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Forum neuer Musik
Kunst und Krieg zusammenbringen

Wie reagieren Künstler damals und heute auf den Ersten Weltkrieg? Das Forum neuer Musik, das internationale Werkstattfestival des Deutschlandfunks, widmet sich in Köln vier Tage lang diesen Fragen. Der Leiter und DLF-Musikredakteur Frank Kämpfer erläutert die Schwerpunkte des Festivals.

Frank Kämpfer im Gespräch mit Christoph Schmitz | 02.04.2014
    Christoph Schmitz: Die Schlachten des Ersten Weltkriegs waren Materialschlachten. Im Stellungskrieg wurden die Soldaten darin zermahlen. Der Erste Weltkrieg war auch ein Produkt der industriellen Modernisierung. Die militärische Schlagkraft war mittels der technischen Errungenschaften potenziert worden. Wie reagierten Künstler damals auf das Hochgefühl dieser Potenz? Was wurde in der Zeit vor 100 Jahren, um 1914, komponiert? Wie reagieren heute junge Künstler, vor allem Komponisten auf die Zeit von damals, auf die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, auf die folgenden Jahrzehnte überhaupt? Das Forum neuer Musik, das internationale Werkstattfestival des Deutschlandfunks, widmet sich in Köln vier Tage lang ab morgen diesen Fragen und anderen. Es ist die 15. Ausgabe, geleitet und kuratiert von meinem Redakteurskollegen Frank Kämpfer. "Die wilden Jungen" - so lautet der Titel des Festivals in diesem Jahre. Wie stellen Sie die Zusammenhänge von Krieg, Erstem Weltkrieg, Zweitem Weltkrieg, Fortschritt und Kunst - damals wie heute - her? Das habe ich Frank Kämpfer zuerst gefragt.
    Frank Kämpfer: Na ja, erst mal ganz stark im Konzert mit ganz starker Musik, die auch sehr für sich spricht, Musik, die schon Krieg thematisiert, natürlich mehr die Kompositionen von heute, aber wir besichtigen auch kompositorische, musikalische Felder der Avantgarde vor 100 Jahren. Es gibt ein Konzert mit Werken nur aus dem Jahre 1914. Es gibt zu entdecken frühe russische futuristische Musik. Das versuchen wir, natürlich mit dem Abstand von 100 Jahren zu interpretieren. Avantgarde ist ja ohnehin ein Bindeglied zwischen den Künsten und dem rasanten Fortschritt, der auch die militärische Entwicklung und die kriegerische Entwicklung verklammert. Und ganz wichtig für uns ist, Kunst und Krieg zusammenzubringen. Das tun wir mit dem Versuch, uns mit Männlichkeitsforschung auseinanderzusetzen, einer jungen soziologischen Wissenschaft. Es gibt ja nicht beim Forum nur die Musiker und die Komponisten, es gibt auch Autoren, die Musik unter einer bestimmten Fragestellung interpretieren, und wir haben diesen Blickwinkel der Männlichkeitsforschung angesetzt und sehen plötzlich: in den avancierten Künsten und in den avancierten Formen des technischen und militärischen Fortschritts gibt es ähnliche Strukturen.
    Drastische Kompositionen und derber Humor
    Schmitz: Interessant. - Uraufführungen gibt es auch, Auftragswerke, auch des Deutschlandfunks: "The Klothild", Entertainment etwa, eine andere Komposition einer jungen Koreanerin, "Krieg" heißt das. Wie kann neue Musik eine historische Tiefenbohrung sein? Sind das Kompositionen, die reflektieren über Modernisierung, Krieg in den letzten 100 Jahren, oder wie muss ich mir das vorstellen?
    Kämpfer: Ja, das ist so ein bisschen feuilletonistisch zusammengefasst. Aber junge Menschen von heute sind dezidiert beauftragt worden, sich mit dem Themenfeld 1914 zu befassen, und wir werden sehen, wie das klingt. Young Oin Park aus Seoul hat den Krieg in ihrer Familie erlebt und wird eine sehr drastische Komposition abliefern für fünf Blechbläser, da bin ich sehr gespannt drauf. Aber zum Beispiel drei junge Deutsche, Niklas Seidl, Paul Hübner, Florian Zwissler, alles so eine Generation um 1980 geboren, die machen ein ganz eigenartiges Spektakel, was sich Filmsequenzen und Videoausschnitte aus den letzten 60 bis 80 Jahren bedient, und sie machen einen ganz merkwürdigen Querblick auf ein ganzes Jahrhundert mit sehr viel derbem Humor, der auch sehr politisch ist.
    Schmitz: Es gibt ein Stück, das hat den bezeichnenden Titel "generation kill". Was hat es damit auf sich?
    Kämpfer: Das ist ein sehr interessantes Stück von Stefan Prins, einem Belgier, für Donaueschingen komponiert, vor zwei Jahren uraufgeführt auf einem Festival neuer Musik, und bei uns wird es in einen thematisch-politischen Zusammenhang gestellt, und das Nada Ensemble aus Belgien - das sind ganz verrückte junge Leute - hat ein ganzes Programm darum gesponnen, und diese Musiker verstehen sich sozusagen als "digital natives", also Leute, in deren Kindheit die Digitalisierung stattgefunden hat, und die das reflektieren. Die beschäftigen sich sehr stark mit Technologie, und diese verrückte Musik, die auch viele audiovisuelle Komponenten hat, zeigt eigentlich eine verrückte Welt, die mehrdimensional ist, so wie wir sie alle erleben jeden Tag.
    Schmitz: Die Stücke sind aber auch alle im Deutschlandfunk in den nächsten Wochen zu hören?
    Kämpfer: So ist es. Alle Konzerte werden aufgezeichnet, deutschlandweit gesendet. Aber das Erlebnis, das visuelle, ist natürlich etwas mehr als das Radio.
    Schmitz: Frank Kämpfer, Musikredakteur beim Deutschlandfunk und Leiter des Forums neuer Musik, das morgen in Köln beginnt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.