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Fortsetzung der Anleihekäufe
"Die niedrige Inflationsrate ist eine erhebliche Gefahr"

Die Europäische Zentralbank pumpt weiter 60 Milliarden Euro monatlich in den Markt. Es sei aber fraglich, ob die Notenbank damit die Inflationsrate und die Preisstabilität erhöhen werde, sagte Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, im DLF. Dennoch sei die Fortsetzung der Ankäufe "letztlich der einzige Weg, der offensteht".

Michael Hüther im Gespräch mit Dirk Müller | 04.12.2015
    Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft
    Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (Imago)
    Die EZB habe bekannt gegeben, dass sie nicht nur von den Zentralregierungen Papiere annehme, sondern auch von Regionaleinheiten wie beispielsweise Bundesländern, sagte Michael Hüther. "Das zeigt, dass man hier schon langsam in Mengenprobleme hineinkommt, um wirklich das Aufkaufprogramm, das ja am Ende auf 1, 5 Billionen Euro anwachsen soll, auch zu erfüllen."
    Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln hätte sich vor fünf bis zehn Jahren nach eigenen Angaben nicht vorstellen können, "dass wir so eine hartleibige, niedrige Inflation haben, und dass damit tatsächlich Deflationsgefahren im Raum stehen würden."
    Auch die Marktteilnehmer erwarteten offenbar nicht, dass es der EZB innerhalb von zwei Jahren gelingen werde, die Inflationsrate auf zwei Prozent zu steigern, so Hüther. Der Wirtschaftsprofessor mahnte, eine Inflation bei null könne leicht kippen. "Die niedrige Inflationsrate ist eine erhebliche Gefahr. Wir sind in einigen Bereich schon bei Preissenkungen. Wenn sich das durchsetzt, kriegen wir volkswirtschaftlich ein Problem."
    Dennoch sei die Fortsetzung des Anleiheprogramms letztendlich der einzige Weg. Denn im Bereich der Zinspolitik habe die Notenbank keinen Handlungsspielraum mehr. Hüther: "Es ist in der Tat eine Dilemmasituation. Wir haben noch nie im Euroraum eine so hartleibige Inflation an der Grenze zur Deflation gehabt."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Nicht ganz so einfach, die Finanzmärkte zu verstehen. Da kündigt Mario Draghi wieder einmal an, die umstrittenen Anleihekäufe von Staatspapieren länger umzusetzen als geplant, also die Geldschleusen weiter zu öffnen; da sinken die Aktienkurse tief in den Keller, weil die Börsianer damit gerechnet haben, dass der Chef der Europäischen Zentralbank noch viel tiefer in seine Tasche greift, sprich noch viel mehr billiges Geld auf den Markt pumpt, als er das ohnehin schon tut. Aber ist Billiggeld ein guter Barometer für eine stabile, kontrollierte Geldpolitik, für die Stabilität der europäischen Währung, nach Jahren der Krise und nach Jahren der Verwerfung? Feststeht: Der Euro hat international, weltweit dramatisch an Wert verloren. Am Telefon ist nun Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Guten Morgen nach Berlin!
    Michael Hüther: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Hüther, sind Börsianer erst dann richtig glücklich, wenn sie das Geld selbst drucken können?
    Hüther: Das könnte man meinen nach den gestrigen Reaktionen. Ich warne aber davor, das zum Nennwert zu nehmen. Das sind kurzfristige Übertreibungen. Es gab im Vorfeld der EZB-Entscheidungen größere Erwartungen, nicht nur, dass das Programm verlängert wird, sondern dass die Bazooka in dem Sinne aus dem Schrank geholt wird, dass noch mal kräftig doppeltgeschossen wird und die Mengen kurzfristig erhöht werden. Das konnte und wollte die EZB so nicht machen, auch mit Blick auf den Zustand der Märkte. Man muss ja auch genug Material vorfinden, das man kaufen kann, und da kommt sie ja kläglich schon an Probleme.
    Müller: Was meinen Sie mit Material kaufen können?
    Hüther: Nun, die EZB versucht ja, Staatsanleihen von Banken abzukaufen, damit die Banken freizumachen für das eigentlich wichtige Kreditgeschäft, für die privaten Kunden, für die Unternehmen, und da ist sie ja an Qualitätsstandards gebunden und deswegen hat sie jetzt auch bekannt gegeben, dass sie nicht nur von der Zentralebene, von den Zentralregierungen Papiere nimmt, sondern auch die, die von Regionaleinheiten kommen, Bundesländern beispielsweise. Das zeigt, dass man hier schon langsam in Mengenprobleme hineinkommt, um wirklich das Aufkaufprogramm, das ja am Ende auf 1,5 Billionen Euro aufwachsen soll, auch zu erfüllen.
    "Die EZB hat ein erhebliches Reputationsrisiko"
    Müller: Hätten Sie sich das jemals träumen lassen, dass wir darüber reden, über so eine Geldmenge, die im Grunde künstlich da reingepumpt wird?
    Hüther: Sicher nicht, wenn man mich vor fünf oder zehn Jahren gefragt hätte. Ich hätte mir das zu dem Zeitpunkt aber auch nicht vorstellen können, dass wir so eine hartleibige niedrige Inflation haben und dass damit Deflationsgefahren tatsächlich im Raum stehen und dass wir einmal vor der Frage stehen, ob die Notenbank ihr Reputationsrisiko wirklich managen kann, das darin besteht, dass ihr Ziel nicht erreicht wird. Das Ziel heißt, Preisniveau-Stabilität dadurch umzusetzen, dass die Inflationsrate nahe bei zwei Prozent ist. Sie ist bei null. Die sogenannte Kerninflationsrate, wenn man Saisonfrüchte und Öl rausnimmt und Energiepreise, liegt bei knapp eins. Die Inflationserwartungen machen deutlich, dass auch die Marktteilnehmer auf zwei Jahre nicht erwarten, dass sie ihr Ziel erreicht, und insofern hat die Europäische Zentralbank ein erhebliches Reputationsrisiko und sie kann auch nicht ignorieren, dass eine Inflation bei null auch leicht kippen kann. Es ist nicht so, wie die Deutschen glauben, das sei jetzt nur die extreme Ausprägung von Preisniveau-Stabilität, sondern es ist eine erhebliche Gefahr. Wir messen Preise nicht angemessen. Wir überzeichnen damit normalerweise. Das heißt, wir sind eigentlich in einigen Bereichen schon in Preissenkungen. Wenn sich das durchsetzt, kriegen wir volkswirtschaftlich ein Problem. Man möge sich Japan anschauen.
    Müller: Herr Hüther, da muss ich noch mal nachfragen. Sie sagen, da muss was passieren mit der Inflation, wir brauchen mehr Inflation. Wir hatten ja auch schon mal umgekehrte Probleme im Laufe der Geschichte. Aber dieses Ankaufprogramm, das läuft seit vielen Monaten, unvorstellbare Summe für den Normalmensch: 60 Milliarden Euro jeden Monat investiert die EZB. Das geht seit Monaten schon so. Verändert hat sich nichts. Ist das das richtige Programm?
    Hüther: Es ist letztlich der einzige Weg, der offensteht. Normalerweise handelt eine Notenbank über Zinspolitik. Da ist sie ausgereizt. Sie ist im Nullbereich. Sie hat jetzt noch Strafzinsen, wenn die Banken Geld bei ihr einlegen. Das ist schon ganz ungewöhnlich. Und das zweite Instrument sind Mengeninstrumente, in sogenannten offenen Marktgeschäften Papiere aus dem Markt zu nehmen oder in den Markt hineinzunehmen, diesen zu stabilisieren. Diese ungewöhnliche Geldpolitik, wie man das nennt, das quantitative easing, das mengenmäßige Abfedern einer solchen Situation ist in der Tat ungewöhnlich. Die Amerikaner haben das auch gemacht. Es sind auch keine Erfahrungen damit auf dem Tisch. Aber mein Argument wäre, das Nicht-Handeln hat auch Risiken. Klar ist: Diese niedrigen Zinsen haben Konsequenzen fürs Finanzsystem, für die Versicherungen, für die Anlageentscheidungen. Und je länger es dauert, da hat Jens Weidmann völlig Recht, umso länger kommt es auch zu Verzerrungen. Deswegen ist es auch sehr genau zu beobachten, und ob die Verlängerung wirklich funktioniert, wird man auch sehen.
    "Deflation ist schon sehr schlimm"
    Müller: Hört sich ein bisschen jetzt so an, als sei die EZB mit ihren Instrumenten am Ende.
    Hüther: Ja, es ist in der Tat eine Dilemma-Situation. Wir haben noch nie im Euroraum eine so hartleibige Null-Inflation oder Inflation an der Grenze zur Deflation gehabt. In der Krise 2009 war das vorübergehend, wie üblich in Rezessionen. Jetzt verhärtet es sich. Wir haben jenseits der Effekte über das niedrige Öl, das sich auch nicht fortsetzen wird, das im volkswirtschaftlichen Geschehen angelegt. Die Schwäche einiger Volkswirtschaften steht dahinter. Da kann sie nicht einfach tatenlos zusehen, aber sie hat nur begrenzte Mittel. Ein anderer, der helfen könnte, wäre der Regulator, wenn er beispielsweise sagt, liebe Banken, die Papiere, die ihr von den Staaten kauft, müsst ihr mit dem gleichen Eigenkapital unterlegen wie Unternehmensanleihen. Was wir feststellen ist: Vielfach ist dieses Programm auch noch in den zusätzlichen Kauf von Staatsanleihen gegangen. Das heißt, die Banken sind immer noch in einer schwierigen Situation, und auch das versucht man, mit einem Instrument jetzt mitzuheilen.
    Müller: Jetzt habe ich neulich gelesen, Gespenst Inflation, regt euch nicht auf, ist gar nicht so schlimm. Sie sagen, ist doch schlimm. Warum?
    Hüther: Deflation ist schon sehr schlimm, weil wir da erst recht keine adäquaten Instrumente haben. Deflation ist nicht nur einfach das Spiegelbild der Inflation, sondern Deflation heißt, eine Volkswirtschaft ist, wenn es im negativen Prozess stattfindet, eine nachhaltige Nachfrage-Depression. Die Nachfrage wird schwach. Und wenn Sie sich das vorstellen, dann ist es jeden Tag für Sie besser, nicht zu kaufen, sondern erst morgen oder übermorgen zu kaufen, weil Sie erwarten, die Preise sinken weiter. Wenn sich das verfestigt und wenn sich dann auch verfestigt, dass die Erwartungen zeigen, es glaubt keiner mehr, dass die Notenbank ihr Ziel noch erreicht, dann haben wir wirklich ein Problem der Gegensteuerung und dann müssten alle anderen noch mal ganz anders handeln, die es aber auch nicht wirklich können, siehe Finanzpolitik, siehe Staatsverschuldung.
    Müller: Hört sich dann so an, als hätten wir permanent die Möglichkeit, eine Schnäppchenjagd erfolgreich jeden Tag zu machen?
    Hüther: Genau, auf die man dann immer noch warten kann. Und in einer Volkswirtschaft, die dann auch demografisch eher in einen Alterungsprozess hineinläuft, was ja für Europa insgesamt gilt, dann kann man sich anschauen, wie das in Japan ist, wo wir das über zehn Jahre jetzt haben. Richtig lustig ist das auch nicht.
    Müller: Optimistisch sind Sie dennoch nicht so besonders?
    Hüther: Nein. Es ist eine Dilemma-Situation. Die Notenbank hat diesen Konflikt, dass sie auf der einen Seite ihr Ziel nicht erreicht, dass sie Reputationsprobleme bekommt, und das sollten wir auch nicht zulassen. Auf der anderen Seite wissen wir in Europa, angesichts auch der jungen Laufzeit der Europäischen Währungsunion, nichts über die Nutzung solcher unkonventionellen Instrumente. Aber wie gesagt: Nichts tun ist auch nicht einfach die bessere Variante, ist auch mit erheblichen Risiken verbunden.
    Müller: Sie haben Jens Weidmann angesprochen, Bundesbankchef, der das Ganze ja viel, viel kritischer betrachtet als der Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi. Ist Mario Draghi ein bisschen auch das Problem?
    Hüther: Nein. Ich finde, dass Draghi auch von der Begründung her, wie diese Politik eingeleitet wurde, das angemessen gemacht hat. Ich bin da eher auch auf seiner Seite, weil es einfach nicht geht, zu allen anderen Maßnahmen gleich Nein zu sagen. Dann muss man auch sagen, was die Alternative ist. Zusehens in einen Prozess hineinzulaufen, in dem die Inflation bei null liegt, möglicherweise sogar in eine andere Richtung kippt, in einer Situation, wo es nicht durch eine gute Produktivität, durch tolles Wachstum vorangetragen ist, sondern durch schwache Nachfrage, das kann nicht funktionieren.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Hüther: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.