Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Forderung nach schärferem Profil

Der schleswig-holsteinische CDU-Parteivorsitzende Christian Boetticher fordert auf dem Bundesparteitag mehr Diskussion um die Wehrpflicht und ein durchschaubareres Steuersystem. Außerdem müsse wieder erkennbar sein, wofür die Partei stehe, so Boetticher.

Christian von Boetticher im Gespräch mit Dirk Müller | 15.11.2010
    Dirk Müller: Wie gut ist die CDU? Mit großer Wahrscheinlichkeit kommt beim Parteitag der Christdemokraten heute und morgen in Karlsruhe wieder heraus: Wir sind richtig gut. Das würde nicht überraschen, das ist bei allen Parteien so, das ist vielleicht auch der Sinn von Parteitagen. Dabei hat die CDU allerlei Sorgen: das katastrophale Wahlergebnis bei den Bundestagswahlen im vergangenen Jahr, nur 33 Prozent für die CDU und CSU zusammen, auch die aktuellen Umfragen liegen nicht viel besser, die Regierungsmehrheit mit der FDP wäre derzeit verloren, der Streit über die Frage, ist die Partei konservativ genug, die Spekulationen um Wolfgang Schäuble, die Steuerpolitik, die Gesundheitspolitik, PID. Darüber sprechen wollen wir nun mit Christian von Boetticher. Er ist CDU-Partei- und –Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Guten Morgen!

    Christian von Boetticher: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr von Boetticher, sind Sie auch zum Jubeln nach Karlsruhe gefahren?

    von Boetticher: Ich glaube, es wird schon ein intensiver und diskussionsreicher Parteitag. Das muss er auch sein. Ich finde es wichtig, dass die Union zeigt, dass es verschiedene Stimmen gibt. Wir sind eine Volkspartei, und wenn wir diesen Status behalten wollen, dann müssen wir auch nach außen sehr deutlich zeigen, dass wir um Themen miteinander ringen, manches Mal auch kontrovers, aber am Ende mit einem klaren Ergebnis, hinter dem wir uns dann wieder versammeln.

    Müller: Also man darf auch sagen, wir haben Fehler gemacht?

    von Boetticher: Natürlich. Man muss auch sagen, wir haben Fehler gemacht. Ich halte es da überhaupt nicht mit anderen Parteien, die im Augenblick das Gefühl vermitteln, sie hätten den Stein der Weisen gefunden. Ich finde es richtig, dass man auch an die eine oder andere Frage durchaus selbstkritisch herangeht.

    Müller: Verraten Sie uns noch ein, zwei Fehler.

    von Boetticher: Ja. Ich habe einiges gesagt zum Thema Debatte um die Wehrpflicht. Ich habe das Gefühl, wir haben sie treiben lassen, wir haben sie gar nicht aktiv wahrgenommen, und ich glaube, der Höhepunkt war dann bei der Schwesterpartei ein Parteitag, wo am Ende noch nicht mal mehr diskutiert worden ist, obwohl Horst Seehofer vor einiger Zeit, vor einem halben Jahr noch erklärt hat, das ist Marken- und Kernstück der Identität der CDU. Ich glaube, wir müssen, wenn wir erkennbar bleiben wollen, Debatten auch nach außen deutlicher miteinander führen, um zu zeigen, worum es uns im Kern geht.

    Müller: Demnach war der forsche Verteidigungsminister zu forsch?

    von Boetticher: Ja, er war forsch, das werfe ich ihm auch gar nicht vor. Ich sage eher, es war ein Fehler von uns allen in der Partei, dass man sich nicht mutiger früher in eine Debatte geworfen hat und auch Alternativen vielleicht ein bisschen besser geprüft hat. Wir haben und werden große Probleme dort bekommen, nicht nur bei den Zivildienstleistenden, nicht nur im Katastrophenschutz – und das sage ich als jemand, der aus einem Land kommt, das ständig von Sturmfluten oder Elbhochwassern gefährdet ist. Nein, auch bei der Bundeswehr selber gibt es sicherlich Alternativen und die haben wir nicht lebendig genug diskutiert. Und das Thema ist uns dann entglitten, langsam davongeschwommen, wie man es leider manches Mal in der Politik der heutigen Tage hat.

    Müller: Ist es für Sie, Herr von Boetticher, tatsächlich das Thema Wehrpflicht, oder auch das Thema Reduzierung der Truppe, Standortschließungen?

    von Boetticher: Das kommt ja als Zweites. Natürlich ist völlig klar, dass in einer modernen Bundeswehr, die anders ausgerichtet ist als vor 20 Jahren, wir auch strukturelle Entscheidungen brauchen. Da ist es auch so, dass wir über Standorte diskutieren werden. Mir ist doch völlig klar, dass man nicht jeden Standort am Ende wird halten können. Da muss ein vernünftiges Konzept her, da bin ich wirklich durchaus für die Gespräche, die der Verteidigungsminister auch offensiv sucht, sehr aufgeschlossen, vernünftig im Konzept umsetzen.

    Müller: Kostet Arbeitsplätze!

    von Boetticher: Ja, das ist so. Aber wir haben auch Erfahrungen gemacht in Schleswig-Holstein, dass nicht an allen Standorten, an denen Bundeswehr weggegangen ist, am Ende das große Jammern und Elend war, sondern es kamen innovative Ideen, neue nachfolgende Unternehmen an die Standorte. Also wir haben auch schon gute Konzepte gehabt. Darum geht es nicht in erster Linie, sondern mir geht es wirklich hier um die Kerndebatte, etwas, wofür die Union immer gestanden hat und wo ich nicht finde, dass man nach all diesen Jahren einfach auf dem Absatz mal eben kehrt machen kann und in die andere Richtung marschieren. Das muss man dann schon in einer öffentlichen Debatte etwas genauer begründen.

    Müller: Zu wenig Diskussion über die Wehrpflicht, sagen Sie. Auf der anderen Seite: Seit Jahren wird diskutiert über die Steuerpolitik, de facto ändert sich nichts. Dann kann man sich das auch sparen?

    von Boetticher: Ja, hier geht es mir um eine sehr realistische Einschätzung der Lage, und ich glaube, da hat Wolfgang Schäuble recht. Wir müssen auch sagen, dass wir jetzt die Last bringen müssen und die Schulden zahlen müssen für das, was wir 30 Jahre in dieser Bundesrepublik nicht richtig gemacht haben - wir haben über unsere Verhältnisse gelebt – und jetzt an einer Situation angekommen sind, wo wir immense Neuverschuldung haben. Und wenn sich jetzt die Neuverschuldung ein Stück weit reduziert, ist das natürlich überhaupt gar kein Grund, in Jubel auszubrechen und große Versprechungen zu machen. Das glauben uns die Leute auch nicht mehr. Aber was sie verlangen – und das haben wir versprochen und das müssen wir auch umsetzen -, das ist eine einfachere Steuer, eine Steuer, wo nicht eine Heerschar von Juristen und Steuerexperten und Bücher geschrieben werden müssen, damit man das Steuerrecht versteht, sondern eine Steuer, die jedermann auch vernünftig nachvollziehen kann.

    Müller: Sie sind ja 39 Jahre alt, wenn ich das richtig eben noch mal verglichen habe, Ihr Geburtsdatum. Das haben Sie, das Thema Steuervereinfachung, bestimmt schon in der Schule gelernt?

    Von Boetticher: Ja. Ich bin auch noch Jurist, ich habe es also auch im juristischen Studium gelernt, wie kompliziert das alles ist. Freunde von mir haben das Steuerprüferexamen gemacht, das ist der reinste Horror. Nein, ich glaube, dass man – andere Staaten zeigen das ja auch – es wesentlich einfacher, durchschaubarer machen kann und damit Steuererklärungen für den Bürger, aber auch für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen wesentlich einfacher gestalten kann, und das ist ein großer Auftrag und der hat zunächst einmal mit der Frage Steuerreduzierung nichts zu tun und ich würde ihn auch scharf davon trennen.

    Müller: Also Sie sagen, Herr von Boetticher, keine Steuersenkungen. Das heißt, es bleibt bei den Steuersenkungen für die Hoteliers?

    von Boetticher: Das ist ein Punkt, ist ein Nerv, den Sie ansprechen. Nun sage ich Ihnen als Schleswig-Holsteiner ganz offen: Wir haben natürlich alle geschimpft, dass es eine singuläre Lösung gibt. Auf der anderen Seite muss man ehrlich sein. In Holstein ist das im Mittelstand angesiedelt. Wir haben nicht die riesengroßen Hotelketten, wir haben kleine mittelständische Familienbetriebe, die überwiegend das wirklich investiert haben. Also insofern ein schönes Schlagwort, da muss man ein bisschen hinter die Kulissen gucken, um zu gucken, was dran ist oder nicht. Aber Sie haben recht: Auch hier müssen wir in der Union wieder ein Stück deutlicher und erkennbarer werden und zeigen, wofür wir stehen.

    Müller: Sie haben eben Wolfgang Schäuble genannt. Soll er Finanzminister bleiben?

    von Boetticher: Natürlich wird Wolfgang Schäuble Finanzminister bleiben! Wenn wir bei Otto Schily bei jeder unüberlegten oder etwas härteren Handlung gegenüber seinen Mitarbeitern ihn infrage gestellt hätten damals auch zu Oppositionszeiten, dann hätte es pausenlos Rücktrittsanträge gegen Otto Schily gegeben. Da haben die alle gesagt, der ist so, kann man eh nicht mehr ändern. Nun war der Wolfgang Schäuble nach einer schweren Krankheit an dieser Stelle einmal unbeherrscht und es wird eine Debatte vom Zaun gebrochen – ich sage ganz bewusst vom Zaun gebrochen -, weil hier unter den Delegierten, auch bei uns in Schleswig-Holstein, ist eine Revolutionsstimmung gegen Wolfgang Schäuble überhaupt nicht erkennbar und ich bin mir sehr sicher, dass er bei den Wahlen ein sehr gutes Ergebnis einfahren wird.

    Müller: Hat die Partei, gerade die Parteiführung oder der innere Zirkel, nicht da Fehler gemacht, weil ja viele Äußerungen dahingehend, in Richtung Schäuble, schafft er das gesundheitlich wie auch immer, aus den eigenen Reihen kamen?

    von Boetticher: Na gut, die Gesundheitsfrage ist da und sie kann nur von einer Person beantwortet werden, und das ist Wolfgang Schäuble selbst. Ich habe ihn gestern getroffen im Bundesvorstand, da machte er einen sehr agilen Eindruck. Er wird auch nicht die ganze Zeit hier sein, muss zu der Tagung nach Brüssel. Daran sieht man, dass er schon absolut einsatzfähig wieder ist. Das will er und er ist eine der Säulen. Das muss man auch ganz deutlich sagen. Er ist derjenige, der in der Finanzpolitik die Zügel zusammenhält, und ich glaube, wir brauchen ihn dringend als Union. Noch mal: Ich glaube nicht, dass sich diese Debatte auf diesem Parteitag vertiefen wird.

    Müller: Schauen wir, Herr von Boetticher, noch einmal auf die Agenda. Da stehen drei Namen: Ursula von der Leyen, Volker Bouffier, Norbert Röttgen. Sie sollen neu in die Parteispitze gewählt werden als Stellvertreter. Sie bekommen alle drei von Ihnen Ihre Stimme?

    von Boetticher: Na selbstverständlich! Es sind hervorragende Leute. Ich freue mich übrigens, dass wir ein breites Personaltableau haben. Wenn Sie mal gucken, wie viele Nachfolger jetzt in den Ländern nach oben kommen, wie viele neue Gesichter, neue Namen kommen, dann brauchen wir uns über die Zukunft der Union keine Sorgen zu machen. Wir haben da eine ganze Menge Auswahl. Dass da sofort immer Themen aufkommen wie Kanzlerkandidat, ist ja nett. Ursula von der Leyen hat das neulich sehr freundlich beantwortet und hat gesagt, da soll man mal ein bisschen auf die Bremse treten. Es geht darum, dass die Union breit aufgestellt ist, und das ist sie mit diesen Kandidaten. Es sind gute Kandidaten und darum glaube ich, sie werden auch gute Ergebnisse bekommen.

    Müller: Ist die CDU noch eine Arbeitnehmerpartei?

    von Boetticher: Selbstverständlich sind wir das. Wenn Sie angucken, wie viele Vertreter des Arbeitnehmerflügels auch für den Bundesvorstand kandidieren, das sind mehr als eine Handvoll, also ein starker Flügel nach wie vor in der Union, im Übrigen auch ein Flügel, der durchaus sich zu erkennen gibt, laut und selbstbewusst auftritt, und das ist auch Aufgabe in einer Volkspartei, dass wir immer zwischen einem starken Wirtschaftsflügel und einer starken Arbeitnehmerschaft vermitteln und Lösungswege gemeinsam finden. Ich glaube, das ist ein Teil unserer Stärke.

    Müller: Sie sagen, die CDU ist eine Arbeitnehmerpartei. Deswegen könnte man jetzt sagen, tragen die Arbeitnehmer in Zukunft die Kostensteigerung bei der Gesundheit ganz alleine.

    von Boetticher: Sie sehen mir nach, die Gesundheitsreform ist immer schwer zu vermitteln. Das war sie, das ist sie immer. Das ist der Grund, warum sich viele Menschen inzwischen aus der Debatte ausgeklinkt haben, weil sie nicht mehr wirklich für einzelne nachvollziehbar ist. Sie sehen immer nur, am Ende, egal wer sich durchsetzt, die Steigerungen gehen immer weiter. Und ich glaube in der Tat, dass gerade wir als jüngere Generation in der Union uns auch wieder zusammensetzen müssen und sagen, wie schaffen wir es eigentlich, endlich mal ein Gesundheitssystem wirklich generationengerecht zu machen, sodass es auch noch in 20, 30 Jahren für dann eine kleinere Generation und eine größere, stärker älter werdende Generation steht, die damit versorgt werden muss, wie schaffen wir das, das zu organisieren. Und darauf, muss ich sagen, haben wir alle miteinander noch nicht die Antwort gefunden, die Menschen eigentlich von uns erwarten.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Christian von Boetticher, er ist CDU-Partei- und –Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Karlsruhe.

    von Boetticher: Herzlichen Dank.