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Forschungsprojekt
Hamburg arbeitet sein koloniales Erbe auf

Bis heute weiß kaum jemand, dass infolge des deutschen Kolonialismus etwa anderthalb Millionen Menschen ums leben kamen - und immer noch sind viele Straßen oder Gebäude nach wichtigen Akteuren des Kolonialismus benannt. Das ist einer der Gründe, warum die Stadt Hamburg als erste deutsche Großstadt ihre koloniale Vergangenheit aufarbeiten will.

Von Ursula Storost | 29.01.2015
    Im Jahr 1954 äußerte sich Paul von Lettow-Vorbeck über die vergangene glorreiche Kolonialzeit:
    "Europa hat den Afrikanern viele Segnungen gebracht: Ruhe und Ordnung, Gerechtigkeitspflege, Aufhören der endlosen Stammesfehden, Krankheitsbekämpfung und Hygiene, Schulwesen und europäische Studien."
    Der auch "Löwe von Afrika" genannte General Lettow-Vorbeck, damals schon weit in den Achtzigern, war bis 1918 Kommandeur der sogenannten Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Sein Feldzug im Ersten Weltkrieg forderte eine Millionen Tote. Die Nationalsozialisten setzten ihm 1934 mit der gleichnamigen Kaserne in Hamburg-Jenfeld ein Denkmal. Und stellten dort zwei überlebensgroße Askarikrieger-Reliefs auf.
    "Das sind "Kunstwerke", die Mitte der 30er-Jahre erstellt worden sind als Gedenken an die, damals hieß das so, heroischen Krieger der Askari, die ja die deutschen "Schutztruppen" in Afrika unterstützt haben," erläutert Wolfgang Schmidt, Staatsrat in der Hamburger Senatskanzlei. Bis 1999 wurde die Kaserne dann von der Bundeswehr genutzt. Die heroisierten schwarzen Askari-Krieger mit präsentiertem Gewehr und ihrem weißen Anführer stehen inzwischen hinter einem Zaun. In der Umgebung liegen Straßen, deren Namensgeber wenig Ehrenvolles geleistet haben, wie zum Beispiel der Sklavenhändler Heinrich Carl von Schimmelmann. Jetzt, so Wolfgang Schmidt soll Hamburgs koloniale Vergangenheit endlich wissenschaftlich aufgearbeitet werden. 400.000 Euro stellte der Hamburger Senat für das dreijährige Forschungsprojekt "Hamburgs postkoloniales Erbe" zur Verfügung.
    "Dass man sich ankuckt, was haben wir hier. Ist in der historischen Betrachtungsweise es in Ordnung, dass die Straße so heißt oder ist sie nach jemandem benannt, wo man auch nach heutigem Wissen und Kenntnissen sagen muss, nein, das ist nicht in Ordnung, dass eine Straße so jemanden ehrt."
    In den Gebäuden der denkmalgeschützten ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne wohnen heute Studenten. Ihre Wohnstätten zieren weithin sichtbar Reliefporträts sämtlicher Schutztruppenkommandeure der damaligen deutschen Kolonien, Professor Jürgen Zimmerer, Historiker an der Hamburger Universität und Leiter des neuen Projekts zeigt auf das steinerne Porträt eines Lothar von Trotha:
    "Lothar von Trotha ist der General, der hauptverantwortlich für den Tod an den Herero war 1904 in Deutsch-Südwestafrika. Und von dem die damalige Ministerin für Entwicklung und Zusammenarbeit Heidemarie Wieczorek-Zeul in Namibia 2004 bei ihrer offiziellen Entschuldigung sagt, dass ein Mann wie Lothar von Trotha heutzutage als Kriegsverbrecher nach Den Haag überstellt würde."
    Hamburg hat am Stärksten vom Kolonialismus profitiert
    Jürgen Zimmerer ist Experte für die Geschichte Afrikas. Seit Langem beschäftigt er sich mit Kolonialismus, der Unterwerfung weiter Teile der Welt unter europäischer Fremdherrschaft. Ein Phänomen, das es seit dem Ende des 15. Jahrhunderts gibt. Und an dem sich viele europäische Mächte bereichert haben. Ende des 19. Jahrhunderts wollten auch die Hamburger Kaufleute einen Teil vom kolonialen Kuchen abhaben.
    "Die Hamburger Kaufleute fordern, das Deutsche Reich müsste unbedingt Kolonien erwerben, eigene Kolonien, die es ja bis dahin nicht gab. Die Bismarck eigentlich auch ablehnte. Es heißt dann, dass Adolf Wöhrmann aus der Reederfamilie, Reichstagsabgeordneter damals, im Sommer mehrfach zu Bismarck nach Friedrichsruh gefahren sein, um ihn umzustimmen. Und 1884 kommt es ja zum Schwenk in der deutschen Politik und Deutschland erklärt den Anspruch auf Kolonien."
    Deutschland sicherte sich Kamerun, Togo, Namibia als Deutsch-Südwestafrika sowie Tansania, Ruanda und Burundi als Deutsch-Ostafrika. Hamburg als Tor zur Welt war die Stadt in Deutschland, die am stärksten vom Kolonialismus profitierte, sagt Jürgen Zimmerer. Ein Tor mit kolonialem Blick in die Welt.
    "Es ist der Blick, der sagt, wen immer ich dort treffe, der ist grundsätzlich anders als ich und der ist unterlegen. Das ist in der Anfangsphase des Kolonialismus Christentum-Heidentum. Das wird zunehmend über Rassenideologien auch rassistisch aufgeladen. Es ist dann auch in Vorstellungen von Entwicklung und Moderne. Das heißt, Europa ist entwickelt, Afrika, Teile Asiens sind unterentwickelt. Daraus leiten die Europäer wiederum die Rechtfertigung ab zur Herrschaft, um zu entwickeln, in Anführungszeichen."
    Diese Herrschaft, so Jürgen Zimmerer spülte nicht nur Geld nach Europa, sondern prägte auch die europäische Identität:
    "Dass man nicht-europäische Menschen und Gesellschaften abwertet. Sie sehen das in Hamburg ja nicht nur am Völkerkundemuseum. Auch an den Völkerschauen für die ja Hagenbecks Tierpark steht. Und auch dieses Bedürfnis befriedigte das exotische Andere, den exotischen Anderen zu sehen und sich dabei überlegen zu fühlen."
    Die Völkerkundemuseen erlebten Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland einen enormen Aufschwung, weiß auch Professor Wulf Köppke. Er ist Leiter des Hamburger Völkerkundemuseums.
    "Es ist die Weltneugierde, es ist das Handelsinteresse. Es ist dieses Exotische. Es sind mehrere Dinge, die da mit reinspielen."
    Im Rahmen der kolonialen Aufarbeitung haben Wulf Köppke und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt das Museum für die Forschung geöffnet. Gerade hier kann man nach kolonialen Relikten suchen.
    "Man muss auch bei jedem einzelnen Stück kucken, wie ist das erworben worden, in welchem Kontext. Und man kann auch nicht pauschal weder das verdammen noch pauschal Absolution erteilen. Das ist ja der Sinn des Projektes, dass wir wirklich für jedes Stück aufarbeiten, wie sind die hier her gekommen."
    "Koloniale Aufarbeitung ist überfällig"
    Kolonialbeamte haben früher Objekte oft geraubt und weiterverkauft. Und von Wissenschaftlern wurden solche Exponate gesammelt, die sie mit ihrem europäischen Blick für bedeutsam hielten. Da hat sich am Denken viel verändert, sagt der Ethnologe Dr. Carl Triesch vom Hamburger Museum für Völkerkunde. Geblieben ist aber der koloniale Blick des Publikums.
    "Ja, ich würde mal behaupten, dass jeder von uns Reste des kolonialen Blicks in sich hat. Und soweit ist das natürlich auch ne Arbeit an und mit einem selbst."
    Die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt tatsächlich, wie koloniales Gedankengut weiterlebt, resümiert Jürgen Zimmerer. Die Nationalsozialisten besannen sich ab1933 auf Maßnahmen der Kolonisatoren. Zum Beispiel auf die Rasseverordnungen im ehemaligen Deutsch Südwestafrika.
    "Die fast eins zu eins dementsprechend, die 1935 in den Nürnberger Rassegesetzen erlassen wurden."
    Nach dem Völkermord an den Herero und Nana in Deutsch-Südwestafrika unter General Lothar von Trotha zwang man die Verbliebenen dieser Bevölkerungsgruppe Passmarken mit sichtbaren Nummerierungen um den Hals zu tragen. Und man diskutierte darüber, renitenten Afrikanern Nummern einzutätowieren, um sie schnell identifizieren zu können. Die Kolonien waren ein Experimentierfeld für Unterdrückung. Hier konnte man unbehelligt von den Werten und Normen des Deutschen Reiches agieren, sagt Jürgen Zimmerer.
    "Ich denke, dass diese Experimente, die auch darum gehen, wie man eigentlich Raum über Rasse strukturieren kann und effizient ausbeuten kann, dass die 1919 nicht verschwinden. Die landen in der Schublade. Und 1933 ist es wieder möglich, radikal im Grunde auf solche Ideen zurückzukommen, und da ist es jetzt halt der Osten und nicht der Süden. Also Hitler sagt ja Russland ist unser Indien. Und die Wolga ist unser Niger."
    Bis heute weiß kaum jemand, dass infolge des deutschen Kolonialismus etwa anderthalb Millionen Menschen ums leben kamen. Es muss, sagt der Historiker, eine breite öffentliche Diskussion darüber geben, ob Kolonisatoren durch Straßen und Denkmälern geehrt werden dürfen. Dann wird man vielleicht auch thematisieren können, warum ausgerechnet im gerade neu entstandenen Stadtteil Hamburger Hafencity viele Plätze nach Welteroberern wie Magellan, Marco Polo und Vasco da Gama benannt wurden. In Hamburg. Dem Tor zur Welt.
    "Man kann ja eigentlich nur zwei Schlüsse ziehen. Wer immer diese Namen gewählt hat, wollte entweder koloniales Gedankengut bestätigen oder er oder sie hatte keine Ahnung, dass es kolonial ist. Und als solches eben hochproblematisch. Was wiederum dafür ein Argument liefert, dass diese koloniale Aufarbeitung eigentlich überfällig ist. Und zwingend notwendig."