Donnerstag, 18. April 2024

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Ford Deutschland-Chef Mattes
"TTIP kann auch eine Art Blaupause sein"

Nach Ansicht des Deutschland-Chefs von Ford, Bernhard Mattes, wäre in den Gesprächen über das Freihandelsabkommen TTIP von Anfang an mehr Transparenz möglich gewesen. Das Verhandlungsmandat der EU-Kommission hätte man früher veröffentlichen können, sagte er im DLF - und verteidigte die umstrittenen Schiedsgerichte.

Bernhard Mattes im Gespräch mit Silke Hahne | 28.08.2016
    Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Ford GmbH, Bernhard Mattes.
    Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Ford GmbH, Bernhard Mattes. (dpa/picture alliance/Marijan Murat)
    Silke Hahne: Die Automobilbranche ist eine der wichtigsten Branchen Deutschlands und sie steht vor riesigen Herausforderungen. Die Konkurrenz aus dem Silicon Valley drängt auf den Markt mit selbstfahrenden Autos. Auch die Produktion der Fahrzeuge wird sich durch die Digitalisierung in Zukunft verändern. Im letzten Jahr ist die Branche durch den Abgasskandal erschüttert worden. Und in der vergangenen Woche ist sozusagen die Achillesferse der Just-in-time-Produktion freigelegt worden, die Zusammenarbeit mit Zulieferern. Und damit will ich auch gerne beginnen, Herr Mattes. Ist das Kräfteverhältnis zwischen den großen Autobauern und Zulieferern vielleicht nicht wie bisher wahrgenommen, also: Hier der große Konzern mit einer mächtigen Einkaufsabteilung, dort der abhängige kleine Zulieferer?
    Bernhard Mattes: Also, ich sehe es anders. Es ist eine gemeinsame Gestaltung der Wertschöpfungskette. Wenn ich mir das bei Ford betrachte: Wir haben rund 70 Prozent der gesamten Wertschöpfung durch unsere Lieferanten. Das heißt, wir haben einen hohen Anteil an der Entwicklung unserer Fahrzeuge, aber auch an der Herstellung unserer Fahrzeuge, in den Händen unserer Zulieferer. Das wissend, haben wir schon vor vielen Jahren das sogenannte Aligned Business Framework, also eine Zusammenarbeit und Kooperation zwischen Ford und seinen Lieferanten, in einem Prozess gestaltet und den leben wir auch sehr intensiv. Und daraus hat sich ergeben, dass wir von der Produktentwicklung über die Fertigung mit unseren Lieferanten gemeinsam eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit gestalten. Das zeigen uns auch die Umfragen, die wir bei unseren Lieferanten haben. Das bedeutet aber, dass man sich gegenseitig vertraut, dass man ein hohes Maß an Transparenz der Information und Kommunikation gegenseitig erlaubt und letztlich auch langfristige Beziehungen eingeht. Denn dann kann man eine ganze Menge wirklich entwickeln, was über den Zyklus eines Fahrzeuges hinausgeht.
    Enge Zusammenarbeit mit Lieferanten
    Hahne: Sie sind 1999 von BMW zu Ford gewechselt. Im Jahr davor, 1998, hatte auch die Produktion bei Ford in Köln stillgestanden wegen fehlender Teile, da waren es Türschlösser. Die Aufarbeitung dürften Sie ja noch mitbekommen haben. Was hat denn Ihr Unternehmen aus dem Fall gelernt?
    Mattes: Nun, wir haben erstens einmal daraus gelernt, dass wir mit unseren Lieferanten eng und offen zusammenarbeiten müssen und wollen, dass wir eine Gemeinschaft in der Wertschöpfung eingehen, dass wir uns in der Kommunikation frühzeitig abstimmen, wenn es darum geht, neue Produkte zu entwickeln, sich gegenseitig zu informieren, was die Voraussetzungen dafür sind, dass man das auch zeitgerecht hinbekommt und dass man sich natürlich auch sehr frühzeitig zum Beispiel über Veränderung von Produktionszahlen und Ähnliches abstimmt, damit auch der Lieferant seine Produktionsplanung darauf ausrichten kann.
    Hahne: Das sogenannte "single sourcing" gilt als besonders problematisch, wenn also ein Zulieferer die einzige Bezugsquelle bestimmter Teile ist. Gibt es das auch bei Ford?
    Mattes: Das gibt es auch bei uns. Das hat etwas damit zu tun, ob ein Lieferant zum Beispiel eine ganz besondere Kompetenz hat auf einem Gebiet für eine Komponente oder ob wir mit einem Lieferanten gemeinsam ein Produkt, ein Teil, entwickelt haben – auch da sind wir dann natürlich zusammen – oder einfach aufgrund einer langjährigen Beziehung.
    Freier und fairer Handel zwischen England und Deutschland
    Hahne: Die Lieferketten in der europäischen Autobranche gelten als besonders eng verzahnt. Damit will ich zum nächsten Thema kommen. Ford Deutschland und Ford of Britain bilden im Wesentlichen zusammen Ford of Europe, also die europäische Niederlassung. Die beiden Firmen verbindet eine lange Geschichte, 1967 sind sie zusammengegangen. Großbritannien ist ein wichtiger Absatzmarkt für Ford Autos aus Deutschland und die britischen Werke liefern unter anderem Motoren hierher. Wie hart trifft das Brexit-Votum Ford?
    Mattes: Zunächst im kurzfristigen Bereich wenig. Denn die Wechselkursrisiken haben wir abgefedert und abgesichert. Mittelfristig wird es sich zeigen, welche Entwicklung tatsächlich eintrifft. Wie wird sich die Wirtschaft in Großbritannien entwickeln? Wie wird sich die Nachfrage entwickeln? Wie wird sich aber auch das Auseinandergehen zwischen Großbritannien und der EU, in welchen Rahmenbedingungen, wird sich das entwickeln? Das schauen wir uns natürlich in verschiedenen unternehmensinternen Szenarien an. Für uns ist wichtig – und das ist ein Grundsatz, den wir immer wieder an die rahmensetzende Politik herantragen – freier und fairer Handel. Das ist der Rahmen, den wir wirklich wollen, über den wir auch sprechen und das ist unsere Aufforderung auch natürlich an die Handelnden sowohl in UK als auch in der EU-Kommission: Wenn es zum Auseinandergehen kommt, den Rahmen so zu setzen, dass weiterhin freier und fairer Handel zwischen England und Deutschland möglich ist. Wir reden immerhin über 14.000 direkt beschäftigte Mitarbeiter von Ford in England. Also wirklich eine große Anzahl, dahinterstehende Lieferanten. Und die wechselseitige Beziehung – Sie sprachen es an mit den Motorenlieferungen – das wollen wir weiter ungestört natürlich fortsetzen können.
    "Noch keine Notwendigkeit, irgendwelche Pläne zu ändern"
    Hahne: Was bedeutet das denn für die Ford Investitionspolitik am Standort Europa? Werden geplante Investitionen gestoppt?
    Mattes: Nein, überhaupt nicht. Wir haben derzeit überhaupt keinerlei Veranlassung, unsere Pläne zu ändern. Wie gesagt, wir beobachten die Entwicklung, wir machen unsere Szenarien. Es sind noch keinerlei neue politische Rahmenbedingungen gesetzt, insofern gibt es derzeit auch noch keine Notwendigkeit, irgendwelche Pläne zu ändern. Wir werden, wenn notwendig, reagieren – derzeit ist das aber nicht im Plan.
    Hahne: Wann wäre das denn notwendig? Gibt es da konkrete Szenarien, die Sie im Kopf haben?
    Mattes: Nein. Die will ich jetzt auch gar nicht ausbreiten. Das sind unternehmensinterne Überlegungen und denen will ich überhaupt nicht vorgreifen. Denn wir haben ja noch überhaupt keine Veränderung der Rahmenbedingungen, die dazu Anlass bieten.
    Hahne: Sie hören das Interview der Woche, heute mit Bernhard Mattes, dem Chef von Ford Deutschland und Präsident der deutsch-amerikanischen Handelskammer. Recht glimpflich ist Ford bisher im Abgasskandal davongekommen. Nach dessen Bekanntwerden hat das Kraftfahrtbundesamt bei mehreren Autos nachgemessen und auch bei zwei Ford-Modellen festgestellt: die stoßen viel zu viele Stickoxide aus, so viele, dass das nicht mehr mit Motorenschutz oder dem Schutz vor Unfällen erklärt werden kann. Wie erklären Sie denn die erhöhten NOx-Werte.
    Mattes: Nun, das Ministerium als auch das KBA haben uns, wie allen anderen Hersteller der getesteten Autos, die Chance gegeben, das zu erläutern. Die Erläuterung ist relativ einfach: Das Testverfahren funktioniert erst dann richtig, wenn der Filter auch tatsächlich frei ist und wirken kann. Wir konnten hier zeigen, dass der Filter nicht freigefahren wurde oder war, bevor der Testzyklus begann. Mit einem freien Filter ist alles in Ordnung. Und das wurde auch in weiteren Nachprüfungen dann bestätigt. Und von daher gesehen, sehen Sie ja auch an dem Bericht, sind die Ford-Fahrzeuge auch nicht mehr erwähnt.
    Autonom fahrende Fahrzeuge in 2021
    Hahne: Der nächste große Technologiesprung wird das selbstfahrende Auto sein. Die Forschung und Entwicklung bei Ford, die wird von allem am Standort Palo Alto im Silicon Valley vorangetrieben. Läuft Ford Europa Gefahr, bei der technologischen Weiterentwicklung ins Hintertreffen zu geraten?
    Mattes: Auch das nicht. Wir arbeiten als Konzern weltweit sehr, sehr eng vernetzt zusammen. Das Entwicklungs- und Innovationscenter in Palo Alto haben wir deswegen gegründet und auch ausgebaut, weil sich viele im Silicon Valley mit Mobilitätsfragen beschäftigen. Und wir wollen genau dieses Netzwerk natürlich nutzen, um eigene Innovation und aber auch Ideen anderer mit einzubringen. Das Entwicklungs- und Innovationscenter in Palo Alto ist aber sehr, sehr eng vernetzt mit dem in Dearborn, genauso wie mit dem in Aachen und auch mit den Universitäten, mit denen wir eng zusammenarbeiten, wie zum Beispiel auch der Universität in Aachen. Das heißt, wir hier in Europa, unser Entwicklungszentrum, unser Innovationszentrum ist in die gesamten Abwicklungen und auch Entwicklungen mit eingebunden.
    Hahne: Mit Chinas größtem Internetkonzern Baidu hat Ford zuletzt in den Sensorhersteller Velodyne investiert – auch aus dem Silicon Valley – und zuvor schon in den Landkartenentwickler Civil Maps. Geht Ford den Weg: Wir wollen alles aus einer Hand, nämlich unserer eigenen?
    Mattes: Ja, wir wollen mit guten Kooperationspartnern das wahrmachen, was wir vor Kurzem angekündigt haben, nämlich autonom fahrende Fahrzeuge im Volumensegment in 2021 auf den Markt zu bringen. Das heißt, Fahrzeuge auf einem Level four, wie es so schön heißt, auf der vierten Stufe von autonom fahrenden Fahrzeugen, wo ein Fahrer nicht mehr notwendigerweise eingreifen muss, wo es kein Lenkrad geben muss, wo es kein Gaspedal, kein Bremspedal gibt, das Fahrzeug fährt autonom, um hier dann eben Mobilitätsdienstleistungen anbieten zu können.
    "Mit der Politik an Rahmenbedingungen für autonomes Fahren arbeiten"
    Hahne: Er muss das Fahrzeug aber überwachen.
    Mattes: Das kommt auf die Rahmenbedingungen an, die gesetzt werden. Heute haben wir gesetzliche Rahmenbedingungen, die den Fahrer grundsätzlich noch vollständig verantwortlich machen. Deswegen müssen wir mit der Politik auch an den Rahmenbedingungen für autonomes Fahren arbeiten. Aber dieses Fahrzeug, diese Stufe von autonom fahrenden Fahrzeug, kann sich eigenständig bewegen und auch die Insassen bewegen und es ist nicht notwendig, dass Fahrerinnen oder Fahrer tatsächlich eingreifen. Weil wir glauben und sicher sind, dass eben viele Mobilitätsdienstleistungen und Nachfragen genau in diese Richtung gehen, dass man individuell mobil sein will, sehr flexibel von Ort zu Ort kommen will, aber nicht unbedingt dieses Fahrzeug mehr besitzen. Und in der Zeit, wo man unterwegs ist, vielleicht etwas anderes noch Sinnvolleres tun kann, als zum Beispiel urban, in einer großen Stadt, dem Verkehr seine Aufmerksamkeit zu schenken, sondern eben gerade etwas anderes zu tun.
    Hahne: Wenn Sie von der Stadt sprechen, in Zukunft soll ja das gesamte Verkehrssystem mal autonom sein, so der Traum. Da braucht man ja einheitliche Standards, damit die Systeme auch kommunizieren können, damit es nicht zu Unfällen kommt. Wie kann das gelingen, wenn jeder Hersteller erstmal sein eigenes Süppchen kocht? Wie arbeiten Sie da zusammen?
    Mattes: Die Entwicklung von Rahmenbedingungen für autonom fahrende Fahrzeuge, das ist natürlich eine Sache, die über die Hersteller, mit der Politik und den rahmensetzenden Gremien, hinausgeht. Hier sind die Verbände gefordert – auf der einen Seite der VDA, ACEA oder aber auch andere Verbände in den USA. Es ist auch ein klassisches Feld, wo eben es noch keine neuen Rahmenbedingungen gibt, wo wir sehr, sehr gut in transatlantischen Verhältnissen Rahmenbedingungen entwickeln könnten, die dann sowohl in den USA als auch in Europa gelten können. Und wir müssten dann bei den Produkten eben auch keine unterschiedlichen Umsetzungen machen. Und das würde natürlich das Ganze auch erleichtern.
    Hahne: Ich höre hier allerdings auch viel den Konjunktiv. Das heißt, noch ist die Politik da nicht Ihren Wünschen gemäß dem nachgekommen?
    Mattes: Nein, wir sind eben noch nicht an einem Punkt, wo wir sagen können, da liegt was vor, über das wir uns jetzt austauschen können. Aber natürlich ist die Politik involviert und kümmert sich auch da drum gemeinsam mit uns. Es gibt ja auch die Testfelder schon, es gibt die Regionen, wo autonom erprobt werden darf. Und wir müssen jetzt aus diesen ganzen Erprobungen heraus dann auch die richtigen Rahmenbedingungen setzen, das ist klar.
    Hahne: Sie haben es angesprochen, 2021 will Ford Fahrdiensten wie Uber zum Beispiel selbstfahrende Autos anbieten. Wann, glauben Sie, werden denn Otto–Normal-Kunden das erste selbstfahrende Ford-Auto kaufen können?
    Mattes: 2021. Denn dann werden wir diese Fahrzeuge tatsächlich auf den Markt bringen. Ich bin aber überzeugt, dass die größte Nachfrage nicht bei denjenigen sein wird, die die Fahrzeuge direkt kaufen, sondern vielmehr, die solche Fahrzeuge nutzen, die halt von A nach B in die Welt gebracht werden wollen, aber nicht unbedingt sagen, das Auto muss mir gehören.
    Hahne: Zu Gast im Deutschlandfunk Interview der Woche ist Bernhard Mattes, Vorsitzender der Geschäftsführung von Ford Deutschland. Herr Mattes, nicht nur das Auto wird sich in Zukunft verändern, sondern auch wie es gebaut wird, Stichwort "Industrie 4.0", also die Vernetzung der gesamten Wertschöpfungskette. Vor rund 100 Jahren hat Ford eines der ersten permanenten Fließbänder in der Produktion eingeführt. Betrachten Sie sich auch in Sachen Industrie 4.0 als Vorreiter, sozusagen aus der historischen Tradition heraus?
    Mattes: Die Weiterentwicklung der Effizienz unserer Produktion ist schon immer eine hohe Priorität bei uns gewesen, sehr effizient Produkte zu fertigen ist auch eine Notwendigkeit insbesondere, wenn sie im Volumensegment sind, da haben die Kosten natürlich einen hohen Stellenwert, beziehungsweise die Kosten möglichst gering zu halten. Und wir haben mit Industrie 4.0 schon sehr, sehr früh angefangen und heute haben wir Industrie 4.0 in vielen, vielen Bereichen komplett umgesetzt. Das heißt, wir sind nicht nur, was die Fertigung angeht, in der Planung vollkommen virtuell erstmal unterwegs. Wir planen die einzelnen Stationen virtuell, wir wissen, welche Gewichte dort verarbeitet werden müssen, wie das alles abläuft, das wird alles virtuell dargestellt, um dann die Arbeitsabläufe so optimal wie möglich zu gestalten. Die Vernetzung mit den manuell tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und Computern und Robotern haben wir ebenfalls schon hier in die Tat umgesetzt. Und letztlich kommunizieren auch schon Teile bei der Produktion miteinander. Wenn Sie sich unsere Motorenfertigung anschauen, da wissen die einzelnen Bauteile, welches von seiner Ausprägung, von seiner Größe in ganz genauer Messgenauigkeit, in hoher Messgenauigkeit zum anderen am besten passt. Und so werden die Motoren dann auch zusammengebaut.
    "Es kommen natürlich andere Voraussetzungen auf die Mitarbeiter zu"
    Hahne: Und was heißt das für die Mitarbeiter von heute?
    Mattes: Nun, es kommen natürlich andere Voraussetzungen auf die Mitarbeiter zu. Neben der manuellen Tätigkeit ist die Bedienung von Computern, von Maschinen, von Robotern heute eine Aufgabe, die fast gang und gäbe geworden ist. Das ist auf der einen Seite etwas Neues, auf der anderen Seite natürlich auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spannend, etwas Neues hinzulernen zu können. Und letztlich macht es aber auch die Arbeit leichter, weil wir, wenn Sie sich unsere Produktion anschauen, viele, viele früher beschwerliche Arbeitsgänge heute über Computerisierung, über Roboter und Ähnliches ganz anders gestaltet haben, und die körperliche Beanspruchung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist deutlich geringer.
    Hahne: Im Business Barometer der deutsch-amerikanischen Handelskammer kam heraus, dass etwa ein Viertel der amerikanischen Unternehmen in Deutschland mit mehr Arbeitsplätzen rechnen durch Industrie 4.0, etwa genauso viel allerdings auch mit weniger. Was glauben Sie denn?
    Mattes: Also, wir sehen es ja bei uns: Trotz der Umsetzung von Industrie 4.0 an unseren Standorten ist die Anzahl der Belegschaft nicht zurückgegangen. Es hat sich aber ein Wandel in den Arbeitsplätzen ergeben, wie ich vorhin schon ausführte. Die sind anspruchsvoller geworden, da sind neue Themen hinzugekommen, die auch neu gelernt werden mussten. Wir haben ein hohes Maß an Training aufgewandt in den letzten Jahren, wenn es zu neuen Produkten und neuen Produktionsformen kam. Also, wir sehen keinen Schwund an Arbeitsplätzen, aber eine andere Qualität an Arbeitsplätzen.
    Hahne: Wenn wir von den Fachkräften der Zukunft sprechen - als im letzten Jahr viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, war die Wirtschaft zunächst relativ euphorisch. Die Hoffnung, die mitschwang, war: die Zuwanderung könnte unser demografisches Problem lösen. Mittlerweise ist klar, automatisch wird das nicht passieren. Ford hat ein Praktikantenprogramm für Flüchtlinge – welche Erfahrungen haben Sie gesammelt?
    Mattes: Also, wir hatten schon die ersten Flüchtlinge in diesem Programm. Wir haben positive Erfahrungen gesammelt in mehrerlei Hinsicht. Erstens einmal, das waren hochmotivierte oder sind hochmotivierte Menschen, die sich in ein solches Programm begeben, weil sie wissen, was auf sie zukommt. Sie werden lernen müssen, sie werden körperlich arbeiten müssen und die deutsche Sprache erlernen, also dreierlei Voraussetzungen. Das ist sehr positiv angelaufen. Wir werden jetzt eine nächste Gruppe von 24 Flüchtlingen in dieses Qualifizierungsprogramm bringen, wo sie eben soweit fit gemacht werden, dass sie dann im Arbeitsmarkt in eine reguläre Ausbildung einsteigen können. Und das hat sich bewährt und wir sind froh, dass wir eben diese Plätze auch bereitstellen können. Denn wichtig ist, dass die Menschen, die es wollen, tatsächlich auch die Voraussetzungen schaffen, um dann im Arbeitsmarkt erfolgreich sein zu können.
    Hahne: Arbeiten die eigentlich nur in der Produktion oder auch in der Verwaltung?
    Mattes: Nein, die sind in der Produktion, und da können wir auch genau sehr schön im Prinzip abbilden, was die Leute können und was die Leute wollen, und das passt hervorragend zusammen.
    "Protektionismus ist in einer immer vernetzteren Welt genau das Falsche"
    Hahne: Sie sind nicht nur als Manager in einem deutsch-amerikanischen Konzern ein USA-Kenner, Sie waren schon als Jugendlicher das erste Mal in den USA bei einer Gastfamilie. Aktuell läuft ja dort der Präsidentschaftswahlkampf auf Hochtouren. Beide Kandidaten schlagen protektionistische Töne an. Sorgt Sie das einerseits als USA-Liebhaber, andererseits aber auch als Manager? Die USA sind ja immerhin auch der wichtigste Exportmarkt für Deutschland.
    Mattes: Grundsätzlich, ungeachtet jetzt des Präsidentschaftswahlkampfs, ist Protektionismus in einer immer vernetzteren Welt genau das Falsche. Freier und fairer Handel, offene Grenzen – aber wie ich sagte, fair auch was Währungsgestaltung angeht –, das ist etwas, was wir befürworten, was ich befürworte, was Ford befürwortet und was auch sicherlich für die USA schon immer etwas war. Die USA war immer offen, offen in der Entwicklung neuer Ideen und diese dann auch in die Welt hinauszutragen und nicht nur für sich selber zu sorgen. Von daher gesehen bin ich überzeugt, dass es das richtige Mittel ist, weiterhin freien und fairen Handel und wenig Protektionismus zu fordern und zu fördern. Wir werden sehen, welcher der Kandidaten letztlich Präsidentin oder Präsident wird. Und ich bin überzeugt, dass der Grundsatz von freiem und fairen Handel auch den nächsten Präsidenten oder die nächste Präsidentin schnell überzeugen wird.
    Hahne: Haben Sie da bei Clinton oder Trump größere Hoffnung, bei dem ein oder anderen Kandidaten?
    Mattes: Ich sehe zumindest in den Ankündigungen, dass Frau Clinton eher für einen offenen Handel ist, sicherlich sehr dezidiert und unterschiedlich, was die derzeit diskutierten Freihandelsabkommen angeht – das transpazifische eher kritisch, das europäisch-amerikanische, glaube ich, eher offen. Natürlich weist sie auf einige Punkte hin, wie Arbeitnehmerrecht und Ähnliches, aber das ist klar. Das ist in den Verhandlungen jetzt auch noch zu Ende zu verhandeln, aber vom Grundsatz her, glaube ich, ist da eine Offenheit da.
    Starke Wettbewerbsposition für mehr Innovation und sichere Arbeitsplätze
    Hahne: Hillary Clinton wäre Ihnen also die liebere US-Präsidentin?
    Mattes: Das will ich jetzt damit nicht gesagt haben. Ich glaube auch, dass ein anderer Präsident, nämlich Donald Trump als Wirtschafskenner, sehr schnell erkennt, dass Protektionismus keine Dauerlösung ist, sondern letztlich Weltoffenheit, wenn es darum geht, Innovationen, Investitionen und auch Handel zu fördern, das richtige Mittel ist.
    Hahne: Es klang ja schon an, Sie sind auch Befürworter des Freihandelsabkommens TTIP. Mittlerweile ist ja nicht mehr so sicher, ob das bis November abschließend verhandelt wird und ob es danach eine Chance hat, das wird dann eben die Zukunft zeigen. Würden Sie im Zweifelsfall – anders als früher – jetzt auch für einen Teilbeschluss von einzelnen Paketen plädieren?
    Mattes: Das hat zwei Aspekte. Auf der einen Seite, wenn man sich heute dazu durchringt zu sagen: Okay, wir machen einen Teilabschluss – dann hat man vielleicht einen Teilsieg errungen, indem wir einen Teil von Reglungen tatsächlich dann harmonisieren und offen gestalten, aber das Andere ist dann eben nicht geregelt. Und deswegen bin ich nach wie vor dafür, keine Ausschlüsse zu machen und ein so umfassend wie mögliches Abkommen zu gestalten und einen Rahmenentwurf bis zum Jahresende zu setzen, der ja dann erstmal in die parlamentarische Beratung auch geht und sowohl in den USA als auch in den europäischen Ländern zu diskutieren ist. Möglichst umfassend ist wichtiger als Zeit. Zeit ist aber auch drängend, denn wir sind ja nicht alleine im Welthandel, Europa und Amerika. Und je mehr Zeit ins Land geht, desto weniger stärken wir die Wettbewerbsposition von Europa und Amerika im Welthandel und das sollten wir uns immer vor Augen führen: Eine starke Wettbewerbsposition hat zum Beispiel auch zur Folge, dass die in diesen Ländern ansässigen Industrien eine bessere Möglichkeit haben, Arbeitsplätze zu sichern, Innovationen zu fördern und letztlich auch Investitionen zu treiben, die weitere Arbeitsplätze schaffen können.
    "Am Anfang hätte man transparenter informieren sollen"
    Hahne: Stichwort "parlamentarische Beratung", wie zufrieden stellt Sie denn – als Bürger Bernhard Mattes und nicht als Ford-Chef Bernhard Mattes – der Ablauf der Verhandlungen, der ja insbesondere am Anfang doch recht intransparent war?
    Mattes: Ja, ich habe das persönlich auch genauso gesehen, wie Sie es eben fragen. Am Anfang hätte man transparenter informieren sollen. Das Mandat, das der EU-Kommission gegeben wurde, ist sehr klar, es wurde von allen 27 Mitgliedsstaaten ratifiziert. Das hätte man ohne Weiteres zu Beginn der Verhandlungen und nicht erst zwei Jahre später veröffentlichen können. Denn darin können heute alle Bürger lesen – jetzt ist es ja schon lange transparent und im Internet verfügbar –, was sind denn eigentlich die Grundlinien und Richtwerte und Felder der Verhandlungen. Da ist alles sehr transparent beschrieben. Da ist auch klar beschrieben, in welche Richtung zu verhandeln ist, was das Mandat ist und was es nicht ist. Das hätte man früher machen sollen.
    Hahne: Und jetzt nochmal Frage an den Manager: Besonders kritisch diskutiert werden ja die Schiedsgerichte nach wie vor – die politischen Systeme in den USA und Europa bieten Unternehmen ja ziemlich viel Rechtssicherheit. Halten Sie Schiedsgerichte trotzdem für ein geeignetes Instrument zum Investorenschutz?
    Mattes: Auf jeden Fall. Und ich halte das auch innerhalb von TTIP für das richtige Instrument. Weil TTIP kann auch eine Art Blaupause für weitere Freihandelsabkommen sein oder auch ein Abkommen eines Wirtschaftsraumes, der sich weiter öffnen kann, auch weitere Mitglieder noch aufnehmen kann. Und um genau diese Möglichkeit aufrecht zu erhalten, sollte man über den Investorenschutz und die Schiedsgerichte auch hier eine Klausel finden. Wir haben es ja auch in CETA, in dem Abkommen zwischen der EU und Kanada drin – auch zwei Systeme, die absolut von der Rechtssicherheit in Ordnung sind. Es gibt natürlich schon ein Gefälle auch innerhalb der EU, das darf man nicht verkennen. Trotzdem, die Bundesrepublik Deutschland hat in 130 Fällen in Freihandelsabkommen Schiedsgerichtsklauseln und Investorenschutzabkommen verankert. Um einfach eines sicherzustellen, dass Firmen sowohl im Inland als auch im Ausland, wenn es um willkürliche Veränderungen und Diskriminierung geht, hier vorgehen können. Es gilt auch für kleinere Unternehmen, kleinere und mittlere, die mittlerweile ja auch global unterwegs sind, die im Zweifelsfall gar nicht die Möglichkeit haben, weil sie gar nicht die Rechtsabteilungen in ihren Unternehmen haben, ihre Rechte einzufordern. Es geht nicht darum, dass man gegen bestehendes Gesetz und Recht klagen kann, dafür ist die normale Gerichtsbarkeit zuständig. Das ist auch ein wichtiger Unterschied, der zu machen ist.
    Hahne: Herr Mattes, vielen Dank für das Gespräch.
    Mattes: Bitteschön.