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Forschungsmuseen
Mehr als nur eine Wunderkammer

Von etwas angestaubten Aufbewahrungsorten von Objekten aus der Vergangenheit haben sich einige Museen zu Orten der Forschung gewandelt. Ansprechen wollen sie in erster Linie nicht Wissenschaftler, sondern die ganze Gesellschaft. Bei der Umsetzung stehen sie vor zwei großen Herausforderungen.

Von Michael Stang | 06.11.2018
    Forschende und Museumsmitarbeiter aus mehr als 20 Ländern haben sich in Berlin zur Weltweit ersten internationalen Konferenz von Forschungsmuseen getroffen. Autor: Michael Stang, 6. November 2018
    In Berlin hat jetzt die weltweit erste internationale Konferenz von Forschungsmuseen im Museum für Naturkunde stattgefunden (deutschlandradio / Michael Stang)
    Wer gestern oder heute Dinosaurier "Oskar" im Museum für Naturkunde in Berlin besuchen wollte, hatte Pech und musste draußen bleiben. Denn das mit einer Höhe von gut 13 Metern größte montierte Dinosaurierskelett der Welt, es handelt sich um einen Vertreter von Giraffatitan brancai, war ausschließlich für die Teilnehmenden der ersten internationalen Konferenz von Forschungsmuseen reserviert. Dabei ging es – unter anderem im Dinosauriersaal - um die Fragen, welche Rolle Museen heutzutage spielen oder spielen sollten.
    "Ich denke, es ist eine falsche Vorstellung, dass Museen trocken, langweilig und verstaubt sind, obschon das in Ansätzen noch zutrifft. Spannend finde ich hingegen, dass bis zu 99 Prozent der Sammlungen nicht öffentlich ausgestellt werden", sagt Samuel Alberti von den Nationalmuseen Schottlands in Edinburgh. Dort ist der Kurator unter anderem für die Sammlungen "Technik und Wissenschaften" der fünf ihm zugehörigen Museen zuständig. Der Wissenschaftshistoriker erkundet neue Wege, wie sich der Schatz aus den Archiven der Öffentlichkeit zugänglich machen lässt – wenn auch mitunter nur aus der Ferne über die Website der Einrichtung.
    "Bei uns im Museum haben wir in den Sammlungen 12,8 Millionen Objekte, Gegenstände und Artefakte. Da haben wir bislang nur einen kleinen Teil online gestellt. Aber wir arbeiten daran, dass alles in den Onlinekatalog aufgenommen wird."
    Einen ganzheitlichen Blick schaffen
    Transparenz und Digitalisierung sind zwei der großen Herausforderungen der Forschungsmuseen. Alle Bürger einer Gesellschaft - und eben nicht nur die Forschenden - müssen wissen können, was in den teilweise sehr alten und gewaltigen Archiven lagert. Das gilt nicht nur für die Museen im Vereinigten Königreich, sondern auch für Deutschland, sagt Sunhild Kleingärtner vom Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven, eines von acht Leibniz-Forschungsmuseen in Deutschland.
    "Die Leibniz-Forschungsmuseen sind große Wissenskammern. Diese Kammern müssen gehoben werden. Das schafft man durch Digitalisierung, das schafft man durch Öffnung, indem man Bürgerwissenschaftler einbindet und aus meiner Sicht bedarf es einer globalen Herangehensweise, einer globalen Vernetzung, um wirklich die großen gesellschaftlichen Herausforderungen auch erfüllen zu können."
    Wer die großen aktuellen Fragen wie Migration oder Klimawandel behandeln möchte, sieht schnell ein, dass diese Aufgaben weder ein thematisch festgelegtes Museum allein noch die Museen eines Landes adäquat angehen können. Dies sei nur mithilfe von nationalen und internationalen Kooperationen und einem ganzheitlichen Blick zu schaffen.
    "Die Objekte in den Sammlungen sind unsere Wissensträger. Da versuchen wir, Forschungsfragen daraus zu entwickeln, die uns helfen, auch die großen Herausforderungen unserer Welt zu erklären. Es geht also nicht nur um rückwärtsgewandte Forschung, sondern es geht auch um eine Art Gegenwartsbestimmung und eine Reflektion unserer Forschung und unserer Forschungsfragen - vor allem auch unserer Haltung der Welt gegenüber, um die für die Zukunft fruchtbar zu machen und letztendlich auch vielleicht Grundlagen für zukünftige Entscheidungen zu bereiten."
    Museumsforschung richtet sich an Gesellschaft
    Und dabei helfen die Objekte in den Museen. So erlaubt ein einhundert Jahre altes Vogelnest etwa Aussagen zum Thema Klima und Natur in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, etwa indem man die Teile des Nestes mithilfe verschiedenen naturwissenschaftlichen Methoden untersucht: Das Baumaterial gibt Auskunft darüber, welche Pflanzen dort einst wuchsen, Kotreste, Eierschalen und Federn erlauben Aussagen über die Tiere selbst und im Vergleich zu diesem Schnappschuss aus dem vergangenen Jahrhundert lassen sich Aussagen über Veränderungen bis heute treffen und mitunter Prognosen über die Zukunft erstellen.
    "Da bietet es sich an, mit den Leibniz-Forschungsmuseen, die einfach ganz, ganz viele unterschiedliche Disziplinen verbinden, zusammenzuarbeiten. Dort gibt es Naturwissenschaftler, Geologen, Geographen, Kunsthistoriker, Archäologen, Wissenschaftshistoriker, verschiedenstes, um Fragestellungen zu beantworten, die eine Disziplin allein nicht mehr beantworten kann."
    Auf der Konferenz in Berlin wurde die gesellschaftliche Relevanz von Forschung in Sammlungen und Museen herausgearbeitet. Der Tenor: Museen sollten über ihr Alleinstellungsmerkmal sprechen: die große Palette an Produkten, die sich deutlich von den Produkten einer universitären Forschung unterscheidet, wo es hauptsächlich um Forschungsergebnisse geht, die in Fachzeitschriften veröffentlicht werden.
    Die Museumsforschung richtet sich aber nicht an Menschen aus dem Universitätsbereich, sondern hat die Gesellschaft im Blick. Daher sind die Produkte eines Museums auch vielfältiger, dazu gehören Ausstellungen, Bücher, Interaktionen mit der Gesellschaft, "Tag der offenen Tür" oder auch der "Girls & Boys Day". Aber natürlich sind sie auch Partner der Universitäten, denn Museen verfügen über das Forschungsmaterial, dass sie teilweise seit mehr als 100 Jahren gesammelt haben.
    Dieses Kapital sollten sie vor Augen haben und auch selbstbewusst kundtun, fordert der britische Kurator Samuel Alberti: "Museen sind wunderbare Orte, an denen sich forschen lässt. Das sollten wir intensivieren und das transparent handhaben. Wie sollten stolz auf diese Sammlungen sein und es laut kundtun: Museen sind großartige Forschungsplätze!" Allerdings ist es ein Potential, das vorhanden ist, aber nicht oder noch nicht optimal genutzt wird.