Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Forschungsförderung
Gelder sinnvoller verteilen

1,2 Milliarden Euro für einen Supercomputer, der dem menschlichen Gehirn ähneln sollte und der dann aber doch nicht so funktionierte, wie er sollte: An diesen und ähnlichen Projekten gibt es Kritik, vor allem an der Förderung solcher Projekte durch die EU-Kommission. Zurecht, meinte Wissenschaftsexperte Peter Welchering im DLF.

Peter Welchering im Gespräch mit Manfred Kloiber | 25.06.2016
    Ein 500-Euro-Geldschein.
    Künftig sollen Fördergelder in der Forschung besser verteilt werden. (dpa/picture-alliance/Hans-Jürgen Wiedl)
    Manfred Kloiber: Diese Änderungen in den Forschungsrichtungen muss auch die EU-Kommission zur Kenntnis nehmen. An deren Forschungsförderung gab es heftige Kritik, Peter Welchering?
    Peter Welchering: Ja, die EU-Kommission hat sehr nachdrücklich das Human Brain Project gefördert, in dem ein Supercomputer entstehen sollte, der dem menschlichen Gehirn nachgebaut ist. 1,2 Milliarden Euro gab es dafür. Aber die großartigen Versprechungen sind weitgehend nicht eingelöst worden. Jetzt werden im Human Brain Project stärker Anwendungen in der Robotik und Mustererkennungen für das autonome Fahren zum Thema gemacht. Und damit wendet man sich auch wieder den klassischen neuronalen Netzen zu, die allerdings neu aufgelegt werden.
    Die Kritik an der EU-Kommission lautete: Eure Forschungspolitik in Sachen Supercomputing ist zu zentralistisch. Und mit diesem Zentralismus macht ihr kaputt, was an eigentlich guter Forschungsinfrastruktur in Europa schon vorhanden ist.
    Kloiber: Welche Änderungen an der Forschungspolitik der EU werden da konkret gefordert?
    Welchering: Mehrere, auch konkurrierende Forschungsansätze gleichzeitig zu fördern. Und vor allen Dingen vom Länderproporz wegzukommen. Was nutzt denn eine Förderung mit einigen Millionen für ein zypriotisches Hochleistungsrechenzentrum rein aus länderpolitischen Proporz, wenn damit nur der laufende Betrieb eines Rechenzentrums finanziert wird, aber nicht die Forschung an neuen Architekturen oder Prozessoren für künftiges Supercomputing, lautete ein Einwand. Das Geld möge man doch bitte aus einem Topf für die Regionalförderung nehmen.
    Auf der anderen Seite ist die Stärke der Europäer die Anwendungsprogrammierung auch im Supercomputing-Bereich. Und da muss auch dringend etwas getan werden. Aber diesen Bereich haben die EU-Forschungsbürokraten noch gar nicht auf ihrem Radar.
    Wieder mehr um die Anwendungsprogrammierung kümmern
    Kloiber: Welche Aufgaben stehen denn in der Anwendungsprogrammierung an?
    Welchering: Für die integrierten Schaltkreise bei den sogenannten akzelerierten Systemen wird eine ganz andere Programmierlogik vorausgesetzt als für traditionelles Supercomputing mit 30.000 oder 40.000 Rechnerkernen. Die Big-Data-Algorithmen müssen in die Supercomputing-Algorithmen integriert werden. Und für neuromorphes Supercomputing, also die Neuauflage der neuronalen Netze sind auch neue Programmiermodelle erforderlich. Der Mitbegründer der internationalen Supercomputer-Konferenz, der im Jahr 2014 verstorbene Computerwissenschaftler Hans-Werner Meurer, hatte auf diese Punkte schon im Jahr 2013 hingewiesen.
    Er galt ja als einer der kenntnisreichsten und profiliertesten Kritiker der EU-Forschungspolitik. Solche Kritik war nötig, um die Forschungsbürokraten der EU wieder auf das hinzuweisen, was die Forscher wirklich brauchen. Nach Meuers Tod war diese Kritik zwei Jahre ziemlich verstummt. Ihr fehlte sozusagen der Sprecher. Aber auf dieser Supercomputer-Konferenz war erstmals wieder profilierte Kritik am Forschungszentralismus der EU zu hören. Und die ging in die Richtung: Wir müssen uns in der Forschungsförderung wieder stärker um die Anwendungsprogrammierung kümmern.
    Erweiterter Blick der Forschungsförderung erforderlich
    Kloiber: Welche Bereiche der Anwendungsprogrammierung im Supercomputing sind denn in Frankfurt am intensivsten diskutiert worden?
    Welchering: Für die genauere Prognose von sogenannten Stark-Wetter-Ereignissen, also Hagel, Starkregen oder andere räumlich sehr begrenzte Phänomene müssen die zumeist noch in Fortran geschriebenen Algorithmen für die Wettervorhersage neu geschrieben werden, um Big-Data-Analysen einbeziehen zu können. Konstruktionsalgorithmen müssen auf Industrie-4.0-Anwendungen abgestimmt werden. Und in der Mustererkennung müssen neuronale Netze an bestehende Supercomputer angebunden werden. Also, da ist auf allen Ebenen sehr viel in Bewegung. Damit die Probleme dort gelöst werden können, müssen Datenanalysten, Supercomputerprogrammierer und die Entwickler der sogenannten akzelerierten Einheiten mit den Fachwissenschaftlern, also Materialwissenschaftlern, Maschinenbauingenieuren, Medizinern, Meteorologen stärker interdisziplinäre zusammenarbeiten. Das erfordert einen weiteren Blick der Forschungsförderung, die nicht so stark auf das Exaflops-System fokussiert sein darf.