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Fotografie-Ausstellung
Nic Tenwiggenhorn - Kronzeuge der rheinischen Kunstszene

Nic Tenwiggenhorn war bislang vor allem als Auftragsfotograf bekannt. Er dokumentiert Kunstwerke für Kataloge und hat dafür einen bestechend einfachen Stil entwickelt. Nun tritt er mit seinem Werk im Museum Kunstpalast in Erscheinung, das bereits in den 1950er-Jahren beginnt und Straßenfotografie sowie Porträts der rheinischen Kunstszene umfasst.

Von Georg Imdahl | 11.10.2016
    Die Fotos stammen aus den späten 1980er-Jahren – einer Zeit, als die "New York Times" die Frage stellte, ob Köln New York als Kunstmetropole den Rang abgelaufen habe. Nic Tenwiggenhorn hatte diese Bilder an der Bar des Kölner Szenehotels Chelsea aufgenommen, damals das Sammelbecken der rheinischen Kunstwelt, die sich dort fast allabendlich ausgiebig zuprostete. Die Kamera hatte der Fotograf hinterm Tresen platziert, dort, wo die Flaschen mit dem Hochprozentigen aufgereiht sind, und so schaut man den angeheiterten Protagonisten direkt in die Augen, um nicht zu sagen: ins Glas.
    Leutselig gibt der Maler Martin Kippenberger in den Schwarz-Weiß-Fotos den Ton an, er flirtet mit der Damenwelt ebenso wie mit der Kamera. Jüngere Kräfte wie Michael Krebber stehen noch in der zweiten Reihe, skeptisch schaut Isa Genzken ins Objektiv, als sie von ihrem Kollegen Haim Steinbach darauf hingewiesen wird. Einmal sieht man den Fotografen selbst, als er auf den Selbstauslöser drückt.
    Von der Autoindustrie in die Ateliers
    Für zahlreiche Künstler ist Nic Tenwiggenhorn seit Langem und bis heute eine wichtige Figur, nicht allerdings, weil er ihre Gelage überliefert. Wie kaum ein anderer versteht er sich darauf, ihre Werke für Kataloge und Bücher sachgerecht, also dokumentarisch und ohne eigenen künstlerischen Anspruch, ins Bild zu setzen. "Der Ten", wie ihn alle rufen, ist als Auftragsfotograf eine Instanz hinter den Kulissen und mit Namen nur Insidern bekannt. Seine Bescheidenheit geht so weit, dass selbst in dem durchaus opulenten Katalog zu seiner Ausstellung im Museum Kunstpalast keine Biografie zu finden ist.
    Der 1937 geborene, in Berlin lebende Tenwiggenhorn hatte bei Otto Steinert in Essen studiert und zunächst für die Autoindustrie gearbeitet, bevor er in den 70ern, im Umkreis der Düsseldorfer Punkkneipe Ratinger Hof, in engeren Kontakt mit der Kunstszene kam. Dass er in den vergangenen Jahrzehnten ein eigenes Oeuvre geschaffen hat, erfährt man erst jetzt umfänglich durch diese Werkschau. Sie umfasst seine Streifzüge durch das Düsseldorf der 50er-Jahre, frühe Reisen nach Moskau, Tokio und Athen sowie seine Zeit in London, wo er den Trauerzug für Winston Churchill erlebte – und hier dem Kollegen Henri Cartier-Bresson begegnete, den er besonders schätzt.
    Diskretion als Prinzip
    Es gibt ikonische Bilder in dieser Ausstellung, sie gehen auf die Zeit um 1970 zurück: die riesige Dampflokomotive an einem Bahnübergang irgendwo in der Sowjetunion; das japanische Double von Charlie Chaplin in einer Gasse in Tokio; der Kölner Boxer Peter Müller, genannt "de Aap" (der Affe), mit arg geschwollener Augenbraue; ein Modellathlet mit mächtigem Oberkörper in Athen und nicht zuletzt das Mädchen mit den hochgesteckten Haaren vor einer Plattenbausiedlung in Essen-Karnap. Kay Heymer, Kurator der Ausstellung, nennt als Grundhaltung Nic Tenwiggenhorns – Zitat:
    "Diskretion, weil er das immer ohne viel Aufhebens einfach gemacht hat. Fast kann man sagen: Symptomatisch ist eine seiner frühen Reportagen in Russland gewesen, wo man als westlicher Reisender in den späten 60er-Jahren überhaupt keine Kamera haben durfte. Und er hat trotzdem dort fotografiert, er hat sogar eine Panoramakamera mitgebracht und aus der Aktentasche Fotos auf dem Roten Platz gemacht, und er hat Fotos auf Bahnhöfen gemacht, wofür man ihn eigentlich direkt hätte verhaften können. Er ist also Risiken eingegangen und er hat unauffällig gearbeitet als Fotograf."
    Ungewöhnliche Aufnahmen namenhafter Künstler
    Mit jener Diskretion gewann Tenwiggenhorn das Vertrauen der Künstler und nutzte es über die Jahrzehnte hinweg für Künstlerporträts, darunter ungewöhnliche Aufnahmen von Joseph Beuys mit lorbeerbekränztem Haupt anlässlich der Feier zu seinem 50. Geburtstag 1971. Wir sehen den Bildhauer Reinhard Mucha auf dem Motorrad, die selbstbewusst schauende Bildhauerin Tita Giese, den Mönchengladbacher Museumsdirektor Johannes Cladders, als er gerade eine Ausstellung besucht. Eine lange Bilderstrecke aus Ateliers, Galerien und Museen vergegenwärtigt die Blütezeit dieser Kunstregion, als alle Macht noch vom Rheinland ausging.