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Fossilienfund
Homo floresiensis ist älter als gedacht

Auf der indonesischen Insel Flores wurden 2003 Knochen einer neuen menschlichen Art gefunden. Forscher tauften sie angelehnt an den Fundort auf den Namen Homo floresiensis. Das Alter der Knochen des Menschen, der wegen seiner Kleinwüchsigkeit auch Hobbit genannt wird, wurde zunächst auf 12.000 Jahre bestimmt. Doch nun haben Paläoanthropologen neue Untersuchungen vorgenommen.

Von Dagmar Röhrlich | 31.03.2016
    Eine Ausgrabungshöhle von oben herab in der gerade gearbeitet wird
    Forscher der Lakehead University haben das Alter der Fossilien neu bestimmt (Smithsonian Digitization Program Office / Liang Bua Team)
    2003 entdeckten Paläoanthropologen in einer Karsthöhle auf Flores die fossilen Überreste einer winzigen, aber erwachsenen Frau: Sie war kaum größer als einen Meter, dafür waren ihre Arme ungewöhnlich lang, ihre Unterschenkel sehr kurz, und ihr Gehirn war in etwa so groß wie das eines Schimpansen. Das Fossil an sich war schon ungewöhnlich genug, aber die Datierung des ersten Funds und von 13 weiteren Skeletten in der Höhle machte daraus eine Sensation.
    "Das Alter der Fossilien war zunächst auf den Zeitraum zwischen 95.000 und 12.000 Jahren vor heute datiert worden."
    Dieser Homo floresiensis, wie die Wissenschaftler die neue Art tauften, hätte sich danach über Zehntausende von Jahren hinweg diese kleine Insel im indischen Ozean mit den modernen Menschen geteilt: Denn der hatte vor etwa 50.000 Jahren Südostasien und Australien erreicht.
    "Inzwischen haben wir jedoch einen sehr viel größeren Bereich der Höhle ausgegraben, und dabei ist uns aufgefallen, dass die ersten Annahmen falsch waren. Wir wissen nun, dass die Überreste des Homo floresiensis zwischen 60.000 und 100.000 Jahre alt sind - und die Steinwerkzeuge, die wir ihm zuschreiben können, zwischen 50.000 und 190.000 Jahre."
    Matt Tocheri ist Paläoanthropologe an der kanadischen Lakehead Universität. Er gehört zu dem Team, das das Alter der Hobbit-Fossilien neu bestimmt hat:
    "Das teilweise erhaltene Skelett des ersten Homo floresiensis, den die ursprüngliche Grabungsgruppe gefunden hat, ist aufgrund von Holzkohle datiert worden. Der Fehler war passiert, weil der Boden der Höhle sehr viel komplexer aufgebaut ist als zunächst gedacht. Durch die neuen Grabungen haben wir gesehen, dass die Ablagerungen in der Höhle gestört sind: Und zwar bilden die älteren Ablagerungen des Höhlenbodens eine Art Podest, dessen Oberfläche später erodiert und dann im Laufe der Jahrtausende mit neuem Material zugedeckt worden ist - und zwar mit Sediment, das jünger ist als 20.000 Jahre."
    Einsatz von unterschiedlichen Datierungstechniken
    Um diesmal sicher zu gehen, setzten die Forscher für die neuen Datierungen mehrere unterschiedliche Techniken ein. Sie bestimmten das Alter aufgrund von Holzkohlen, von Quarzen und Vulkanaschen aus dem Sediment sowie den Knochen des Hobbits und anderer Säugetiere, die ebenfalls in der Höhle gefunden worden sind:
    "Diese Datierungstechniken sind sehr unterschiedlich, aber sie brachten uns trotzdem ziemlich übereinstimmende Ergebnisse: Die Knochen sind älter und die Holzkohle sehr viel jünger. Deshalb fühlen wir uns sehr viel sicherer als bei den Radiokarbondatierungen von 2003 und 2004."
    Der Zeitpunkt, an dem der Hobbit den neuen Datierungen zufolge verschwindet, ist sehr interessant. Matt Tocheri erklärt, dass bis vor etwa 50.000 Jahren auf Flores nämlich auch Stegodon lebte, ein Zwergelefant, der etwa so groß wurde wie eine Kuh. Er war der einzige große Pflanzenfresser der Insel.
    "Stegodon war wohl eine wichtige Nahrungsquelle für Homo floresiensis. Diese Menschen verzehrten wahrscheinlich Aas, und damit waren sie auf Flores nicht allein. Damals lebten in diesem Teil der Insel auch Komodowarane, die seit 40.000 oder 50.000 Jahren dort ausgestorben sind. Verschwunden sind auch zwei große aasfressende Vögel, nämlich ein Riesen-Marabu und ein Riesen-Geier. Sie alle lebten zusammen mit dem Hobbit auf der Insel - und sie scheinen gemeinsam mit dem Zwergelefanten zu verschwinden."
    Unklar, warum der Homo floresiensis verschwand
    Die Frage nach dem "Warum" ist offen: Vielleicht verschwanden die Zwergelefanten durch einen Klimawandel oder durch eine Serie von Vulkanausbrüchen - oder weil die modernen Menschen die Insel erreichten - denn die waren Jäger. So unklar wie die Ursachen ihres Verschwindens ist derzeit auch die Frage, wer diese Hobbits eigentlich waren:
    "Einige Merkmale an Schädel und Zähnen legen eine Verwandtschaft zum Homo erectus nahe. Das Skelett wirkt sogar noch primitiver. Vielleicht haben wir es mit einem Homo erectus zu tun, der die Insel vor etwa einer Million Jahre erreichte und dort das Phänomen der Inselverzwergung durchlebte, also durch das eingeschränkte Nahrungsangebot immer kleiner wurde. Vielleicht stammt er aber auch von einer primitiveren Menschenart ab, die vor einer Million Jahre auf Flores angekommen war, deren Körper und Gehirn jedoch von Anfang an kleiner war."
    Eine andere Frage dürfte sich durch die neuen Datierungen erledigt haben: die, ob es sich bei Homo floresiensis wirklich um eine eigene Art handelt - oder nicht doch um moderne Menschen, die an Mikrozephalie litten, einer Schädelfehlbildung. Dieser Streit kann nun wohl ad acta gelegt werden.