Donnerstag, 28. März 2024

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Folgen des Erdbebens in Nepal
"Indien und China werden massiv investieren"

Nach der verheerenden Erdbebenkatastrophe werde es eine noch stärker Arbeitsmigration der Nepalesen geben, sagte Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF. Das Land sei auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, aber auch auf die Indiens und Chinas angewiesen.

Christian Wagner im Gespräch mit Gerd Breker | 28.04.2015
    Menschen haben in Kathmandu Zelte errichtet.
    Menschen haben in Kathmandu Zelte errichtet. ( AFP / Prakash Mathema )
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir blicken noch einmal nach Nepal. Vor vier Jahren bereits war eine Expertengruppe der Vereinten Nationen zu dem Schluss gekommen, sollte es erneut dort zu einem Erdbeben kommen, ist weder das Land selbst, noch die internationale Gemeinschaft ausreichend darauf vorbereitet. Es würde schnell an verfügbaren Rettungskräften mangeln, ebenso wie an guter Organisation. Tatsächlich scheinen sich die Befürchtungen zu bewahrheiten: Die Opferzahlen, die steigen kontinuierlich.
    Christian Wagner ist Asien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und mein Kollege Gerd Breker hat gestern Abend mit ihm gesprochen.
    Gerd Breker: Nepal liegt in einem Gefahrengebiet. Das war bekannt. Wie erklären sich denn diese immensen Schäden dort?
    Christian Wagner: Ja, die Behörden waren natürlich nicht auf diese Katastrophe vorbereitet. Man hat zwar immer wieder mit kleineren Erdbeben zu kämpfen, aber die staatlichen Stellen waren nicht auf eine Katastrophe dieses Ausmaßes vorbereitet. Hinzu kommt, dass das Land eines der ärmsten Länder ist und damit die Infrastruktur auch schlecht ist. Es gibt keine Logistik. Das heißt, die Zahl der Toten wird vermutlich noch deutlich ansteigen, wenn die Rettungskräfte erst mal in die entlegenen Bergregionen kommen, wo ja bislang kaum Hilfe hingekommen ist.
    Breker: Ist das der Grund, warum man im Moment noch keinen wirklichen Überblick über das gesamte Ausmaß dieser Katastrophe hat?
    Wagner: Ja, das ist sicherlich einer der Hauptgründe. Man muss sich vorstellen, dass eine der wichtigsten Verkehrsverbindungen zwischen Kathmandu und Pokhara im Westen eine Straße ist, die im bundesdeutschen Vergleich vielleicht eine normale zweispurige Landstraße ist mit einigen Brücken. Wenn dort einige der Brücken zerstört sind, gibt es hier kaum eine Verbindung. In die Nebentäler hinein sind die Verbindungen noch schlechter. Oftmals erreichen die Menschen ihre Dörfer nur zu Fuß. Hier können natürlich über Bergrutsche, Lawinen relativ schnell die Verbindungswege gekappt werden. Deshalb gehe ich davon aus, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis man wirklich einen vollständigen Überblick über die Katastrophe haben wird.
    "Entwicklungserfolge wurden zunichte gemacht"
    Menschen haben in Kathmandu Zelte errichtet.
    Menschen haben in Kathmandu Zelte errichtet. ( AFP / Prakash Mathema )
    Breker: Lässt sich denn, Herr Wagner, schon jetzt absehen, was diese Katastrophe für das Land bedeutet? Nepal gehört ja zu den ärmsten Ländern Asiens, zu den ärmsten Ländern der Welt.
    Wagner: Ja. Die bescheidenen Entwicklungserfolge, die man vielleicht hatte in den letzten Jahren, sind eigentlich durch die Katastrophe jetzt wieder zunichte gemacht worden. Man wird jetzt wieder daran gehen müssen, die Infrastruktur zu erneuern. Es ist ja vor allem auch die historische Altstadt in Kathmandu zerstört worden, was ein wichtiger Touristenmagnet war. Auch der Trekking-Tourismus hat natürlich deutlich gelitten. Die wenigen deviesenträchtigen Infrastruktureinrichtungen sind zerstört. Hier wird man sicherlich sehr viel Geld in die Hand nehmen müssen. Auf der anderen Seite haben wir einen schwachen Staat, eine schwache Verwaltung. Das heißt, der Wiederaufbau wird vermutlich dann in den politischen Parteienstreit geraten, aber natürlich auch von Korruption gekennzeichnet sein.
    Breker: Sie haben es angedeutet, Herr Wagner. Auch zahlreiche Tempelanlagen, die zum Teil ja zum Kulturerbe der Vereinten Nationen gehören, sind zerstört worden. Was bedeutet das für die Menschen, was bedeutet das für die Nepalesen?
    Wagner: Für die Nepalesen ist das natürlich ein großer Schock, denke ich. Hier steht natürlich in allererster Linie mal die Sorge um die Angehörigen im Vordergrund. Aber natürlich wird man hier auch sehr stark investieren müssen. Auf der anderen Seite hat man das Geld nicht. Das heißt, man wird auf Jahre hinaus eigentlich von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig bleiben. Neben dem Tourismus sind ja vor allem die Rücküberweisungen der Gastarbeiter sowohl aus Indien als auch aus den Golfstaaten eine wichtige Einnahmequelle. Ich denke, hier wird es vermutlich in den nächsten Jahren auch verstärkt Arbeitsmigration geben, denn in Nepal bleibt es natürlich für die Menschen sehr schwierig, ein entsprechendes Auskommen zu finden.
    "Vor allem die internationale Gemeinschaft ist gefordert"
    Breker: Sie haben es angedeutet: Die Regierung in Nepal ist schwach. Die Korruption ist ein Problem für das Land. Von sich aus, aus sich selbst heraus wird das Land den Wiederaufbau kaum leisten können. Wer muss helfen?
    Wagner: Ja. Es wird vor allem die internationale Gemeinschaft gefordert sein. Vermutlich werden aber auch die großen Nachbarstaaten Indien und China massiv investieren. Indien hat ja traditionell sehr gute Beziehungen nach Nepal. Es gibt zwischen beiden Ländern eine offene Grenze. Das heißt, es gibt eine rege Arbeitsmigration von Nepal nach Indien. Auf der anderen Seite ist das Verhältnis zu Indien allerdings in der nepalesischen Innenpolitik sehr umstritten. Das heißt, alle drei großen Parteiblöcke streiten eigentlich über die Beziehungen zu Indien. Auf der einen Seite braucht man die guten Beziehungen, auf der anderen Seite fürchtet man den Ausverkauf der nationalen Interessen gegenüber Indien. Deshalb hat China hier in den letzten Jahren deutlich an Boden gewonnen. China hat hier massiv auch in die Infrastruktur investiert und ich denke, das werden wir im Rahmen des Wiederaufbaus in den nächsten Jahren auch sehen.
    "Bauvorschriften müssten verbessert werden"
    Ein Helfer trägt nach dem Erdbeben in Nepal Heiligenfiguren aus den Trümmern eines Tempels.
    Ein Helfer trägt nach dem Erdbeben in Nepal Heiligenfiguren aus den Trümmern eines Tempels. (Imago / Xinhua)
    Breker: Was wird denn aus Ihrer Sicht, Herr Wagner, von Nepal übrig bleiben nach einem Wiederaufbau? Entsteht da eine Art Erlebnispark à la Disney Land, oder wird das ein Nepal sein, was ein Nepalese noch als sein Land erkennen wird?
    Wagner: Ja, es wird sicherlich ein Land für die Nepalesen sein. Hier gibt es auch eine sehr starke nationale Identität in Nepal. Man weiß um die Unabhängigkeit, die man seit vielen Jahrhunderten hat. Da würde ich die Zukunftsszenarien nicht allzu negativ sehen. Aber es wird natürlich vor allem darum gehen, vielleicht jetzt auch die Infrastruktur besser auszugestalten, auch die Gebäude so zu bauen, dass sie erdbebensicher sind. Andererseits haben wir hier natürlich dann wieder das Problem der Korruption, denn selbst wenn es viele Vorschriften gibt für den Bau von Gebäuden, heißt das natürlich nicht, dass diese auch eingehalten werden, und das macht dann bei solchen Naturkatastrophen noch mal eine zusätzliche Tragik aus, was die Höhe der Opferzahlen anbelangt.
    Breker: Und Nepal wird weiterhin in einem Gefahrengebiet sein. Das heißt, man muss erneut damit rechnen?
    Wagner: Ja. Man wird die Gefahr nur durch entsprechende Bauvorschriften eigentlich minimieren können, gerade was die Gebäudeerrichtung anbelangt. Aber hier wäre ich vergleichsweise vorsichtig, denn der nepalesische Staat hat sich in der Vergangenheit als vergleichsweise schwach erwiesen. Das heißt, selbst wenn es solche Regelungen gab, hat es natürlich hier wenig Möglichkeiten gegeben, diese auch umzusetzen beziehungsweise auch deren Einhaltung von staatlicher Seite effektiv zu kontrollieren. Von daher bleibt Nepal hier auch weiterhin ein vergleichsweiser armer und schwacher Staat.
    Heckmann: Der Asien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Christian Wagner, war das. Die Fragen stellte mein Kollege Gerd Breker.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.