Donnerstag, 18. April 2024

Forum neuer Musik 2015
"Die Antwort kommt am Ende des Stückes"

Prof. David Smeyers liefert eine Definition von neuer Musik, indem er Claude Debussy zitiert. Daniel Cueto hat im DLF-Auftrag "eigenartig und neu" komponiert. Younghi Pagh-Paan legt kompositorische Steine in den Weg. Und die Antwort auf die Frage, was ein DDR-Komponist mit neuer Musik und Ostasien gemeinsam hat, die gibt es: am Ende.

David Smeyers im Gespräch mit Tim Schauen | 17.04.2015
    Was ist Ihre Definition von neuer Musik?
    David Smeyers: Ich denke, dass ich Claude Debussy zitieren könnte, er wurde einmal gefragt, wie er komponiert, und er sagte: "Meine liebe Dame, ich setze mich an den Tisch, ich denke an all die Stücke, die ich schon gehört und komponiert habe, und dann schreibe ich was anderes." Und das passt. Irgendwas Neues, irgendwas vielleicht unerwartetes, das können wir schon in die Gegend von neuer Musik bringen, und jeder Komponist, jede Komponistin, muss einfach selber entscheiden, ob es mehr eine Prise dieses oder mehr eine Prise das mehr braucht, oder vielleicht eine richtige Wende - man muss offen sein!

    Das Ensemble 20/21 ist schon mehrfach beim Forum neuer Musik im Deutschlandfunk beteiligt gewesen. Was ist das Thema in diesem Jahr?
    Smeyers: Das Thema dieses Jahr ist von Frank Kämpfer ausgewählt: Ostasien, und als ich fragte, was für Werke gespielt werden, was seine Hauptpunkte sind, hat er erzählt, dass es Konzerte aus China gibt, dass Musiker aus China kommen, Komponisten aus China, und dann habe ich gedacht: China ist sehr groß. Und nordchinesische Musik unterscheidet sich vermutlich von südchinesischer und Ost von West, das Land ist einfach zu groß, um eine einheitliche Kultur präsentieren zu können, und dann habe ich überlegt: Der Einfluss von China ist enorm, und nicht mehr nur in Asien, der Einfluss Chinas ist in der ganzen Welt präsent, ob es mit dem Smartphone oder SmartTV im Haus ist, mit dem Computer, und ich habe gedacht, wie könnte ich kleinere Länder, die da um China sind, was könnte davon präsentieren? Also habe ich mich für das Ensemble einer sehr jungen taiwanesischen Komponistin, die aber in Europa lebt Frau Tseng, entschlossen und dann habe ich Südkorea gesehen, und dachte jetzt als Gegenpol zu der jungen Komponistin eine etablierte Komponistin, die nicht mehr in Asien lebt, sie hat in Deutschland gearbeitet und lebt hier, das ist die Younghi Pagh-Paan.
    Schriftzeichen: die musikalische Brücke von Peru nach China
    Dann haben wir auch die Möglichkeit, vom Deutschlandfunk einen Auftrag zu geben, da habe ich einen Komponist aus unserer Hochschule gefunden, das ist der Daniel Cueto, vom Namen nach ist das nicht Chinesisch, er ist in Peru geboren, und wir haben darüber gesprochen, wie wir Südamerika mit Asien irgendwie verbinden, und er hat sich in die Bibliotheken gesetzt und er hat rausgekriegt, dass die Inka eine Schriftmethode hatte, die Quippu heißt. Und in China gibt es eine Schriftzeichenmethode mit Schnüren, die Kupui heißt. Und dann kam heraus, dass es im Jahre Null und vorher einen sehr regen wirtschaftlichen, intellektuellen Austausch zwischen China und Südamerika gegeben hat. Und diese Kipus sehen aus wie Kunstwerke, es gibt nicht viele, die diese Zeit überlebt haben, weil die Spanier fast 90 Prozent oder 95 Prozent davon verbrannt haben, die Information haben. Das fand er interessant und dazu hat er dann ein Stück geschrieben.
    Er hat eine ganz ungewöhnliche Besetzung, das ist ein Streicherensemble, mit Harfe und fünf Bläser: Eine Flöte, kennen wir und ein Saxofonquartett. Es ist sehr eigenartig. Es wird auf jeden Fall neu sein.
    Sie haben Younghi Pagh-Paan schon erwähnt, eine 70jährige Komponistin, die mit vier Stücken im Programm vertreten ist. Was ist das Besondere an der Person und das Besondere an ihrem Werk, an ihrer Art zu komponieren?
    Younghi Pagh-Paan ist eine sehr gute Komponistin, und ich fand es sehr wichtig, dass die Studierenden zusätzlich zu dieser neueren ostasiatischen Musik nicht unbedingt alte Stücke einstudieren, aber Stücke von Komponisten, die etablierter sind. Frau Pagh-Paan, sie wird 70 dieses Jahr, legt oft Steine in ihren musikalischen Weg, wir müssen anhalten, wir müssen etwas länger anhören. Aber wenn man das hört, weiß man, dass kein Europäer diese Musik so hätte schreiben können. Und ich fand es wichtig, und ich glaube, die Studierenden haben wahnsinnig viel davon gelernt, dass ist sehr, sehr wichtig für die zu wissen, dass es anders sein kann. Ein Stück ist eine Uraufführung, ein Stück von 2012 wurde für 2015 bearbeitet, und das Trio für Flöte, Bratsche und Harfe wurde gerade im November in der Schweiz uraufgeführt. Das ist ganz aktuell.
    "Jedes Mal ist das eine Win-win-Situation"
    Sie haben es gerade schon angedeutet, dass Ihre Studierenden auch viel gelernt haben, gab es Probleme? Wie haben sie versucht, für das Thema Ostasien zu begeistern?
    Smeyers: Das war im Prinzip gar kein Problem, wir haben Studenten mit asiatischer Herkunft in unserer Klasse, wir haben auch sehr viele mit sogenanntem Migrationshintergrund in der Klasse, ich bin auch nicht ursprünglich aus Deutschland, Ich glaube, dass die Offenheit von den Studierenden zu Musik von anderen Welteilen ganz groß ist, die, die sich die Mühe machen, eine Aufnahmeprüfung für die Interpretation neuer Musik zu machen, haben schon die Köpfe ein bisschen geöffnet und die freuen sich und lechzen nach neuen Sachen. Wir haben dank Frank Kämpfer und dem Deutschlandfunk Projekte mit Afrika gemacht, wir haben unser Projekt mit Religionen gemacht, wir haben uns mit Musik aus Leipzig und der DDR auseinandergesetzt, wir haben uns mit den Freunden und Vorgängern von John Cage auseinandergesetzt, jedes Mal war es terra incognita für die meisten Studierenden und nachher haben die sich alle so gefreut und teilweise sprechen die dann wie die Profis, nachdem die diese Erfahrungen gemacht haben. Jedes Mal ist das eine Win-win-Situation, wie man sagen kann, weil die gehen dann jetzt raus in die Musikwelt und versuchen, andere dafür zu interessieren und infizieren und ein Publikum zu gewinnen für das, was man vielleicht am Vormittag noch nicht gedacht hat, dass es das geben könnte und nachmittags sieht man: Oh, es kann anders sein. Macht Spaß!
    Was bringt Ihnen die Beschäftigung mit dem Thema des Forums neuer Musik 2015? Was haben Sie für Erkenntnisse zur Musik ostasiatischer Tradition und Herkunft?
    Smeyers: Das würde hier den Rahmen vollkommen sprengen! Ich lerne viel, viel mehr Musik und Komponisten kennen, lerne Kunst kennen, und für mich ist es eine absolute Bereicherung. Wir werden zum Beispiel am Samstag eine Matinee machen, das hat auch Tradition, in der Hochschule, das ist kostenlos, kann jeder einfach kommen, und in dreieinhalb, vier Stunden werden wir Vorträge entweder hören, zum Beispiel von Younghi Pagh-Paan über Herkunft, eine Frau Stegmann vom Ostasiatischen Museum wird uns die chinesische Schrift erklären, und wie man dann da Information transportieren kann. Holger Kreutzkamp, ein Tai Chi-Meister wird uns eine seltene Tai Chi-Form vorführen, und Michael Zwensner, ein Musikjournalist, wird uns erzählen, wie es eigentlich in der Welt der ostasiatischen Komponisten überhaupt ist. Sachen, die ich mit meinen Studierenden nur andeuten kann, und ich bin nicht qualifiziert genug, wirklich ganz tief zu gehen, und dann habe ich Glück, dass ich dann Experten holen kann, und durch diese Sachen gewinne ich wahnsinnig viel. Und meine Studierenden auch und es macht uns neugierig auf das nächste Mal - und für viele gibt es Punkte, die deren Leben tatsächlich verändern.
    Jetzt fragt man sich nur noch, wie man einen DDR-Komponisten namens Friedrich Schenker in dieses Programm bekommen hat ...
    Was würde passieren, wenn Europa ins Chaos fiele?
    Smeyers: Das ist bestimmt für viele Leute ein bisschen seltsam! Friedrich Schenker haben wir auch präsentiert beim allerersten Forum vor sechs Jahren, wo wir gespielt haben, und Friedrich Schenker zum Konzert kam. Friedrich Schenker ist leider Anfang 2013 verstorben, ein sehr wichtiger, teilweise sehr zorniger Querkopf in der DDR, Mitglied des Ensembles Gruppe Hans Eisler, ein wahnsinnig begabter Instrumentalist und Komponist. Er hat 1975 eine Misa Nigra geschrieben, eine "schwarze Messe", und deren sechster Satz ist eine neue asiatische Musik zu einem Text von Alfred Polgar.Und das werden wir präsentieren. Und Herr Polgar philosophiert, was wohl passieren würde, wenn Europa ins Chaos fallen würde. Und diese Antwort kommt am Ende des Stückes.
    Vielen Dank für das Gespräch!