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Fotografien 1947 bis heute

Wer nicht lesen will. kann sehen. Wer sich nicht vorstellen kann, wie sich das Gesicht, die Kleider. Möbel, Manieren der Deutschen in den vergangenen fünf/ig Jahren veränderten, muss in Stefan Moses Buch einfach nur hin und her blättern. Da wird er alles wiedererkennen oder kennen lernen, die Frisuren der eigenen Eltern, die spitzen Hüte der Väter, das Lachen der Deutschen, als es den Deutschen noch dreckig ging, ihre Zähne krumm in der Mundhöhle standen, also in den Jahren, bevor kleine Hollywoodstars ihnen vormachten, wie man richtig gut. fotogen und total zahnreguliert lacht.

Verena Auffermann | 26.05.2003
    Fotobände können mehr oder weniger edle Langeweile oder schlichte Ödnis verbreiten, jedenfalls empfinde ich das häufig so, einmal durchblättern und schon fertig. Die ..Stefan Moses Monografie - Fotografien 1947 bis heute" ist die riesige Ausnahme. In dem schweren, 330 Seiten umfassenden Bildband kommt alles vor: Der Alltag und die Kunst, die Kinder und die Katzen, die Künstler und ihre Aktionen, das Milieu.

    Und wie es vorkommt. Wie Stefan Moses, dieser Menschenkenner, den passenden, den einzig möglichen Moment erwischt, an dem der Mensch bei sich ist. zum Beispiel grinst oder feixt. oder einfach vor sich hinstarrt, als wäre niemand anderes im Zimmer, oder das Röckchen hebt und die Augen nach oben verdreht. Stefan Moses hat, das zeigen diese Fotos auch, neben aller Einfühlung und allem Feingefühl eine Lust am Humor und der ist nie gemein und verletzend, nie bullig plakativ. Ihm genügen die kleinen Sensationen, Stefan Moses ist kein deutscher Weegee, keiner für die Sensationslust.

    Moses ist ein Fotograf für Menschen, ihre fragenden und leeren Blicke, ihre Gefühlslagen und Tapsigkeiten, ihre Scham- und Protz gebärden. Ein besonderes Faible hat er für alte Paare. Er muss sie lieben und zeigt, dass sie sich lieben. Wie sich Hans Magnus Enzensbergers Eltern an der Hand halten, oder wie einig und zusammengehörig Reich-Ranickis auf der Frankfurter Bahnhofsbank sitzen, wie sich die Finger von Gottfried und Tutti Bermann-Fischer ineinander verhaken oder wie selbstvergessen die rechte Hand des kranken Heiner Müller im Genick seiner jungen Frau Brigitte herumkrault. Natürlich ist Stefan Moses ein sentimentaler Voyeur, aber im viel stärkeren Maße ein Mann, mit Interesse für die menschlichen Metamorphosen. Was geschieht mit dem Menschen und wieso? In welche Rollen wünscht er sich. und was machen diese Rollen aus ihm? Stefan Moses interessierte sich also dafür, was der Beruf aus den Menschen macht. Sieht das Gesicht der Rollmopspackerin nicht wie ein Rollmops und das des Parlamentsdieners nicht wie ein Aktendeckel aus ? Passt das Gesicht des Bauern zum Beruf des Bauern? Sehen die Menschen so aus. wie wir es erwarten? Die Fotos entsprechen dem "Modell" und widerlegen es, weil der Fotograf es schafft, dem Foto ein Flair zu geben, etwas präzises, so wie es August Sander es mit seinen frühen, das Schwere des damaligen Lebens vermittelnden Aufnahmen schaffte. Stefan Moses arbeitet, das ist im Band dokumentiert, mit den einfachsten Mitteln. Eine weiße Stoffbahn, aufgehängt am Bauzaun, in Treppenhaus. vorm Kleingartenzaun. Weniger Aufwand ist kaum möglich, der Fotograf seine Leica und ein Stativ, keine Beleuchtungslampen, keine Lichtregie. Fotografie ohne technische Tricks.

    Stefan Moses, der 1928 im niederschlesischen Lignitz geboren wurde , legte in Jena 1947 seine Gesellenprüfung ab und begann seine Karriere als Theaterfotografin Weimar. Das Theater hat ihm viel beigebracht, oder er hat viel vom Theater gelernt.

    Als er dann 1950 nach München kam, engagierte ihn die Neue Zeitung , und Moses publizierte eine Reportage über das Münchner Thomas Mann-Haus, in dem damals verschleppte ukrainische Bauern hausten. Auf die Neue Zeitung folgten viel andere Magazine, wie Stern , magnum und Spiegel. Der Fotograf mit dem "Human Interest-Blick" war bald gefragt. Man interessierte sich dafür, wie er die Berliner WG's der späten 60er in Berlin aufnahm., was ihm auffiel, wenn er bei den Herrn Ministern zu Hause war. Es gibt also viel zu lachen in diesem Buch. Besonders viel über die angeblich so rasante Wandlung der Mode, die sich, so zeigen diese Fotos von "Flowerpower" bis Anklam und Neubrandenburg gar nicht so rasant geändert hat. Weil der Wald ein deutscher Ort ist, hat Stefan Moses seine prominenten Deutschen mit Vorliebe vor die Bäume gestellt, mit dem Rücken an die Rinde angelehnt, die Füße im Laub. da steht Willy Brandt, posiert Elisabeth Berger. verbirgt sich Friederike Mayröcker wie ein schwarzer Bär, zieht Herbert Wehner an der Pfeife. Das alles wäre schon reines Vergnügen genug, aber dazu kommt noch die Komposition des Buches. Stefan Moses hat sich einen Jux daraus gemacht, ein Großportrait Heinrich Bölls einer Gruppe nackter Spontis gegenüberzustellen. Die Szenen, die hier inszeniert sind. ergeben ein Schauspiel für sich. Soll bei so viel Begeisterung verschwiegen werden, dass die Serie "Israels Kinder" nicht zu Stefan Moses stärksten Arbeiten gehört, dass er hier ein bisschen Henri Cartier Bresson imitiert? Das schmälert das Vergnügen an dem Band nicht, der eine Ausstellungstournee begleitet, die im vergangenen Jahr im Münchner Stadtmuseum begann und die bis zum Jahr 2005 in sieben deutschen Städten/darunter Berlin, Münster, Oldenburg und Dresden/zu sehen sein wird.