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Forschung
Berlin: Hauptstadt der Tierversuche

In Deutschland werden jährlich rund drei Millionen Tiere für wissenschaftliche Zwecke getötet. Tendenz steigend. Während Wissenschaftler mit dem wachsenden Forschungsbedarf argumentieren, plädieren Tierschützer für einen Ausbau der alternativen Forschung.

Von Dieter Nürnberger | 25.04.2014
    Eine Frau mit Gummihandschuhen und Mundschutz blickt in die Augen eines hochgehobenen Meerschweinchens.
    Drei Millionen Tiere werden im Jahr in deutschen Laboren getötet. (dpa picture alliance / Hans Wiedl)
    Berlin - die Hauptstadt der Tierversuche. So titelten einige Zeitungen in dieser Woche. Und in der Tat, die Zahlen zeigen nach oben, allerdings nicht nur in Berlin. Von den absoluten Zahlen hier, liegt Nordrhein-Westfalen noch immer vorn, doch die Hauptstadt holt auf. Heidemarie Ratsch kennt die Entwicklung ganz genau, sie ist Veterinärmedizinerin im Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin. Hier müssen Unternehmen und Forschungseinrichtungen ihre Anträge auf Tierversuche einreichen:
    "Die Zunahme ist kontinuierlich, über fünf Jahre entstanden. Und das hängt vor allem damit zusammen, dass der Standort der biomedizinischen Wissenschaft in Berlin stark ausgebaut und gefördert wurde."
    Was die Fachgruppenleiterin der Genehmigungsbehörde relativ sachlich schildert, lässt Tierschützer natürlich nicht ruhen. Bundesweit mussten 2012 rund drei Millionen Tiere in den Versuchslaboren leiden, Tendenz steigend. Und die Tierschützer kritisieren vor allem die Genehmigungsbehörden. In Berlin beispielsweise bewertet ein rund 20-köpfiges Expertenteam die Anträge. Brigitte Jenner, vom Vorstand des Berliner Tierschutzvereins, sieht darin lediglich eine Alibifunktion:
    "Zwei Drittel der Mitglieder kommen aus tierexperimentellen Einrichtungen. Ein Drittel sind Tierschützer. Hier in Berlin haben wir noch das Glück, dass ein Ethiker mit dabei ist - und trotzdem reicht dies natürlich nicht aus, um eine gute Abstimmung zu machen."
    Tierschützer für Ausbau der alternativen Forschung
    Rund 380 Anträge auf Tierversuchsreihen gehen pro Jahr in Berlin ein. Etwa 100 mehr als noch vor ein paar Jahren. Pharma- und chemische Industrie und natürlich die Forschungseinrichtungen stellen sie. Beispielsweise auch das Max-Delbrück-Center für Molekulare Medizin: Um mit dem steigenden Forschungsbedarf Schritt halten zu können, werde man die Tierhaltungskapazitäten bis 2020 um rund 15 Prozent erhöhen.
    Während die Forscher darauf verweisen, dass es ohne Tierversuche nicht geht, weil beispielsweise Computersimulationen die Arbeit an lebenden Organismen noch nicht ersetzen könnten, plädieren die Tierschützer für einen Ausbau der alternativen Forschung. Brigitte Jenner vom Tierschutzverein sagt, dass man hier großen Nachholbedarf habe, obwohl es auch schon bekannte, positive Beispiele gebe.
    "Da ging es um die Gewinnung und Vermehrung von Anti-Körpern. Diese Antikörper sind sehr wichtig um Therapien für den Menschen zu entwickeln. Das hat ein Forscher gehört, der keine Tierversuche durchführte und hat dann einen sozusagen Bioreaktor entwickelt. Und dieser Tierversuch ist heute so gut wie abgeschafft."
    In der Berliner Genehmigungsbehörde kennt man diese Beispiele auch, doch entscheidend seien die gesetzlichen Vorgaben, die bei der Antragstellung berücksichtigt werden müssen. Leicht mache man es sich bei der Bewertung ohnehin nicht, sagt Heidemarie Ratsch vom Landesamt für Gesundheit und Soziales:
    "Da muss insbesondere dargelegt werden, dass die Erkenntnisse, die man gewinnen möchte, dass das nur mit Tierversuchen geht - und nicht mit anderen Methoden. Das wird besonders intensiv geprüft."
    Zweifel an der beantragten Zahl der Versuchstiere
    In Berlin wurden in den Jahren 2012 und 2013 lediglich 12 Anträge endgültig abgelehnt - von rund 750. Wichtig für Heidemarie Ratsch ist aber vor allem der Zeitraum zwischen Antragstellung und Genehmigung.
    "Aus formalen Gründen stellen wir zu rund zwei Dritteln der Anträge Fragen: Wenn wir beispielsweise nicht erkennen können, dass nicht auch andere Methoden eingesetzt werden könnten. Oder wir haben Zweifel an der beantragten Zahl der Versuchstiere - wenn die Antragsteller vielleicht auch mit weniger Tieren auskommen müssten. Um solche Fragen geht es dann."
    Bei der Kritik der Tierschützer geht es natürlich zuallererst um die generelle Frage einer ethischen Vertretbarkeit von Tierversuchen. Somit gilt die Kritik an den Genehmigungsbehörden eigentlich dem Gesetzgeber, der den Tierschutz nicht besser und wirkungsvoller verankert, Tierversuche weiterhin erlaubt. Und deswegen ruft man für morgen auch zur Demonstration vor dem Regierungssitz, dem Kanzleramt, auf.