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Folgen des Brexit
Großbritannien will keine ausländischen Ärzte mehr

Ein Viertel aller Ärzte in Großbritannien kommt zurzeit aus EU- oder Nicht-EU-Ländern. Bis 2025 soll das staatliche Gesundheitswesen Großbritanniens, der National Health Service, jedoch keine Ärzte mehr aus dem Ausland benötigen. So will es der britische Gesundheitsminister Jeremy Hunt. Nicht wenige sind skeptisch, ob der Plan der Regierung aufgeht.

Von Friedbert Meurer | 13.10.2016
    Ein Allgemeinmediziner arbeitet in der Notaufnahme des Royal Albert Edward Infirmary Krankenhauses in Wigan im Nordwesten Englands.
    Viele Ärzte in Großbritannien können sich ein funktionierendes staatliches Gesundheitswesen ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht vorstellen. (AFP Photo / Oli Scarff)
    Stefanie Williams ist eine erfolgreiche Hautärztin in London. Direkt an der Themse in Vauxhall, gegenüber von Westminster, führt die gebürtige Deutsche eine eigene Privatklinik. Zweimal im Monat arbeitet sie aber als Angestellte weiter für ihr altes NHS-Krankenhaus, das staatliche St. Peter's Hospital in Chertsey direkt westlich der Metropole:
    "Wir sind ein sehr internationales Team, nicht nur europäische Ärzte, sondern auch aus der ganzen Welt, viele indische und pakistanische Ärzte. Das war eigentlich immer von meiner Sicht her eine der positiven Seiten."
    Schock für die ausländischen Ärzte
    In der hautärztlichen Abteilung des St. Peter`s Hospital arbeiteten acht Fachärzte, vier davon seien Briten, neben ihr noch ein Europäer und zwei Kolleginnen aus Indien und Pakistan. Stefanie Williams kam vor über zehn Jahren nach England, sie hat hier einen Engländer geheiratet und ist Mutter von drei Kindern.
    Anfang des Jahres hat sie die britische Staatsbürgerschaft erworben, aus Sorge vor dem Brexit. Vor wenigen Tagen saß sie dann mit anderen deutschen Ärzten bei ihrem monatlichen Stammtisch, um sich auszutauschen:
    "Das Thema jetzt, was Jeremy Hunt gesagt hat, um die ausländischen Ärztezahlen drastisch zu reduzieren, war also großes Thema beim letzten Stammtisch. Das war ein Schock sozusagen, dass wir zum NHS so viel beigetragen haben und so viel für das NHS geleistet haben in den letzten Jahren, in denen wir hier gearbeitet haben. Und jetzt zu hören, dass wir unerwünscht sind, was wir nicht von den Kollegen hören und fühlen, aber plötzlich von der Regierung gesagt wird, da waren wir alle wirklich geschockt darüber."
    Minister will Einwanderung verringern
    Auf dem Parteitag der Konservativen in Birmingham letzte Woche hatte Gesundheitsminister Jeremy Hunt angekündigt, dass in Zukunft nicht mehr Ärzte sozusagen "importiert" werden müssen:
    "Zurzeit kommt ein Viertel unserer Ärzte aus dem Ausland. Sie machen einen fantastischen Job, ohne sie würde der NHS, das staatliche Gesundheitssystem, in die Knie gehen. Wir wollen, dass sie nach dem Brexit bleiben können. Aber bis 2025 wollen wir, dass der NHS genügend eigene Ärzte hat."
    Es sei ein Anachronismus, dass viele junge Briten keinen Studienplatz für Medizin bekämen – und gleichzeitig ausländische Ärzte geholt würden. Hunt kündigte an, bis zu 1.500 Studienplätze mehr für Medizin zu schaffen. Die Botschaft des Ministers richtete sich an die Briten insgesamt: Erstens verbessern wir den Service im NHS, damit ihr nicht so lange auf einen Termin warten müsst - und zweitens verringern wir die Einwanderung.
    "Internationaler Austausch ist wichtig"
    Die Ankündigung beschäftigte unmittelbar danach auch das Jahrestreffen der GPs, wie hier die Allgemeinmediziner, die "general practitioners", liebevoll abgekürzt werden. Maureen Baker, die Vorsitzende des Verbands der GPs, reagierte zufrieden, einerseits:
    "Wir brauchen mehr Ärzte, das sind gute Neuigkeiten. Aber es wird seine Zeit dauern, bis die jungen Ärzte zur Verfügung stehen. Andererseits haben wir Briten immer ausländische medizinische Fachkräfte willkommen geheißen. Internationaler Austausch ist wichtig. Wir brauchen sie, damit sie hier für unseren NHS arbeiten."
    Nicht wenige sind skeptisch, ob der Plan der britischen Regierung aufgeht. Gerade werden die Zuschläge der "junior doctors", der Ärzte in den Kliniken, gekürzt. Manche überlegen, in englischsprachige Länder wie Australien auszuwandern. Künftig sollen sie das zwar in den ersten vier Jahren nach der kostspieligen Ausbildung nicht mehr dürfen. Hautärztin Stefanie Williams kann sich trotzdem einen NHS ohne neue Fachkräfte aus dem Ausland nicht vorstellen:
    "Nein, das halte ich für komplett unmöglich. Also momentan ist es sowieso unmöglich, weil der Anteil von ausländischen Ärzten so hoch ist. Die britischen Ärzte würden den Service überhaupt nicht aufrechterhalten. Wenn wir jetzt keine ausländischen Ärzte hier hätten, würde der NHS komplett zusammenbrechen."