Donnerstag, 28. März 2024

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Fortunas Kinder. Eine kleine Geschichte des Glücks

"Was ist Glück?" fragt in diesen Wochen ein großformatiges Plakat der Evangelischen Kirche. "Eine Gehaltserhöhung? Wieder mal bei Oma Erdbeerkuchen essen? Gesundheit? Ein Ticket für die Fußball-Weltmeisterschaft?" Glück, singt Hoffmann von Fallersleben, der Dichter des "Deutschlandliedes", sei an politische Bedingungen gebunden, verlange Einigkeit, Recht und Freiheit; Glück sei deren "Unterpfand". "Da, wo du nicht bist, ist das Glück!" dämpft ein anderer Dichter allzu hoch fliegende Erwartungen. "Glücklich ist/wer vergisst/was nicht mehr zu ändern ist!" trällert die Operette. Die deutsche Sprache unterscheidet zwischen Glück haben und glücklich sein, ganz wie im Lateinischen: fortuna und felicitas. Wer im Lotto gewinnt, hat Glück gehabt; ob der Gewinn den Glückspilz glücklich macht, steht auf einem anderen Blatt. Die Materie ist also verzwickt - sollte da nicht ein Buch mit dem Titel "Fortunas Kinder -Eine kleine Geschichte des Glücks" Orientierung bringen? Dessen Autor ist der Hildesheimer Publizist Jürgen Meier:

Günter Beyer | 27.06.2002
    Es war wahrscheinlich besser, von Felicitas' Kindern zu sprechen, weil die Felicitas steht ja für das glücklich sein. Und die Fortuna steht mehr für das Glück haben. Fußball-Vereine, Fortuna Düsseldorf, Glücksspiele nennen sich häufig Fortuna. Also ich bin eigentlich mehr an diesem "glücklich sein" interessiert. Und dann denke ich, umreisst das auch ein bißchen präziser, was der Anstoß ist, weiter über dieses Glück nachzudenken. Denn die Felicitas oder das Glücklich sein beinhaltet ja die Frage: Was macht den Menschen zum Menschen? Was ist es, das uns Menschen glücklich sein lässt?

    Der 52-jährige Autor unterscheidet zweierlei Glückserfahrung; Da ist das ziellose, ungebundene Glück der Kindheit. Doch mit dem Erwachsenwerden ist das Glück stets an Ziele gebunden, postuliert Meier:

    Glück kommt im Mittelhochdeutschen in der Gestalt des "geluckens" vor, und wir sprechen auch heute immer noch davon, dass wir sagen: Es ist mir dies oder jenes geglückt. Das deutet ja schon darauf hin, das dieses glücklich sein auch immer etwas mit ganz bestimmten Zielen zu tun hat.| "Der eine setzt sich zum Ziel, die Bank auszurauben. Der andere setzt sich als Ziel ein neues Auto. Jemand anderes setzt sich als Ziel, ein Buch zu fertigen." Wenn dieses Ziel erreicht ist, sind alle eben genannten Menschen glücklich.

    Und das sind immerhin 53 Prozent der Deutschen. Behauptet jedenfalls eine jüngere Umfrage.

    Jürgen Meier relativiert nun diese persönlichen Glücks-Konzeptionen, indem er den Glücks-Begriff bei einschlägigen philosophischen und politischen Denkern nachschlägt. Aristoteles zum Beispiel, der den Menschen als "zoon politikon", als gesellschaftliches Wesen, begriff, verstand "eudaimonia", die Glückseligkeit, stets in der Verflochtenheit von Polis, Familie und Freund schaft. Der mittelalterliche Kirchenlehrer Augustinus unterschied zwischen einer - unvollkommenen - "irdischen Glückseligkeit" und der "vollkommenen Glückseligkeit", die das "ewige Leben" posthum verspricht. Den britischen Philosophen John Locke identifiziert Jürgen Meier als Begründer der spezifisch bürgerlichen Glücks-Vorstellungen. Diese bleiben immer an das Individuum und dessen ökonomischen und gesellschaftlichen Vorteil gebunden, während für Hegel Glück stets "eine aktive Beziehung zu anderen Menschen und zur Natur" voraussetzt. Diese Position teilt auch Jürgen Meier:

    Das Glück hat immer etwas mit Tun und mit Finden, steht es in Verbindung. Es hat nichts mit Konsum zu tun. Und von Geld können Sie sich ja immer nur etwas kaufen. Und wenn Sie es gekauft haben, ist es langweilig.

    Gerne hätte man als Leser mehr erfahren über Spiegelungen des Glück-Begriffs bei zeitgenössischen Denkern und individualistischen Pop-Philosophen; der Untertitel des Bandes "eine kleine Geschichte des Glücks" legt ja einen ideengeschichtlichen Diskurs nahe. Den überwiegenden Teil seiner Darstellung verwendet Meier aber auf den Nachweis, wie schwer es die moderne kapitalistische Gesellschaft dem "Gattungswesen Mensch" macht, glücklich zu werden. Denn Industrie und perfide Methoden der Konsumwerbung mißbrauchen das Glücksstreben der Menschen: Kauf und Verbrauch fragwürdiger Dinge erzeugen nur ein schales, flüchtiges Glücksgefühl, das im Konsumakt untergeht und alsbald durch neue Kaufimpulse angestachelt wird.

    Lebhaft zieht Meier gegen eine "Ökonomie der Vereinzelung des Menschen", gegen die "Dumpfheit der banalen Konsumwelt" und - eine Lieblingsformulierung Meiers - gegen die "gesellschaftliche Abstraktheit" zu Felde; letztere äußert sich vor allem in der Beziehung zur Arbeit und wird von Meier als Glückshemmer gegeißelt.

    Diese Form von Entfremdung, die wir täglich im Fernsehen feststellen können, wenn nur Statistiken geworfen werden, die sagen: Und jetzt sind wieder 100.000 mehr Menschen in der Arbeitslosigkeit, es komme darauf an, immer mehr Arbeitsplätze zu schaffen und so weiter - was die nun konkret arbeiten, und was denn nun eine Arbeit ist, die den Menschen in seinen Möglichkeiten und in seinen ganzen Sinnlichkeiten zur Entfaltung bringt, das fragt keiner.

    Kein Glück, nirgends, lautet Jürgen Meiers deprimierendes Fazit: Nicht die Teilnahme an Gemeinschaft stiftenden "Kameradschafstreffen" rechtsradikaler Zirkel, nicht die sexuelle Extase, nicht die Begeisterung für Sport oder Mode, für Feng-Shui oder Waldorfschulen machen letztlich glücklich. Bestenfalls ergattern die Glückssucher einen Zipfel vom flüchtigen Glück des verachteten "Augenblicksmenschen". Solche Einsichten trägt Meier mit Verve und Empörung vor - aber: dass der frauenkonsumierende Macho oder der Pornogucker nicht "wirklich" glücklich sind - haben wir das nicht vorher schon geahnt?

    Zum Trost steht dem flüchtigen Glück der Industriegesellschaft dann doch noch ein Wunschbild gegenüber, das Meier "konkretes Glück" nennt und das "als menschlich tragendes Moment nur in menschlichen Beziehungen" entsteht. Voraussetzung, dieses Glück zu erleben, ist für Meier die "Erkenntnis der gemeinsamen und der eigenen Wirklichkeit". Glück bleibt so das Privileg des suchenden, des kritisch hinterfragenden Geistes. Jürgen Meiers Abrechnung mit den gebrochenen Glücksversprechen führt unvermittelt zurück ins 18. Jahrhundert. "Nur wenig Geister können in der Wahrheit selbst ihr Glück finden", zitiert Meier Gotthold Ephraim Lessing. Auch den letzten Satz seines Buches überlässt Meier dem großen Aufklärer und Moralisten: "Fühl Tugenden, so fühlst du Glück!"