Dienstag, 16. April 2024

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Fotoinstallation im Folkwang Museum
Geheimprojekt "Iceworm" und die Folgen

Im Norden Grönlands errichteten die USA 1957 eine Militärbasis, deponierten Nuklearwaffen und hinterließen Müll. Die in der Nähe lebenden Inuit spüren die Auswirkungen bis heute. Mit der Fotoinstallation "Project Iceworm" will die Künstlerin Anastasia Mityukova auf ihre Situation aufmerksam machen.

Von Peter Backof | 17.12.2018
    Anastasia Mityukova aus „Project Iceworm“, 2018
    Radioaktiver Abfall - eine Hinterlassenschaft der US-Amerikaner in Grönland. Aus : "Project Iceworm". (ECAL / Anastasia Mityukova )
    Ein Gebiet, in dem man sich - etwas kitschig - traurig auf Eisschollen treibende Eisbären vorstellt. Ganzjährig. Google Earth zeigt ein anderes Bild – zumindest im Sommer. Nord-Grönland hat dann einen Moos- und Flechten-grünen Streifen Küste und dort siedeln Menschen: die Inuit.
    "Ich bin Arktis-Fan seit ich Kind war. Geschichten wie das Erreichen des Nordpols durch Robert Peary, wahrscheinlich hat er dabei gelogen, aber ich habe es verschlungen! Diese letzte echte Wildnis: Kommt der Mensch sich dort selber näher? - Und dann habe ich aus Neugier auf Instagram nachgeguckt. Thule, Grönland, da gibt es ein Dorf mit Internetzugang, mit Geschäften, mit Flugplatz."
    Bei näherer Recherche stieß Anastasia Mityukova auf den spannenden Plot. In der Nähe der Siedlung errichteten die US-Amerikaner 1957 eine Militärbasis namens "Thule" und starteten das Projekt "Iceworm".
    Verscharrter atomarer Abfall
    "Ein Geheimprojekt: Sie wollten Nuklearwaffen stationieren, gegen Russland und dabei unter die Eisdecke bauen. Aber die ist instabil, und so mussten sie das Projekt wieder aufgeben. Also haben sie alles verscharrt nach sieben Jahren, darunter auch atomaren Abfall. Und mit der Erderwärmung kommt das alles wieder hoch. Manche Forscher sagen: 2050 könnte das Gebiet radioaktiv verseucht sein. Ein Problem für die dort lebenden Inuit."
    Anastasia Mityukova aus Project Iceworm, 2018
    Anastasia Mityukova aus Project Iceworm, 2018 ( ECAL/Anastasia Mityukova)
    Giftig gelb coloriert hat die 26-jährige Schweizerin daher ihre Materialsammlung, die wie das damalige Militärprogramm "Project Iceworm" heißt. Mit 22 Fotos daraus hat sie einen Raum im Museum Folkwang zu tapeziert. Stark vergrößerte Fotos, die schroffe Kontraste zeigen. Inuit, mit Schlitten und Hunden unterwegs – im Hintergrund: futuristische Architektur mit der Anmutung eines Atomkraftwerks, die allmählich verrottet. Oder das Bild von einem Fass mit radioaktivem Abfall - ohne Erklärung, woher es stammt.
    Historisches aus Archiven und Aktuelles im Netz
    Dicht gedrängt und stark vergrößert im fensterlosen Raum installiert, roh und wild in der bearbeiteten Bildqualität, lassen die Fotos an die Frühzeit der Fotografie denken und bekommen von Anastasia Mityukova einen gefühlten Zusammenhang verpasst, obwohl das Material von vielen Urhebern stammt. Auch das giftgelb, in das der Raum getunkt ist, wirkt: So entsteht vor allem eine bedrückende Stimmung. Nicht eines der Fotos hat Anastasia Mityukova selbst aufgenommen. Sie sammelt Historisches aus Archiven und Aktuelles im Netz.
    "Auch Inuit machen Selfies, die ganze Zeit sogar. Und hier sehen Sie ein historisches Foto von einer Bombe. Nicht von vor Ort, aber wir wissen, dass sie dort ist, unter dem Eis. Ich sammle Beweise, aber naja, meine Beweise sind auch irrelevant, weil ich bisher auch nicht viel dazu gefunden habe. Aber: Die Inuit versuchen jetzt, die dänische Regierung zu verklagen, deren Hoheitsgebiet das ist. Es gibt immer mehr Krebserkrankungen. Bisher ohne Erfolg, denn dann wird gesagt, es läge am Alkoholismus: Deshalb gäbe es immer mehr Krebs."
    Eine Timeline von "Iceworm" bis heute
    Die Künstlerin will mit ihrem Projekt auf die besondere Situation der Inuit aufmerksam, auf die Bedrohung, der sie ausgesetzt sind. In den 50er-Jahren wurden sie erst zwangsumgesiedelt, von den Folgen der Klimaerwärmung sind sie existenziell betroffen, von Radioaktivität ebenso. Anastasia Mityoukovas Fotoinstallation geht weit über das Ästhetische Moment der Arktis hinaus:
    "Mein Projekt ist wie eine Timeline, vom Bau des Projekts 'Iceworm' bis heute, wo alles auseinanderfällt. Ich habe versucht, bei allen Fotos Ort und Aufnahmedatum zu klären, also das ist schon wahrheitsgetreu soweit. Aber mir geht es auch um die emotionale Dimension. Die Rechte der Inuit werden nicht beachtet, nicht einmal gehört. Sie leben dort seit jeher und dann kommt ein 'Projekt' und verseucht alles, in nur sieben Jahren."
    Kunst muss mehr leisten, als Räume mit Bildern zu füllen
    Während das Kunst-Projekt "Iceworm" noch am Anfang steht. Bisher hat Anastasia Mityukova nur mit dem Finger auf der Landkarte oder in Archiven agiert, um sich ein Bild von Thule zu machen, und es für die Ausstellungsbesucher aufzubereiten. Das reicht ihr jetzt nicht mehr. Kunst muss mehr leisten, als Räume mit Bildern zu füllen! Womöglich muss sie dafür auch andere Rollen annehmen: die der Journalistin und die der Aktivistin.
    "Ich habe beantragt, das militärische Gebiet betreten zu dürfen. Und jetzt habe ich die Erlaubnis bekommen! Nächstes Jahr fahre ich hin, für zwei Monate oder so. Ich will mit den Menschen vor Ort sprechen. Mein Projekt gilt ihnen. Und mit der Erderwärmung werden jetzt auch neue Wege durch das Polarmeer schiffbar. Russen und Chinesen erkunden, wie sie damit Profit machen können. Die Inuit leben daneben, immer noch vom Fischen und Jagen. Die Möglichkeit, so zu leben, sollte erhalten bleiben!"
    "Project Iceworm" im MuseumFolkwang 13. Dezember bis 27. Januar