Freitag, 19. April 2024

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Francesco Tristano
Zwischen Techno-Club und Konzertsaal

Francesco Tristano brachte Anfang September eine Piano-Solo-CD heraus, kurz darauf trat er mit Techno-Produzent Moritz von Oswald auf. Wenn elektronische Musik die letzte vom Menschen erfundene Musik sei, dann müsse er einfach dabei sein, sagte der gebürtige Luxemburger im Deutschlandfunk.

Francesco Tristano im Corsogespräch mit Fabian Elsäßer | 04.11.2017
    Francesco Tristano spielt mit dem Deutschen Kammerorchester Berlin seine neue Kompostiton Neihou (Uraufführung) bei Driven by Music- im DRIVE.Volkswagen Group Forum Berlin.
    "Mein erster Impuls in der Musik ist immer der Rhythmus", sagte Francesco Tristano im Dlf. Das gelte sowohl für akustische wie elektronische Musik (imago stock&people/Agentur Baganz)
    Fabian Elsäßer: Neo-Klassik oder Post-Klassik oder zeitgenössische Klassik? Was machen sie denn nun eigentlich, diese jungen bis mittelalten Komponisten wie Hauschka, Max Richter, Francesco Tristano, die allesamt gerne in eine dieser Schubladen sortiert werden? Die meisten von ihnen sind klassisch ausgebildete Pianisten, sie komponieren für Orchester, schreiben Solo-Werke, die selbst aufführen oder Soundtracks, liebäugeln mit elektronischer Tanzmusik oder Hip-Hop - vielleicht ist es das, was sie alle verbindet: stilistisch und gedanklich weltoffen zu sein, sich im Konzerthaus ebenso zuhause wie in einem alternativen Club fühlen zu können, und sich selbst und die ganze aufführungspraktische Historie nicht zu ernst zu nehmen.
    Francesco Tristano zum Beispiel: Der Luxemburger hat Klavier studiert, - in Anführungszeichen - "Ernste Musik" aufgeführt und eingespielt, er war sogar Artist in Residence bei den Hamburger Symphonikern. Und er hatte immer Nebenprojekte, die U- und E-Grenzen überschreiten. Vor Anfang September hat er mit Chilly Gonzales zusammen ein sehr melodiebetontes Piano-Album aufgenommen: "Piano Circle Songs". Und erst vor zwei Wochen war er mit dem Minimal-Techno-Pionier Moritz von Oswald in der Kölner Philharmonie zu hören und zu sehen. Die beiden kennen sich schon lange und haben einiges gemeinsam produziert, vor sieben Jahren sogar Bach und Cage-Aufnahmen für die Deutsche Grammophon - das war wohl das erste Mal überhaupt, dass ein Elektro-Produzent akustische Hochkultur-Musik aufnimmt.
    "Wir haben alles anders gemacht"
    Ich habe Francesco Tristano kurz vor dem Auftritt in Köln getroffen und ich wollte erst mal von ihm wissen, was denn eigentlich das Besondere an dieser Zusammenarbeit zwischen ihm von Oswald ist und war. Auch bei der Arbeit für die deutsche Grammophon …
    Francesco Tristano: Wir haben alles anders gemacht. Das heißt: Es ist gar keine klassische Platte im klassischen Sinne. Ich glaube, die Leute im Studio haben auch ein bisschen halluziniert, als sie uns gesehen haben bei der Arbeit, wie wir die Mikrofone aufgestellt haben - teilweise die Mikrofone ins Klavier, unter den Flügel unter den Tasten. Eigentlich absolut wie eine Pop-Produktion, nicht, was man unter einem klassischen Sound versteht. Dabei muss ich sagen: Ich verstehe eigentlich nichts unter einem klassischen Sound. Es sei denn, man bezeichnet einen klassischen Sound als den 50er-Jahre-Sound, der eigentlich noch immer ein bisschen aktuell ist. Aber für mich geht es in erster Linie darum, dem Zuhörer, dem Publikum den eindruck zu geben, dass sie im Klavier sitzen - das heißt, eine sehr intime und vielleicht auch ungewohnte Erfahrung auf dem Klavier. Weil man halt nicht unbedingt im Raum sitzt, sondern quasi im Resonanzboden die ganzen Vibrationen mitbekommt. Und das war auch das selbe Credo jetzt für meine letzte Aufnehme, die "Piano Circle Songs", wo wir ganz besonders auf einen grandiosen, virtuosen Piano-Sound verzichtet haben, sondern wirklich darauf bestanden haben, den Sound so dringlich und intim wie möglich zu erzeugen.
    Elsäßer: Das Virtuose, hätte ich immer gedacht, kommt haus den den Fingern. Kommt das wirklich auch aus dem Klavier? Also gibt es einen virtuosen Sound, wie Sie gerade sagten? Und was macht den aus?
    Tristano: Also Virtuosität gibt es, glaube ich, auf vielen Ebenen. Es ist nicht ein Aspekt, der mich besonders interessiert, muss ich sagen. Aber wenn ich sage "virtuoser Sound", dann heißt das in meinem Verständnis: ein Sound, der mir persönlich schnell auf die Nerven geht. Das heißt: ein Sound, wo die Räumlichkeit quasi wichtiger ist als der Anschlag. Das heißt, der Sound ist eine Art Widerspiegelung vom Saal und nicht vom Instrument. Nun ist es aber so, dass das Klavier den Saal braucht, um zu atmen, um zu leben. Das Klavier klingt nicht ohne eine Akustik. Aber die Akustik kann man ja auch im Studio künstlich erzeugen. Ich sage nicht, dass das besser ist, aber man kann es wenigstens kontrollieren. In einem Saal hat man den Hall, und der ist auf der Aufnahme, den kriegt man nicht mehr raus. Im Studio kann man Mikrofone auf verschiedenen Distanzen platzieren und hat dann auch die Wahl, den Sound wirklich zu skulptieren. Und das ist im Pop-Rock-Bereich Gang und Gäbe, auch im elektronischen Bereich. Aber in der Klassik hat es das, glaube ich, vor sechs Jahren noch nicht gegeben.
    "Das Klavier war immer schon ein bisschen ein Instrument aus der Zukunft"
    Elsäßer: Was interessiert Sie oder was berührt Sie eigentlich so an Techno? Sie haben ja auch mal Techno-Sachen für Klavier gemacht und Sie haben mit Ihrer Band Aufgang ja so eine Mischform gefunden. So ein bisschen eigentlich wie Brandt Brauer Frick es dann auch heute machen: perkussiv, aber trotzdem auch sehr heiter, wie ich finde. Techno, würde ich sagen, ist ja erst einmal wesentlich schlichter als das, was Sie gelernt haben und was Sie auch sonst so machen.
    Tristano: Naja. Ich meine, wenn man davon ausgeht, dass die elektronische Musik die letzte Musikform oder letzte Musikrichtung ist, die der Mensch erfunden hat oder entwickelt hat, dann muss ich dabei sein, weil mich interessiert nichts mehr als die zeitgenössische Musik. Das elektronische Instrument ist eigentlich eine Kontinuität der akustischen Instrumente. Also insofern ist die Musik auch eine Kontinuität des alten Repertoires. Ich bin immer der Meinung gewesen, dass die Technologie auch in der klassischen Musik eine wesentliche Rolle gespielt hat. Bach zum Beispiel war ein Gear Freak. Das muss man mal so sagen. Er war super interessiert an Orgelbau, an der neuesten Technik, wie man eine Orgel baut und eine Orgel stimmt. Und das hat man dann zum Beispiel im Repertoire, wenn Ende des 18. Jahrhunderts Haydn zum ersten Mal ein Pedal in die Partitur schreibt. Warum schreibt er es herein? Er hat ein Klavier mit einem Pedal, das gab es davor nicht. Als Beethoven seine Tempi mit Mälzels Metronom schreibt, MM, das war neu. Das Metronom war ein neues Instrument, das war ein neues Werkzeug für den Komponisten. Klavier, muss ich sagen, war immer schon ein bisschen ein Instrument aus der Zukunft gewesen. Weil: Als es zum ersten mal erschienen ist, ca. 1742, war das unfassbar für die Komponisten. Aber es ist, glaube ich, ein Fehler, zu denken, dass der Flügel, so wie wir ihn heute kennen, der Flügel ist, den es auch vor 200 Jahren gab. Das ist nicht wahr.
    "Mich interessiert hauptsächlich das Rhythmische, das Pulsierende"
    Elsäßer: Aber trotzdem noch einmal, Sie haben nicht ganz die Frage beantwortet: Also was ist das, was Sie anrührt an Techno, was Sie da berührt?
    Tristano: Das Gleiche wie in der akustischen Musik. Das heißt: Es ist eine Musik, die auf sehr wesentliche, sagen wir minimale, ritualistische Qualitäten der Menschlichkeit zieht. Mich interessiert hauptsächlich das Rhythmische, das Pulsierende. Und was mich dann auch, sagen wir, spezifischer interessiert, das sind die Strukturen, die minimalistischen Strukturen. Minimalismus ist nichts Neues. Also das gibt es alles schon seit den ersten afrikanischen Tribus, die den Rhythmus und den Tanz als ganz basale Form des menschlichen Ausdrucks gebraucht haben.
    Francesco Tristano zeigt seine andere Seite und legt Platten auf
    Der Pianist, Komponist und Produzent Francesco Tristano hat ein unverkrampftes Verhältnis zu elektronischer Tanzmusik (imago/VIADATA )
    Elsäßer: Trotzdem habe ich den Eindruck, wenn ich jetzt zum Beispiel Hauschkas Arbeit ansehe, natürlich auch durch das präparierte Klavier, das ist wahnsinnig rhythmisch, auch unglaublich repetitiv. Und das höre ich bei Ihnen nicht, gerade wenn ich mir die neuen "Piano Circle Songs" anhöre mit Chilly Ganzales. Ich finde, Ihre Musik fließt auch immer, also hat für mich etwas Gefühlvolleres, vielleicht auch Romantischeres.
    Tristano: Also ich muss sagen, mein erster Impuls in der Musik ist immer der Rhythmus. "Piano Circles Songs" ist für mich eine radikale Arbeit, in dem Sinne, dass es eine melodische Platte ist. Ich habe mich wirklich gezwungen, das war eine Herausforderung, auch von meiner Comfort Zone, von dem Groove, von dem Rhythmus einmal ein bisschen Abstand zu nehmen und Melodien zu schreiben. Es war nicht einfach. Aber ich habe gute Assistenten. Meine Kinder haben mir sehr viel geholfen bei der Arbeit, haben mich auch sehr viel inspiriert, eine melodischere Musik, eine zärtlichere Musik, etwas Intimeres zu schreiben. Die sind viereinhalb, zwei und drei Wochen alt. Aber ich denke, dass ich die "Circle Songs" schon ein paar Jahre in mir hatte und es hat dann ein bisschen gebraucht, bis sie auf eine Platte kamen sozusagen.
    "Das Orchester, ich liebe es! Es ist ein wildes Tier, das man irgendwie domptieren muss"
    Elsäßer: Was ich wirklich spannend finde und was Sie auch von vielen anderen, sagen wir mal, zeitgenössischen Pianisten, die sich auch mit elektronischer Musik befassen, unterscheidet, ist, dass Sie ein Virtuose sind. Also Sie sind klassisch ausgebildeter Pianist, Sie waren Artist in Residence der Hamburger Symphoniker. Das wird man nicht eben so. Aber reizt Sie das überhaupt noch, noch einmal so etwas wie "Goldberg-Variationen" aufzuführen? Oder ist das für Sie vorbei und jetzt sind Sie wirklich eher in der Position eines komponierenden Pianisten, eines aufführenden Pianisten?
    Tristano: Also, Bach zu spielen, interessiert mich absolut. Ich werde wahrscheinlich immer Bach spielen. Das brauche ich. Was mich eigentlich freuen würde, ist, dass, wenn ich die andere Musik spiele, dass man nicht immer sagt: Okay, das ist der klassisch Ausgebildete. Das ist ja eigentlich egal. Das macht mich nicht wertvoller als einen anderen. Das macht mich nicht wertvoller als einen Hauschka oder als wer auch immer. Das ist dann vielleicht ein "edit value", was ich dann am Klavier machen kann, aber muss nicht immer in die Beschreibung passen.
    Elsäßer: Reizt Sie das Orchestrale überhaupt nicht? Also zum Beispiel wirklich noch einmal mit Orchester zu komponieren oder vielleicht zu dirigieren?
    Tristano: Ja ja, mache ich. Ich habe vor zwei Jahren mein eigenes Klavierkonzert geschrieben. Es heißt "Island Nation" und es ist eine große, große Freude, mich Orchester zu spielen. Also Orchester ist ja eigentlich so eine Art "dying animal". In subventionierten Stätten gibt es viel Orchester, in nicht-subventionierten Stätten gibt es sehr wenige Orchester. Die sterben alle ab. Das wird jedes Jahr weniger und die Privatsponsoren sterben auch ab. Also das ist sehr kompliziert. Das ist eine sehr komplizierte Maschine, das Orchester, aber ich liebe es! Es ist ein wildes Tier, das man irgendwie domptieren muss. Und ich habe auch sehr viel gelernt, auch von der Orchestration her, wie man für ein Orchester schreibt. Und das Interessante, was meine Arbeit, meine Partitur angeht, das ist auch sehr frei. Das heißt, ich habe es "Free Piano Concerto" genannt, in dem Sinne, dass der Dirigent eine strenge Partitur hat, die er dirigiert, das Orchester durch die Partitur leitet, und ich quasi total frei on top spiele. Das ist sozusagen mein jazziger Approach zur Orchestermusik.
    "Ich habe sehr viel Glück gehabt, ein Luxemburger zu sein"
    Elsäßer: Eine Frage noch - fällt mir gerade so ein -, was Sie gerade sagten, subventioniert: Wie sieht es mit der luxemburgischen Kulturförderung so im Musikbereich aus? Also so etwas wie die Rock Hall zum Beispiel finde ich faszinierend. Das ist ja eine öffentlich geförderte Veranstaltungshalle im Großen und Ganzen. So etwas haben wir in Deutschland wiederum nicht. Nur eben im E-Bereich. Also wie, würden Sie sagen, ist die Musiklandschaft in Luxemburg so von der Förderung, also gerade auch für Talente wie Sie eines waren?
    Tristano: Also für mich war das absolut wesentlich. Ich habe sehr viel Glück gehabt, ein Luxemburger zu sein. Nicht, in Luxemburg Luxemburger zu sein, sondern einfach, Luxemburger zu sein. Man hat in mir ein Talent erkannt, das hat man auch sehr schnell gefördert und subventioniert. Ich wurde mit staatlichen Mitteln nach New York geschickt und die Kosten meiner Schule wurden teilweise, denn die Juilliard School ist nicht billig … Luxemburg ist ein kleines Land und wir wissen: Small is beautiful. Die Kultur steht in vielen Ländern politisch nicht mehr auf dem Programm, weil es einfach kein Geld mehr gibt. In Luxemburg ist das noch der Fall. Die Frage ist: Wie lange geht das noch? Denn es sind komische Zeiten. Man weiß nicht, was jetzt kommt. Europa, die Europäische Union, es gibt wieder sehr viel Nationalismus. Also ich habe mit Nationalismus nichts am Hut. Ich glaube, dass die Probleme der Menschheit im Rahmen der Staaten nicht mehr lösbar sind. Aber das ist nur meine persönliche Art und Weise, dass ich mich auch von der ganzen Politik befreien kann. Aber Musik ist grenzenlos. Und ich möchte mir auch eine ideale Welt vorstellen, wo es keine Grenzen mehr gibt und nicht noch mehr Grenzen, was die letzte Tendenz ist, eigentlich wieder mehr Grenzen zu schaffen.
    Elsäßer: Herzlichen Dank.
    Tristano: Danke dir.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Francesco Tristano: "Piano Circle Songs" ist bei Sony Classical Records erschienen.