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Forschen im Weltall I

Raumfahrt. - Seit dem vergangenen Sommer ist die Internationale Raumstation (ISS) fertig gestellt und zieht in rund 400 Kilometer Höhe ihre Bahnen. An Bord befinden sich ständig sechs Astronauten aus den beteiligten Ländern. Was aber ist der Zweck der Multi-Milliarden-Veranstaltung? In Berlin ist heute das ISS-Symposium 2012 zu Ende gegangen. Drei Tage lang haben Wissenschaftler ihre außerirdischen Experimente vorgestellt.

Von Guido Meyer | 04.05.2012
    Seit Anfang Mai fliegt Deutschlands größte Fluggesellschaft mit Materialien aus dem Weltraum. Genauer: In einigen Triebwerken der Flotte sind Teile der Turbinen aus dem Material Titanaluminid gefertigt. Robert Guntlin ist der Geschäftsführer von ACCESS, dem Forschungszentrum für Materialforschung unter Weltraumbedingungen der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, und er hält ein Modell dieser "Hardware aus dem All" in der Hand.

    "Wir sehen hier eine Turbinenschaufel, die aus dem sehr leichten Material Titanaluminid gefertigt wurde – ein Material, was 50 Prozent leichter ist als die konventionellen Turbinenschaufeln. Das soll dazu dienen, die gesetzten Ziele in Europa zur Senkung der Emissionen und zur Reduzierung des Spritverbrauches wirklich zu erreichen."

    Die Leichtigkeit dieses Materials ist sein erster Vorteil; sein zweiter ist sein innerer Aufbau. Die Erfahrungen in der Schwerelosigkeit nämlich erlauben eine andere Fertigung dieser Turbinenschaufeln. Guntlin:

    "Wenn ein Material erstarrt, wenn es also von flüssig nach fest geht, bildet sich eine gewisse Kornstruktur aus. Diese Körner müssen möglichst sich gleichmäßig, gleich groß sich ausbilden, sonst haben wir die Gefahr, dass durch ein ungewünschtes Zwischenkorn, wenn die Maschine fliegt, ein Riss entstehen könnte."

    In der Schwerelosigkeit bilden solche Körner weder Klumpen noch setzen sie sich ab. Sie schweben frei und gleichmäßig verteilt im Material und bleiben auch in diesem Zustand konserviert, wenn es hart wird – was in diesem Fall ideal ist zur Erzeugung von Turbinenschaufeln in der Luftfahrt.

    Seit Februar 2008 ist Europas Raumlabor Columbus Teil der ISS. Auch Gregor Morfill, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik in Garching bei München, macht sich die fehlende Schwerkraft auf der ISS zunutze. Er und sein Team wollen jedoch keine Turbinenschaufeln herstellen, sondern ein Plasma, ein heißes ionisiertes Gas also, das die Astronauten der ISS an Bord des Raumlabors Columbus auf Zimmertemperatur herunterkühlen sollen.

    "Unter Schwerelosigkeit mussten wir noch eine zusätzliche Komponente hinzuaddieren, nämlich kleine Mikropartikel. Diese Mikroteilchen sind schwer, im Vergleich zu Atomen milliardenfach schwerer. Auf der Erde würden die einfach sedimentieren, und man würde nicht in der Lage sein, diese Plasmakristalle zu erzeugen, die man untersuchen möchte."

    Gibt man also Staub zum Plasma und kühlt es, bilden sich Strukturen aus, die es erlauben, diesen Mix zum Beispiel auf die menschliche Haut aufzutragen – und zwar mit heilender Wirkung. Die Fertigung entsprechender Geräte auf dem Boden also baut auf auf die Erfahrungen in der Schwerelosigkeit. Morfill:

    "Was wir hier sehen, sind kleine Handgeräte, die ein Plasma erzeugen. Dieses Plasma kann zum Beispiel diese resistenten Bakterien, die im Krankenhaus so viel Sorgen bereiten, in weniger als zehn Sekunden effektiv abtöten und hat damit natürlich ein hohes Potenzial für die Hygiene in Krankenhäusern."

    Cold Plasma Technology nennt sich dieses Verfahren, dessen Umsetzung in verschiedenen Bereichen erprobt wird. Zahnmediziner testen eine Plasmabürste zur Behandlung von Karies, Dermatologen setzen derzeit experimentell sogenannte Plasmafackeln ein zur Behandlung von Hautkrankheiten wie Nagelpilz, Akne oder Schuppenflechte. Morfill:

    "Einmal bewirkt das Plasma, dass die Membran der Bakterien durchlässig gemacht wird. Und zum zweiten enthält das Plasma solche Wirkstoffe, die auch unser körpereigenes Immunsystem erzeugt, die dann durch diese Perforierung der Membran in die Bakterien hineinkommen und damit die Bakterien abtöten."

    Bei Patienten mit chronisch infizierten Wunden wurden Bakterien in ersten Test bereits binnen zwei Minuten abgetötet. Morfill:

    "Im Moment ist es noch in der klinischen Prüfung. Und wir hoffen, dass wir da in den nächsten Jahren so weit sein werden, dass es wirklich auf den Markt kommen kann."