Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Forschung zu kultureller Bildung
Quantifizierung der Kreativität

Macht Tanzen kreativer? Lernen Schüler im Physik-Unterricht besser, wenn sie daraus ein Video machen? Und wie misst man überhaupt den Erfolg kulturell-ästhetischer Bildung? Forscher diskutieren, wie man die Wichtigkeit von Tanz, Literatur und Musik belegen kann – und ob man das überhaupt muss.

Von Marco Poltronieri | 18.03.2019
Schüler malen an einer Hauptschule in Arnsberg (Sauerland).
Forscher meinen: Seit der Pisa-Studie läge der Fokus im Bildungssystem stark auf den Kernfächern. Kreative Fächer würden vernachlässigt. (dpa / picture alliance / Fabian Stratenschulte)
Kulturelle Bildung – kein ganz einfaches Thema, selbst Forscher wie Sport-Wissenschaftler Nils Neuber von der Uni Münster, Mitveranstalter der Tagung, tun sich schwer mit einer Definition. Gut, darauf kann man sich einigen: zur kulturellen Bildung gehören zum Beispiel Tanz, Literatur, Musik, Bildende Kunst oder Theater. Klassische Bildungs-Sparten eben, bei denen sich Kinder und Jugendliche auskennen sollten, um sich für`s Leben zu bilden.
"In der Nach-Pisa-Ära konzentriert sich das Bildungssystem ja sehr stark auf die Kernfächer, also Mathematik, Deutsch, die Sprachen, die Naturwissenschaften und die kulturellen, ästhetischen Fächer geraten doch stark ins Hintertreffen. Darum bin ich sehr froh, dass das jetzt in den letzten Jahren eine Gegenbewegung gegeben hat. Also wir haben tatsächlich sehr viele Angebote im Bereich kultureller Bildung, und damit nimmt auch die Forschung zu."

Auch in seinem Institut, in dem gerade in einem großen Projekt tanzspezifische Forschungsmethoden entwickelt werden. So geht es zum Beispiel darum, ob und wie Tanz die kognitiven und kreativen Möglichkeiten der Schüler verbessern kann. Neubers Mitarbeiterin Esther Pürgstaller erforscht dies in einem dreimonatigen Tanz-Bewegungs-Theaterprojekt in Mainz.
"Wir haben sechs professionelle Tanzpädagogen an zehn Mainzer Grundschulen geschickt, und die haben dort mit den Kindern einmal am Nachmittag für 90 Minuten immer Tanz und Bewegungstheater gemacht. Und wir haben dann geschaut, ob sich denn die entwickelnden Kinder in ihren kreativen Fähigkeiten, emotionalen Fähigkeiten, ob sich das verbessert oder nicht, um dann rauszufinden, zu überprüfen, sind denn Wirkungen da oder nicht."
Ist Kreativität messbar?
Mit dem Ergebnis, dass die Schüler durchaus kreativer wurden. Aber wie lässt sich das messen? Generell ist es eher schwierig, die Effekte kultureller Bildung zu erforschen. Für Nils Neuber stellen sich zwei Kernfragen:
"Die eine ist: hat kulturelle Bildung nicht einen Eigenwert und muss deshalb gar nicht groß erforscht werden. Oder sind die Transferwirkungen das Entscheidende. Also das, was man an Selbstvertrauen, an sozialer Kompetenz, an Motivation und so weiter, erlangen kann. Eine andere Frage ist, ist das kulturell-ästhetische so persönlich, dass ich es eigentlich gar nicht messen kann. Also wenn überhaupt, dann mit sehr offenen wissenschaftlichen Methoden erfassen muss. Oder brauchen wir grade quantitative Methoden, um sozoziologische "Hard Facts" zu haben, um zu belegen, dass man tatsächlich etwas dabei lernt."
Motivation für trockene Themen
Doktorand Michael Retzar beschäftigt sich an der Uni Marburg mit Qualifizierungsmaßnahmen von Lehrern. Sein Projekt wird gerade stark nachgefragt von Lehrern an anderen Schulen. Er untersucht, welche ästhetischen Erfahrungen Lehrer nutzen können, um Schüler für eher trockenen Unterrichtsstoff zu motivieren.
"Das bedeutet zum Beispiel im Rahmen des Physik-Unterrichts, die Möglichkeit zu schaffen, dass sich Kinder und Jugendliche selbstständig mit zum Beispiel Themen der Elektrizitätslehre auseinandersetzen und dann auch mit Unterstützung von Professionellen, zum Beispiel aus dem Medienbereich, lernen, Filme zu drehen. Das heißt, sie produzieren Clips, wo sie sich selbst mit der Materie auseinandersetzen und den Mitschülern gegenüber diese Materie aufarbeiten, mit einem kreativen Ansatz."
Hilfestellung für die Bildungspolitik
Wichtig ist dabei, dass die Lehrer selber motiviert sind und die Schüler anleiten. Deshalb bietet er Weiterbildungs-Workshops an. Er beobachtet, dass Lehrer danach eher bereit sind, ihre Unterrichtsmethoden zu verändern. Erkenntnisse, die wichtig sind, meint Retzar.
"Unsere Rolle als Forschung besteht in erster Linie darin, die Praxis zu beobachten und zu verstehen und auch dem Forschungsfeld, dem Praxisfeld gegenüber aufzuzeigen, welche Prozesse sich dort eigentlich ereignen. Um letztlich ja auch der Bildungspolitik eine gewisse Hilfestellung zu geben, ob es sich lohnt, da weiter zu investieren."
Das versucht auch Julia Rohde von der Uni Kassel. Sie hat die Digitalisierung im Blick. Mit ihrem Forschungsprojekt will sie herausfinden, inwieweit sich kulturelle Bildungsangebote im außerschulischen Bereich durch die Digitalisierung verändern. Sie forscht sowohl im ländlichen als auch im städtischen Bereich. Abschließende Forschungs-Erkenntnisse liegen noch nicht vor. Doch eines ist klar:
"Analoge und digitale Methoden und Inhalte lassen sich schon heute kaum noch trennen: Also es verschwimmt alles miteinander, es wird nicht eins, aber es entsteht vielleicht was Neues daraus. Also, wir können jetzt nicht sagen, jetzt nur noch die digitalen Fähigkeiten und die analogen brauchen wir nicht mehr, wir brauchen jetzt veränderte Fähigkeiten."
Junges Forschungsgebiet mit Potenzial
Das sieht auch Nils Neuber so. Die Balance zwischen analog und digital – das sei ein spannendes Thema. Aber letztlich habe Bildung in kulturellen Bereichen einen klaren Vorteil: Der Nachhaltigkeitsfaktor ist oft größer:
"Wir wissen natürlich seit Jahrzehnten aus der Entwicklungspsychologie, dass Erfahrungen umso prägender sind, wenn ich sie am eigenen Leibe mache. Und das ist eine Stärke der Künste, in jedem Bereich. Ich als Sportwissenschaftler würde natürlich sagen, gehen Sie tanzen, da haben sie es leibhaftig, aber auch im bildnerischen Gestalten oder in der Musik sind sie ja immer leibhaftig dabei.
Kulturelle Bildung: ein noch junges Forschungsgebiet, das aber, da waren sich alle Tagungsteilnehmer in Münster einig, in den nächsten Jahren noch viel Fahrt aufnehmen wird. Auf die Forschungsergebnisse im Einzelnen darf man gespannt sein.