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Forscher-Konferenz
Schizophrenie als kreative Kraft

Gewisse psychische Erkrankungen kommen unter Erfindern oder Künstlern viel häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung. Die Bremer Konferenz "Schizotopia" spürt dem Zusammenhang nach. "Schizophrenie und Kreativität sind sich in vielen Kriterien sehr ähnlich", sagte Projektleiter Samuel Nyholm im Dlf.

Samuel Nyholm im Interview mit Ulrich Biermann | 22.01.2018
    "Schizotopia Konferenz: Die Pathogenese von Schizophrenie als eine elementare kreative Kraft."
    Logo der Schizotopia-Konferenz: Forscher untersuchten an der Hochschule für Künste in Bremen die Schizophrenie als eine elementare kreative Kraft. (Laura Mc Farlane)
    Ulrich Biermann: Ob Musikerin, Erfinder oder Künstler: Es scheint eine Gemeinsamkeit bei vielen Keativen zu geben, eine bipolare Erkrankung - das Schwanken zwischen Manie und Depression, so sagen Untersuchungen - tritt in diesem Personenkreis zehn mal häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung. Sting hat sich damit an die Öffentlichkeit gewagt, auch Catherine Zeta Jones. Und es sind nicht nur die Kreativen: Viele der einflussreichsten, bahnbrechendsten und innovativsten Personen der Geschichte wurden - nach heutigen Diagnosen - als "an Schizophrenie Leidende" eingestuft.
    Am Wochenende hat sich die Hochschule für Künste in Bremen unter dem Titel "Schizotopia" mit der kreativen Kraft jenseits der Norm beschäftigt. In Bremen bin ich verbunden mit Samuel Nyholm, Professor in Bremen für Illustration und Projektleiter. Willkommen.
    Samuel Nyholm: Vielen Dank.
    Biermann: Ich habe schon ein paar Namen genannt. Gibt es Kulturschaffende, wo Sie sagen würden, das ist exemplarisch, wo psychische Nichtnormalität ins künsterische Schaffen reingewirkt hat?
    Nyholm: Unsere Konferenz hat sich hauptsächlich mit dem zugrundelegenden Mechanismus als wertvolle Qualität hinter der psychiatrischen Diagnose beschäftigt. Äquivalent zu der kreativen Qualität würde ich sagen, dass es möglich wäre, Kreativität an sich als Diagnose zu jedem Spektrum zu diagnostizieren. Schizophrenie und Kreativität sind sich in vielen diagnostischen Kriterien sehr ähnlich. Wenn also ein Künstler oder Musiker neue Perspektiven in einem oder ihrem Feld eröffnet, wäre es gut möglich, dass diese Person unter Umständen auch als geisteskrank diagnostiziert werden könnte.
    Als Beispiel aus der Popkultur, für sogenannte verrückte Genies könnte man beispielsweise Ron Howards Film "A Beautiful Mind" über den Mathematiker John Forbes Nash Jr. nennen, oder Cronenbergs "A Dangerous Method" über die bahnbrechende Psychoanalytikerin Sabina Spielrein. Beide konzentrieren sich auf die Abnormität der Diagnose auf einer individuellen Ebene, als auf die anhaltenden Stereotypen, so dass beide Filme einen nuancierten Blick auf das diagnostizierte Subjekt geben - im Gegensatz zu der üblichen Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Darstellung.
    "Kreativität ist, was neue Wege eröffnet"
    Biermann: Was gibt es denn da für einen Mehrwert für die Kreativität, nachdem jemand so diagnostiziert worden ist?
    Nyholm: Kreativität ist, was neue Wege eröffnet und neue Organe unsere Wahrnehmung aktivieren. Die entstehende Arbeit ist eine Manifestation daraus. Was wir ein verrücktes Genie nennen, ist wahrscheinlich eine Person mit einer herausragenden Fähigkeit, die Impulse der inneren Sinne durch Kunstwerke, Musik, Texte et cetera zu übermitteln, so dass wir anderen Sterblichen diese genießen können.
    Workshop der Konferenz "Schizotopia". In der Mitte zu sehen ist Projektleiter Samuel Nyholm.
    Ein Workshop auf der Schizotopia-Konferenz: In der Mitte zu sehen ist Projektleiter Samuel Nyholm. (Laura Mc Farlane)
    Biermann: Diese - Sie nennen sie 'verrückten Genies' - haben also die Fähigkeit, andere Hirnareale zu motivieren, da ist was anders verschaltet, da gibt es vielleicht mehr Synapsen. Das ist in der Kunst immer wieder versucht worden durch Künstler mit Hilfe von bewusstseinserweiternden Drogen oder dadurch, dass man sich in Extremsituationen gebracht hat, zu bewerkstelligen. Wäre das ein Hilfsmittel?
    Nyholm: Ja, einer der Vortragenden in der Konferenz, der Psychiater Uwe Günther aus Bremen, sagte, dass jeder Zustand, der durch Drogen ausgelöst wird, auch ohne Drogen erreicht werden kann, auf eine natürliche Art. Die Drogen lassen uns wahrscheinlich die diskriminierenden Funktionen unserer Wahrnehmung überschreiten, so dass unser Verstand und die Vorstellungskraft für eine Weile freier sind.
    Aber durch die künstlichen Manipulationen unseres Gehirns wird es abgenutzt und abgestumpft. Und künstliches Vergnügen - ob Drogen, Süßigkeiten oder Pornografie - führt nicht zu einer nachhaltigen Zufriedenheit, um so einen Zustand zu erreichen wie das echte. Das Echte führt die Wahrnehmung nicht nur zu einen kurzen Moment der Erleuchtung, sondern die ganze Wahrnehmung der Realität wird verformt.
    "Wir haben versucht, eine Schizo-Maschine zu machen"
    Biermann: Wenn man sich auf so einer Konferenz damit beschäftigt - ich meine, Sie können ja nicht Schizophrenie ausprobieren, das geht ja nicht - aber wie gehen Sie da vor? Was haben Sie gemacht?
    Nyholm: Wir haben versucht, eine Schizo-Maschine zu machen, in Zusammenarbeit mit den anderen Universitäten. Gleichzeitig haben wir Vorträge und Workshops mit verschiedenen Vortragenden und Lehrenden gemacht. Ziel des Projektes ist nicht, ein Produkt zu machen.
    Biermann: Ergebnis war also, erstmal Erfahrungen zu machen und zu gucken, was passiert. Was ist diese Schizo-Maschine?
    Nyholm: Man weiß gar nicht, was eine Schizo-Maschine ist, man kann es nicht intelektuell konzeptuieren. Die Schizo-Maschine in diesem Beispiel besteht auch aus performativen Elementen und Elementen, welche wir nicht verstehen konnten. Die Schizo-Maschine ist mehr ein Platz und eine Umgebung, in welcher man ganz befreit von der zivilisierten...
    Biermann: Zwängen, Normen...
    Nyholm: Ja, Normen und Erwartungen befreit ist.
    Biermann: Also ein Raum, eine Umgebung jenseits von Werten, Normen und Erwartungen, in denen frei agiert werden kann. Wenn ich zusammenfassen müsste, worüber Sie geredet haben, dürfte ich es in dem Schlagwort zusammenfassen: Wahnsinn akzeptieren und kultivieren?
    Nyholm: Akzeptieren ist ganz gut, das müssen wir machen. Aber inkludieren ist für mich ein bisschen hierarchisch, dass manche Leute privilegiert sind und weniger privilegierte Leute inkludieren müssen. Ich glaube, das ist nicht der Zusammenhang. Man redet sehr oft von den Kranken als etwas, das außerhalb der Gesellschaft ist. Und ich glaube, dass die Gesellschaft diese Qualität adaptieren und akzeptieren sollte. Man sollte es als eine kreative Kraft benutzen, nicht als ein Problem etikettieren.
    Biermann: Herzlichen Dank, Samuel Nyholm, Professor für Illustration an der Hochschule für Künste in Bremen und Projektleiter der "Schizotopia"-Konferenz, die am Wochenende stattfand. Danke Ihnen für das Gespräch.
    Nyholm: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.