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Fotoreporter in Krisengebieten
Den Menschen ein Verantwortungsgefühl abringen

Gerade in Krisenzeiten sind Informationen aus den betroffenen Ländern wichtig und vor allem auch Bilder von unabhängigen Fotoreportern. Die haben es in Krisenländern aber immer schwerer, was nicht nur etwas mit den Bedingungen vor Ort zu tun hat. Der Berufsverband der Fotografen setzt sich deshalb dafür ein, dass auch Fotoreportagen abseits der aktuellen Krisen ihren Weg in die Magazine finden.

Von Agnes Bührig | 09.07.2016
    Flüchtlinge reichen ein Baby durch den Stacheldrahtzaun an der serbisch-ungarischen Grenze.
    Das Gewinnerfoto des World Press Award 2015: Flüchtlinge reichen ein Baby durch den Stacheldrahtzaun an der serbisch-ungarischen Grenze, im August 2015. (dpa/ picture-alliance/ Warren Richardson / World Press)
    Dominic Nahr bot sich im Südsudan ein verheerendes Bild. Bürgerkrieg, Hungersnöte und Krankheiten haben das Land ins Verderben getrieben. Seine Fotos zeigen alleinstehende Frauen, die mit kleinen Kindern durch eisiges Wasser flüchten und Hungrige, die zu Tausenden bei der Essensausgabe einer Hilfsorganisation anstehen – aus der Luft sehen sie aus wie übervölkerte Ameisenstraßen. Die erste Hürde für den Fotografen war, den Südsudan überhaupt zu erreichen.
    "Nicht nur die Regierung, auch der UN, also United Nations, versuchen immer, uns zu blockieren, dass wir nicht nah zu den Leuten richtig hinkommen. Denn sie wollen auch nicht zeigen, dass Chaos existiert, dass alles okay ist. Und man kann nicht richtig hinfahren, man muss immer Flüge nehmen und das kann auch kompliziert werden, denn die meisten Flüge sind UN-Flüge."
    Dominic Nahrs Auftraggeber sind die großen Magazine der Welt. Doch sie sparen immer häufiger am Etat für lange, qualitativ hochwertige Reportagen. Zuweilen springen dann Hilfsorganisationen ein. Die haben aber eigene Interessen - die Fotojournalisten arbeiten also nicht mehr nur unbedingt nach journalistischen Kriterien Dabei ist gerade sie der Schlüssel zum Erfolg, sagt Espen Rasmussen, der für das norwegische Magazin "Verdens Gang" weltweit fotografiert.
    Wenig Unterstützung für Fotoreportagen
    "Wenn viel passiert, reicht es vielleicht aus, dass du nur draufhältst. Da beeinflusst deine Anwesenheit die Situation nicht. Aber bei vielen Reportagen, die ich mache, bin ich darauf angewiesen, dass die Menschen sich öffnen. Und das passiert nicht, wenn du wie eine Dampfwalze in ein Haus rauschst und sofort anfängst, zu fotografieren."
    Doch Geld lässt sich im Fotojournalismus eben am einfachsten machen, wenn man von aktuellen Krisen berichten kann. Dem versucht Freelens etwas entgegen zu setzen. Der Berufsverband der Fotografen setzt sich dafür ein, dass auch Fotoreportagen abseits der aktuellen Krisen ihren Weg in die Magazine finden, sagt Lutz Fischmann, Geschäftsführer von Freelens.
    "In Haiti hat es Hunderttausende Tote gegeben während des Erdbebens, ich habe keine Geschichte aus Haiti mehr gesehen in den letzten Jahren, da kümmert sich einfach niemand mehr drum. Darum haben wir als Verband zum Beispiel die Flüchtlingsthematik aufgenommen und versuchen langfristig, Geschichten zu sammeln zu dem Thema, weil wir denken, dass es ein Jahrhundertthema ist."
    Die Menschen zum Nachdenken zu bringen
    Ein Aspekt, der auch in den Seminaren von Rolf Nobel ein Thema ist. Dem Professor für Reportagefotografie an der Hochschule Hannover ist zudem wichtig, dass die Studierenden mit ihrer Arbeit Stellung beziehen, auch mit neuen Blickwinkeln. In der Debatte um Flüchtlinge in Deutschland sähe er gern mal eine Fotoreportage aus dem Inneren der Flüchtlingsheime. Mit Menschen, die erzählen, wie es sich anfühlt, in der Fremde eine neue Existenz aufzubauen – als Denkanstoß für die gesellschaftliche Debatte.
    "Ich bin ziemlich sicher, dass das denjenigen mehr Stoff geben würde, die sagen: Flucht ist kein Vergnügen. Und das würde gerade die Argumentation konterkarieren, die zum Beispiel von den Pegida-Leuten immer wieder angeschoben wird, die so tun, als würden die Flüchtlinge hier in Deutschland im Paradies leben."
    Rolf Nobel ist Fotograf geworden, um die Menschen zum Nachdenken zu bringen und ihnen ein Verantwortungsgefühl abzuringen. So wie es Espen Rasmussen mit seinem preisgekrönten Bild von einer Ankunft von Flüchtlingen in Griechenland macht: Wasser, Land und Himmel, ein Schlauchboot vor weitem Horizont, nur die Bugwellen weisen gen Europa – und am Ufer reißen Helfer zur Begrüßung freudig die Hände hoch. Überschrift: Willkommen nach Europa.