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Fotografin Ré Soupault
Achtung, Avantgarde!

Die Fotografin Ré Soupault war Autodidaktin, ihr Stil gilt als avantgardistisch. Das Zeppelinmuseum Friedrichshafen widmet ihrer Arbeit nun eine Ausstellung, die zeigt, dass Soupault nicht nur Reisefotografin war. Ihre beeindruckendsten Arbeiten haben einen politischen Hintergrund.

Von Julian Ignatowitsch | 02.08.2015
    Wenn Ré Soupault auf Motivsuche ging, war sie selbst ein Blickfang. Ein Foto ihres Ehemanns Philippe Soupault zeigt die Künstlerin während eines Tunesienaufenthalts bei der Arbeit: mit Sonnenbrille, Hals- und Kopftuch, kariertem Blazer, Handtasche und natürlich der Fotokamera vor dem Auge. Fokussiert, mondän, gleichzeitig dynamisch packt sie die Kamera an. Keine Frage, diese Frau muss Avantgarde gewesen sein, damals in den 30er-Jahren.
    "Sie war mittendrin, sie kannte Fernand Léger, Man Ray hat ihre Modekollektion fotografiert, sie kannte übrigens auch Andreas Feiniger, von dem wir hier einen großen Nachlass haben. Also Ré Soupault stand richtig mitten im Pariser Avantgardeleben," sagt Museumsdirektorin Claudia Emmert. Ein wenig kokettiert man hier in Friedrichshafen mit diesem Ruf. Deshalb auch der seltsame Ausstellungstitel "Auge der Avantgarde". Die Ausstellung selbst kommt dann überraschend nüchtern und ohne großen Schnick-Schnack daher. Die Bilder sollen sprechen. 120 Schwarz-Weiß-Fotografien, 50 davon werden überhaupt zum ersten Mal der Öffentlichkeit gezeigt. Sortiert sind die Aufnahmen nach Reisezielen und Ländern. Ré Soupault begleitete ihren Mann Philippe von Frankreich aus unter anderem nach Norwegen, Spanien, Deutschland und Tunesien:
    "Er hat Reportagen geschrieben, sie hat fotografiert, sie wollten keinen Fotografen dabei haben, so kam eigentlich dieser Beruf erst überhaupt zustande."
    Sie interessierte auch die nicht so glänzende Seite der Welt
    Plötzlich war Ré Soupault Reisefotografin für Zeitungen und Magazine. Ihre Aufnahmen erwecken wenig Anschein von Avantgarde, sind weit weg von experimentell oder innovativ, dafür handwerklich perfekt, gemäß den Konventionen der Zeit. Kurator Frank-Thorsten Moll:
    "Die Fotografie des frühen 20. Jahrhunderts hat zwei Perspektiven geliebt, das war die Vogel- und die Froschperspektive, weil sie sich dadurch von den Malern und Zeichnern absetzen konnte. So sind zwei ihrer bekanntesten Fotos in Paris entstanden: eine Hochzeitsgesellschaft von oben, die in ein aus heutiger Sicht aberwitzig großes Automobil einsteigt; und vielleicht sogar dieselbe Hochzeitsgesellschaft von oben fotografiert beim Tanzen."
    Die Bilder sind Momentaufnahmen, und darin war Soupault nun wirklich eine Meisterin: den Augenblick einzufangen. Vielleicht kommt ihr dabei auch die autodidaktische Herangehensweise - Achtung Avantgarde! - entgegen. Das kann man nicht lernen, das ist Intuition: Hier weht noch das Hochzeitskleid, dort drehen sich die Silhouetten der Tänzer im Kreis. Man meint fast, die Musik hören zu können.
    Soupault interessierte aber auch die nicht so glänzende Seite der Welt: In Tunesien fotografiert sie die Quartier reservé, Viertel für familienlose Frauen am Rande der Gesellschaft. Es sind ihre bekanntesten und mitunter beeindrucktesten Arbeiten.
    "Besonderheit dieser Aufnahmen ist, dass es vorher und auch lange nachher keinem Westler und schon gar keiner Westlerin erlaubt war, in dieses Viertel zu gehen und dort zu fotografieren. Jetzt ist die Frage: Was wollte sie da? Sie wollte definitiv keine Propaganda machen, sie wollte die Frauen zeigen, ihnen ein Gesicht, eine Sprache geben. Im Prinzip ist das eine politische Handlung gewesen."
    In Bildern tritt Mitgefühl hervor
    Soupault war in dieser Hinsicht zumindest eine engagierte Künstlerin, fotografierte Bauern und Arbeiter in Spanien beim republikanischen Gruß, Massenkundgebungen in Paris oder Bettler in Tunis. Das heimliche Highlight sind die Bilder aus Nachkriegsdeutschland, insbesondere vier Alltagsaufnahmen von Kindern in der Schule:
    "Wenn man die Gesichter der Kinder anschaut, die mit schreckensgroßen Augen und geöffneten Mündern in die Kamera schauen, so als könnten sie noch gar nicht glauben, dass Frieden ist, dass sie in Sicherheit sind, dass keine Soldaten, sondern eine Frau mit der Kamera vorbeiläuft, dann bekommen die Bilder eine sehr bedrückende Atmosphäre, die eben von den Schrecken des Krieges berichtet, die hinter dem Dargestellten liegt."
    Und aus diesen Bildern tritt auch das Mitgefühl der Künstlerin hervor, die sich zu Beginn in ihren Selbstporträts kaum greifbar zwischen selbstbewusst und selbstreflexiv inszeniert. Insofern stehen die Fotografien - Spanien, Deutschland, die Quartier reservé für eine Seite von Ré Soupault, über die man sonst nur in Nebensätzen spricht. Die zurückhaltende, bescheidene, schüchterne Künstlerin. Diese kennenzulernen, lohnt sich. Und ob das nun Avantgarde ist oder nicht, ist eigentlich egal.