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Folgen der Coronakrise
Eurostar könnte im Frühjahr zahlungsunfähig sein

Die Corona-Pandemie hat den Zugverkehr auf der Eurostar-Strecke fast zum Erliegen gebracht. Normalerweise fahren zur Hauptverkehrszeit zwei Züge pro Stunde. Jetzt verkehrt der Eurostar gerade noch zweimal pro Tag. Zudem sind die Züge bis zu 80 Prozent leer. Das hat Folgen.

Von Christiane Kaess | 28.01.2021
Illustration picture shows the departure of the first ride of railway company Eurostar from Brussels to London, after the Brexit withdrawel agreement, Friday 01 January 2021 at the Brussel-Zuid - Bruxelles-Midi - Brussels-South train station. BELGA PHOTO JASPER JACOBS
Seit 27 Jahren befördert der Hochgeschwindigkeitszug Millionen von Passagieren zwischen London und Paris hin und her (picture alliance/dpa/BELGA | Jasper Jacobs)
Die Begeisterung an Bord des Eurostars war groß als dieser am 14. November 1994 zum ersten mal in den Tunnel unter dem Ärmelkanal einfuhr. Das europäische Projekt hatte schon damals viele Anhänger. Und einige wollten die erste Fahrt zwischen Paris und London unbedingt persönlich erleben – wie dieser Mann.
"Ich glaube, das ist eine der größten Errungenschaften dieses Jahrhunderts, der Tunnel unter dem Ärmelkanal und der Eurostar. Ich bin sehr stolz beim ersten Eurostar dabei zu sein." Neben den Passagieren meinte sogar Zugfahrer, Eric Boulenger, damals: "Wir sind ein bisschen angespannt, aber ich freu mich."
Seit 27 Jahren fährt der Hochgeschwindigkeitszug Millionen von Passagieren zwischen London und Paris hin und her. Zunächst in drei Stunden, dann mit Höchstgeschwindigkeiten innerhalb von gut zwei Stunden. Stopps sind unter anderem auch Brüssel und Amsterdam. Doch jetzt könnte das Unternehmen Eurostar im Frühjahr zahlungsunfähig sein.

Keiner fühlt sich zuständig

Die Corona-Pandemie hat den Zugverkehr auf der Strecke fast zum Erliegen gebracht. Normalerweise fahren zur Hauptverkehrszeit zwei Züge pro Stunde. Jetzt verkehrt der Eurostar gerade noch zweimal pro Tag. Zudem sind die Züge bis zu 80 Prozent leer. Der Umsatz ist im letzten Jahr um 82 Prozent eingebrochen. Von staatlichen Hilfen konnte das Unternehmen bisher nicht profitieren.
Keiner fühlt sich für Eurostar zuständig, erklärt der Wirtschaftsjournalist, Martial You. "Eurostar ist ein seltsames Tier: Unternehmenssitz in London, aber zu 55 Prozent gehört es der staatlichen französischen Bahngesellschaft SNCF, zu 40 Prozent einem britischen Fonds und zu fünf Prozent der belgischen Eisenbahngesellschaft. Eurostar ist also überall und nirgends."
Der französische Finanzminister Bruno Le Maire.
Der französische Finanzminister Bruno Le Maire (AFP/Smialowski)
Ähnlich drückte es Christophe Fanichet aus: der Chef der SNCF-Reisesparte sagt, das Unternehmen sei zu französisch um von britischer Seite Hilfe zu bekommen, und zu englisch für Hilfen aus Frankreich. Kritiker verweisen auf die finanzielle Unterstützung für Fluggesellschaften. Gerade wegen seines geringen CO2-Ausstoßes hätte der Zug unter dem Ärmelkanal die genauso verdient. Zuletzt baten 28 Führungskräfte aus der Wirtschaft in der Lobby-Gruppe "London first" die britische Regierung darum, Eurostar finanziell unter die Arme zu greifen. In London könnte man die Forderung auch leicht von sich weisen.
Die Regierung hat ihren Anteil an Eurostar 2015 an Privat-Unternehmen verkauft. Allerdings erinnerte Frankreichs Finanzminister, Bruno Le Maire, letzte Woche daran, dass der französische Staat neben der Fluggesellschaft Air France auch SNCF bereits geholfen hat. "Wir werden diesen Transport-Gesellschaften weiter helfen - der Bahn und den Fluggesellschaften. So wie wir es von Anfang an getan haben."
Die strategische Verbindung zwischen Frankreich und Großbritannien werde aufrechterhalten, bekräftigt auch Jean-Baptiste Djebbari, beigeordneter Minister für Transport. Man arbeite bereits mit der englischen Seite an Hilfen, die dann über die französische SNCF fließen sollten. Aber selbst wenn die Pandemie einmal vorbei ist: rund die Hälfte der Passagiere des Eurostars waren in der Vergangenheit Geschäftsleute. Die haben gelernt von Treffen vor Ort auf Video-Konferenzen umzusteigen. Fraglich also, ob der Bedarf an der Verbindung jemals wieder so groß wird wie er war.

Und dann ist da noch der Brexit

Mit dem Brexit werden Reisen aus der EU nach Großbritannien zudem schwieriger. 700 zusätzliche Beamte sind beim französischen Zoll für die neuen Regeln im Einsatz. Bei der Abreise der ersten Eurostars nach Jahreswechsel am Gare du Nord in Paris schildert Jean-Roald L´Hermitte, Zoll-Direktor der Region Ile de France, den zusätzlichen Aufwand:
"Ware muss jetzt deklariert werden. Das betrifft Steuern und Vorschriften. Bestimmte Waren, wie Medikamente oder Tiere, das sind Güter, für die jetzt Dokumente nötig sind."
Und auch private Reisen sind jetzt anders. Heute nach England zurückzufahren sei kein Problem - sagt Adam, der in Paris in einen der ersten Eurostars nach dem Brexit steigt. Er habe einen britischen Pass. Aber: "Vielleicht muss man in Zukunft, wenn man nach Frankreich will ein Visum oder Ähnliches haben."
Seine Begleiterin, die Französin Victoria, findet im Moment noch: "Es ist die Prozedur wegen COVID-19, die das Reisen erschwert. Aber in den nächsten Jahren wird es für unsere Familien schwieriger sein, wenn sie uns in Großbritannien besuchen kommen. Oder auch für mich, nach Frankreich zu fahren. Wir werden sehen."