeen Saudi Arabiens, Katars und der anderen Golfanrainerstaaten zu Hilfe und ließ den Aufstand blutig niederschlagen. Begründung: Bei der Protestbewegung handele es sich in Wahrheit nicht um eine Bewegung für mehr Freiheit und Demokratie. Vielmehr habe der Iran die Unruhen geschürt, und zwar ausschließlich mit dem Motiv, seinen schiitischen Gottesstaat auch in die arabischen Golfstaaten zu exportieren. Selbst hinter bescheidenen Forderungen der Protestbewegung wie der nach einer konstitutionellen Monarchie sieht die bahrainische Informationsministerin Samira Rajab die Hände der Ayatollahs in Teheran.
    "Ich sage immer: Diejenigen, die in Bahrain nach einer konstitutionellen Monarchie rufen, kommen doch alle aus den Moscheen. Sie haben allesamt einen religiösen Hintergrund. Insbesondere die schiitischen Islamisten glauben einzig und allein an die Herrschaft der Religionsgelehrten."
    "Sie benutzen eine Munition, die international geächtet ist"
    Abend für Abend versammeln sich auf Bahrains Straßen schiitische Jugendliche und fordern mehr Mitsprache für die Bevölkerungsmehrheit. Abend für Abend gehen die Sicherheitskräfte kompromisslos gegen sie vor. Als Jugendliche Transparente mit Slogans entrollen, fliegen Tränengasgranaten durch die Luft. Ein paar der jungen Männer flüchten sich an eine Straßenecke und gehen dort in Deckung. Zwei von ihnen krempeln ihre Ärmel hoch und zeigen ihre Verletzungen, die sie bei ähnlichen Demonstrationen durch Polizeikugeln davongetragen haben. Ein bahrainischer Journalist, der neben den Jugendlichen in Deckung gegangen ist, möchte dass die Welt erfährt, was hier vor sich geht.
    "Sehen Sie: Das sind Schrotkugeln. Sie benutzen eine Munition, die international geächtet ist. Nehmen Sie ihre Hand und fühlen Sie, die Kugeln stecken noch in seinem Arm. Hören Sie die Sirenen? Die Polizei rückt vor."
    Anders als bei der Arabellion in Nordafrika, wo sich die USA und die EU auf die Seite der Revolutionäre gestellt und die Regimewechsel – wie in Libyen – teilweise durch eigenes Eingreifen unterstützt haben, stellten sie sich bei der Arabellion am Golf auf die Seite der konservativen sunnitischen Monarchien. Ein Kurs, den die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel noch um die Jahreswende 2012/2013 so definierte:
    "Ich will nur darauf hinweisen, dass wir eine strategische Partnerschaft mit einigen Golfstaaten haben. Warum? Weil wir eine sehr ernsthafte Bedrohung sehen im iranischen Nuklearprogramm. Ich glaube, dass wir alle der Überzeugung sind, dass wir Stabilität brauchen, dass wir Sicherheit brauchen. Und gerade der Iran ist eine sehr, sehr große Bedrohung."
    "Die deutsche Argumentation kommt daher zustande, dass Iran bisher von Deutschland aber auch von anderen europäischen Staaten, von Frankreich und Großbritannien, die mit Iran in den Nukleargesprächen waren, speziell aber von den USA, als Gefährder der Sicherheit präsentiert wird."
    So analysierte Oliver Borszik damals Deutschlands Schulterschluss mit den autokratischen Golfmonarchien. Der Islamwissenschaftler untersucht, ebenfalls am Hamburger GIGA-Institut, die Politik des Iran und der arabischen Golfmonarchien.
    "In einem langjährigen Prozess ist ein Bild vom Iran gezeichnet worden, das die islamische Republik als Akteur innerhalb der Region bezeichnet, der die Sicherheit dort gefährdet. Das Narrativ ist nicht haltbar. Das ist eine Gegenstrategie, die Saudi-Arabien entwickelt hat, um die iranischen Vorstellungen einer regionalen Gestaltung zu unterwandern."
    Dennoch: Genau diesem saudischen Kurs ist der Westen in den letzten Jahren bedingungslos gefolgt. Bis etwas Unerwartetes passierte.
    Sommer 2014: Sunnitische Dschihadisten überrennen im Nordirak die Stellungen der irakischen Armee. Sie nehmen Mossul und andere wichtige Städte ein, besetzen Ölraffinerien und schicken sich an, die jahrhundertealten Grenzen neu zu ziehen.
    Die irakische Armee, aufwendig von US-Militärs ausgebildet und ausgestattet, leistet kaum Widerstand, sondern flieht und lässt ihre Ausrüstung zurück. Nur noch die kurdischen Milizen, die Peschmerga, versuchen, sich dem Gegner konsequent entgegenzustellen. Doch angesichts des vom islamischen Staat erbeuteten US-amerikanischen Materials sind sie hoffnungslos in der Defensive.

    IS-Kämpfer mit Maschinengewehren posieren mit der schwarzen Flagge der Gruppe für ein Foto
    IS-Kämpfer mit der schwarzen Flagge der Gruppe (AFP Photo / Ho / Welayat Salahuddin)
    "Die IS-Leute sind gut ausgerüstet, sie haben einfach alles, von schweren MG's bis hin zu Scharfschützengewehren", sagt im Herbst 2014 ein kurdischer Frontoffizier. Um den Angriff des IS zurückzuschlagen, greift die schiitisch dominierte Führung in Bagdad auf die einzigen vermeintlich zuverlässigen Verbündeten zurück: schiitische Milizen, die Erzfeinde der sunnitischen Dschihadisten. Angesichts des schier unaufhaltsamen Vormarsches des IS scheint westlichen Politikern auf einmal nicht mehr der schiitische Iran die größte regionale Bedrohung, sondern der sunnitische Dschihadismus des Islamischen Staates.
    Was aber bedeutet das praktisch?
    Fuad Zindani, ein kurdischer Journalist, ist im kurdischen Nordirak auf einer Straße entlang der Front Richtung Saadia unterwegs. Die Stadt wurde im Winter 2014 vom IS zurückerobert. Zindani deutet auf eine Häuserreihe, die sich schemenhaft am Horizont abzeichnet.
    "In Saadia waren die irakische Armee und unterschiedliche schiitische Milizen plus die iranische Armee, iranische Einheiten. "
    Nach den Recherchen, die Zindani vor Ort anstellte, haben iranisch gestützte Schiiten-Milizen in Al Saadia sunnitische Moscheen und Heiligtümer zerstört. General Mahmud Sangawi, der kurdische Kommandeur des Frontabschnitts, bestätigt das.
    "Was die Zerstörungen sunnitischer Heiligtümer betrifft –diesen Streit zwischen Schiiten und Sunniten gibt es bei uns seit mehr als 1.000 Jahren. Auch in Europa gab es ja mal Krieg zwischen Katholiken und Protestanten. Aber inzwischen habt ihr die Probleme auf intelligente Art gelöst. Und auch wir stehen am Ende dieser Auseinandersetzungen, nicht am Anfang. Und der Iran hilft uns bei der Ausbildung, denn die Front liegt schließlich nicht weit von der iranischen Grenze entfernt."
    Auch NATO-Soldaten bilden die kurdischen Peschmerga aus und bewaffnen sie, für General Sangawis Truppen ist die Bundeswehr zuständig. Anschließend kämpfen dieselben Peschmerga-Einheiten Seite an Seite mit iranisch angeleiteten Schiitenmilizen. Im Klartext: Bundeswehrsoldaten und iranische Revolutionswächter bilden im gleichen Land die gleichen Kräfte gegen den gleichen Feind aus.
    Bundeswehrsoldaten bilden bei Erbil im Nordirak Peschmerga-Kämpfer aus
    Bundeswehrsoldaten bilden bei Erbil im Nordirak Peschmerga-Kämpfer aus (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Denn beinahe über Nacht hat die westliche Außenpolitik einen radikalen Kurswechsel vollzogen: Weg von einem iranisch-schiitischen Bedrohungsszenario. Hin zu einem sunnitisch-dschihadistischen. Das Gespenst von der iranischen Vormacht, das Angela Merkel noch vor zwei Jahren als Bedrohung des Westens heraufbeschwor, ist verschwunden. Dank einer neuen Allianz, die sich Anfang 2015 gebildet hat: Der Iran, die USA und die EU stehen auf ein und derselben Seite - gegen den sunnitischen Terrorstaat des IS.
    Ist der Westen und ist damit auch Deutschland dabei, sich in einen schiitisch-sunnitischen Stellvertreterkrieg mit hineinziehen zu lassen – diesmal aufseiten und im Interesse des iranischen Regimes? Stefan Rosiny vom GIGA-Institut:
    "Die religiös-konfessionellen Gegensätze werden von bestimmten Akteuren in der Region instrumentalisiert, um sich abzugrenzen, um Feindbilder zu erzeugen, um die eigene Position zu stärken. Ich denke, dass Deutschland als neutraler Vermittler in der Region auftreten sollte."
    Aber das ist leichter gesagt als getan. Im Augenblick wissen die Deutschen vor Ort nicht einmal, wo die Waffen hingeraten, die sie in den Nordirak liefern. Torsten Stefan, Presseoffizier der Bundeswehr im nordirakischen Erbil:
    "Wir können nicht verfolgen, wo die einzelnen Waffen hingehen. Wir wissen, dass die Milan-Rakete an der Front bereits erfolgreich eingesetzt worden ist. Aber wir haben nicht Kenntnis, wo jetzt die einzelne Waffe sich befindet."
    Iranische Revolutionswächter, die sich von ihren kurdischen Kameraden deutsche Gewehre besorgen – ein völlig abwegige Vorstellung? So schien es bisher. Doch die Allianzen haben sich geändert. Der Iran ist als Partner des Westens rehabilitiert. Aber auch die konservativen sunnitischen Golfmonarchien haben ihr Ziel erreicht: Von der arabischen Freiheit spricht kaum noch jemand.