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Folgsame Funken
Wie Forscher elektrische Entladungen um die Ecke bringen

Elektrische Funkenentladungen sind in der Technologie von großer Bedeutung. Ohne sie würden zum Beispiel die allermeisten Automotoren gar nicht anspringen. Um das Prinzip zu verbessern, wollen Forscher aus Schottland nun eine Methode entwickeln, mit der man elektrische Funken buchstäblich um die Ecke bringen kann.

Von Frank Grotelüschen | 22.06.2015
    Man nehme zwei Elektroden, stelle sie nebeneinander auf und setze sie unter Hochspannung, knapp über 30.000 Volt. Dann passiert folgendes:
    Es fliegen die Funken, denn die Spannung ist so hoch, dass sie zwischen den Elektroden überschlägt. Solche elektrischen Entladungen macht man sich schon lange zunutze, bei Zündkerzen etwa oder beim Schweißen. Ein Nachteil aber sind die hohen Spannungen, die man für die Entladung braucht. Doch es gibt da einen Trick, wie man auch mit geringerer Spannung Funken schlagen kann, sagt Matteo Clerici von der Heriot-Watt Universität in Edinburgh.
    "Laser können elektrische Funken auslösen. Schießt man einen Laserstrahl in den Spalt zwischen zwei Elektroden, kann er die Luft dort ionisieren, also elektrisch aufladen. Dadurch entsteht um den Laserstrahl herum ein leitfähiger Kanal. Durch diesen Kanal kann sich die Spannung zwischen den Elektroden dann viel leichter entladen. Die Entladung kann schon bei 3.000 Volt passieren statt bei 30.000."
    Der Funke jagt also durch jenen Kanal, den der Laserstrahl zuvor gleichsam durch die Luft gegraben hat. Und da Laserlicht nun mal stur geradeaus läuft, folgt auch der Funke einer schnurgeraden Linie. Doch was, wenn man eine höchst exotische Variante von Laserblitzen nimmt, wie sie erstmals 2007 von Forschern aus Florida erzeugt wurden?
    "Das sind Laserstrahlen, die nicht geradeaus laufen, sondern Kurven beschreiben oder sogar um die Ecke gehen können. Um das zu schaffen, muss man einen gewöhnlichen Laserstrahl durch eine ganz spezielle Optik schicken."
    Laserstrahlen, die buchstäblich die Biege machen – das klingt bizarr. Aber es funktioniert, weil spezielle Linsensysteme die Wellenzüge, aus denen Laserlicht besteht, raffiniert manipulieren: An manchen Stellen verstärken sich diese Wellenzüge, an anderen löschen sie sich aus – mit dem Effekt, dass das Licht tatsächlich eine Kurve beschreibt. Dazu aber braucht man keinen Laser mit einem durchgehenden Strahl, sondern:
    "Starke und ultrakurze Blitze. Die Blitze, die wir verwenden, sind nur 50 Femtosekunden lang, 50 billiardstel Sekunden. Und jeder der Blitze hat eine ziemlich hohe Energie."
    Die Forscher stellen zwei Elektroden nebeneinander auf und setzen sie unter Hochspannung, allerdings deutlich unterhalb jener Grenze, bei der der Funke für gewöhnlich überschlägt.
    "Dann schießen wir unsere speziellen Laserblitze in den Luftspalt zwischen den Elektroden. Die Blitze erzeugen in der Luft einen leitfähigen Kanal und lösen die Funkenentladung aus, und die läuft dann genau durch diesen Kanal. Und da der Laserblitz eine Kurve beschreibt, folgt auch der Funken dieser Kurve. Auf diese Weise sind wir sogar in der Lage, die Funken um ein Hindernis zu lenken."
    Derart gezähmte Funken könnten eines Tages überaus nützlich sein, hofft Clerici, etwa um winzige Mikromaschinen gezielter als bislang herzustellen, oder um die Zündprozesse in Verbrennungsmotoren zu optimieren, oder vielleicht sogar, um effektivere Teilchenbeschleuniger zu bauen. Doch zuvor muss sein Team die Sache noch verfeinern, denn:
    "Auf einer Strecke von fünf Zentimetern können wir die Funken bislang nur um einen Millimeter ablenken, das ist noch ziemlich wenig. Aber mit einem raffinierten Versuchsaufbau sollte mehr drin sein. Im Prinzip sollte man damit die Funken nicht nur um engere Kurven schicken können, sondern auch auf ganz beliebige Pfade."
    Der Traum: folgsame Funken, die im Zickzack fliegen, in Schlangenlinien – oder eines Tages sogar um die Ecke.