Donnerstag, 25. April 2024

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"Fondly, Collette Richland"
Ein poetischer, erschöpfender Theaterabend

In den 90er-Jahren hat die Gruppe Elevator Repair Service die zeitweise verödete etablierte Theaterszene in New York belebt. Jetzt hat die Dramatikerin Sibyl Kempson eigens ein Stück für sie geschrieben: "Fondly, Collette Richland". Ein rasanter Abend, bei dem man über weite Strecken nichts versteht, dessen Sog man sich jedoch kaum entziehen kann.

Von Andreas Robertz | 10.10.2015
    Am Anfang tritt die Radiomoderatorin Collette Richland in einem Kostüm der Fünfzigerjahre in Rosa vor das Publikum und erzählt von der Zeit, als die ganze Familie noch gemeinsam vorm Radio saß. Alle erlebten dasselbe zur selben Zeit und alles war so schön einfach. Doch in Wahrheit sei das nie wirklich der Fall gewesen. Und dann eröffnet sie mit einem lapidaren "here we go" einen Abend, den man als metaphysische Farce oder als absurdes post-feministisches Mythenspiel beschreiben könnte. Ein Priester an einem Piano erzählt die Geschichte des älteren "von den Mühen und Erniedrigungen des Lebens müde gewordenen" Verkäufer Fritz Fitzhubert und seiner Frau Mabrel. Als der Lokalpolitiker Wheatsun überraschend ihre Ruhe stört, um ihnen von einem befremdlichen Traum zu berichten, öffnet sich eine kleine Tür in der Küche, durch die alle Beteiligten in ein altes Grand Hotel in den Alpen transportiert werden. Dort wird gejodelt, Ballett getanzt, getöpfert und auf Berge gestiegen. Neben verschollenen Familienangehörigen leben dort seltsame Figuren, wie zum Beispiel die im Exil lebende, kleine Alpenandenken verkaufende Fürstin Patrice, die wie Marlene Dietrich aussieht und sich gerne als die französische Schauspielerin Juliette Binoche verkleidet, oder ihre spirituelle Ratgeberin Velde, die nach der Einnahme von Schweinemilch in einer Vision die wahre Identität der Anwesenden als mystische Gottheiten offenbart.
    "Fondly, Collette Richland" ist ein Abend über das kollektive Unbewusste einer Gruppe von Menschen, deren Leben in der Eintönigkeit eines belanglosen Lebensgefühls zu ersticken droht. Und das Unbewusste ist ein Raum ohne Grenzen und Regeln, voller Gleichzeitigkeiten und Assoziationen. Regisseur John Collins versucht erst gar nicht Ordnung in das Chaos der Motive, Figuren und Monologe zu bringen. Mit Musik, Soundeffekten, sich wiederholenden Choreographien und viel Humor verleiht sein wunderbar eingespieltes Ensemble dem Abend etwas Leichtes und Komisches. Rasante Kostüm- und Figurenwechsel erzeugen einen Sog, dem man sich, auch wenn man über weite Strecken nichts versteht, kaum entziehen kann. Das macht diesen Abend anspruchsvoll und in seiner Vieldeutigkeit manchmal sogar unerträglich. Dazu John Collins: "Ich habe das Gefühl, man kann die Welt in zwei Lager unterteilen: die einen, die verzweifelt versuchen, allem eine ganz bestimmte Bedeutung zu geben und die anderen, die Vielschichtigkeit genießen und in ihr Schönheit und Wahrheit entdecken. Für mich ist das Theater so ein Ort, an dem das möglich ist."
    Oft gelingen leise und berührende Momente, wie zum Beispiel, wenn Repräsentant Wheatsun endlich seinen Traum erzählen darf. Mit zitternder Stimme beschreibt er, wie er davon geträumt hat, dass er seine menschliche Form nur angenommen habe und wie er mit einem Gefühl von Hilflosigkeit und Angst, aber auch unendlicher Erleichterung aufgewacht sei. Doch dann passiert alles wieder auf einmal und die Erkenntnis versinkt in der kollektiven Kakophonie. In einer wütenden Brandrede predigt Mabells Schwester Dora gegen das Konzept der Unschuld und der Jungfräulichkeit, während Gott am Klavier lahme Witze reißt. Ein römischer Soldat tritt auf und hält eine Rede in Latein.
    Viele Motive bleiben unverständlich und nach 90 Minuten fragt man sich, was diesen Abend eigentlich zusammenhält. Am Ende jagt in einem atemberaubenden Crescendo der Teufel in der Gestalt eines schwarzen Faunes die ganze Gesellschaft zurück in die kleine Küche. Er schiebt und zerrt die Möbel und Wände in ihre ursprüngliche Position, während er gleichzeitig die junge Peggy entjungfert. Und dann sitzen alle plötzlich wieder am Küchentisch. Unter einer wunderbar versöhnlichen Schellackmelodie schaut das ganze Ensemble grinsend und ein wenig scheu ins Publikum, während sehr langsam das Licht erlischt: ein schönes, poetisches Ende eines letztlich sehr erschöpfenden Theaterabends.