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"François Hollande ist der klare Favorit"

François Hollande liege nach den Umfragen deutlich vorne, sagt der stellvertretende Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, Professor, Henrik Uterwedde. Es müsse einiges geschehen, damit Nicolas Sarkozy diesen Rückstand wieder aufholen könne.

Henrik Uterwedde im Gespräch mit Christoph Heinemann | 20.04.2012
    Christoph Heinemann: Offiziell ist Nicolas Sarkozy gegenwärtig ein scheidender Präsident, auch wenn er gerade das verhindern möchte, dass nämlich die Möbelwagen demnächst seinen Hausrat aus dem Élysée-Palast abtransportieren. Am Sonntag entscheiden die Bürgerinnen und Bürger in unserem wichtigsten europäischen Partnerland im ersten Versuch über den künftigen politischen Kurs ihres Landes. Die zweite Runde der Präsidentschaftswahl findet am 6. Mai statt.
    Frankreichs Präsidentschaftswahlen – das Kandidatenfeld (MP3-Audio) Ursula Welter, unsere Frankreich-Korrespondentin, berichtete und zum Schluss hörten wir den Politologen Alfred Grosser. Ihm hat Ursula Welter die Frage gestellt, wer wird gewinnen, und die stellen wir jetzt an Professor Henrik Uterwedde, den stellvertretenden Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. guten Tag erst mal.

    Henrik Uterwedde: Ja guten Tag! – Wer wird gewinnen?

    Heinemann: Ja!

    Uterwedde: Also François Hollande ist der klare Favorit. Auch die letzten Meinungsumfragen machen das sehr deutlich bis gestern. Trotzdem hat Alfred Grosser Recht: Es gibt natürlich letzte Unwägbarkeiten, wie hoch ist die Wahlbeteiligung, wie werden sich vielleicht in letzter Minute sozusagen zwischen den unverbindlichen Meinungsumfragen und an der Wahlurne die Franzosen entscheiden. Insofern wird man erst am Abend des Sonntags etwas genauere Aufschlüsse haben. Ich würde trotzdemFrançois Hollande doch als Favorit dieser Wahl sehen, weil es gibt kaum eine Umfrage, die ihn nicht relativ mehr oder minder deutlich vorne sieht. Da müsste schon einiges passieren und einiges zusammenkommen, dass Sarkozy diesen Rückstand wieder aufholen könnte.

    Heinemann: "Wechsel jetzt" plakatiert Hollande. Was will der Mann?

    Uterwedde: Nun, er steht im Grunde genommen für eine sozialdemokratische, gemäßigte sozialdemokratische Politik. Er weiß genau, dass sein Spielraum eng ist, dass die finanziellen Spielräume eng sind. Beide, Sarkozy und Hollande, wollen zum Beispiel die öffentlichen Defizite herunterfahren. Sie unterscheiden sich allerdings in der Verteilungspolitik, und hier setzt Hollande eigentlich eher klassisch sozialdemokratische Elemente. Er will eine Reichensteuer in der Einkommenssteuer schaffen, er will die großen Unternehmen stärker besteuern, er will an Steuerschlupflöcher und unsinnige Steuergeschenke heran, mit denen Sarkozy teilweise reiche Gönner und Freunde bedacht hatte, und er will eben auch Zeichen setzen für jugendliche Arbeitslose und in der Beschäftigungspolitik.

    Das ist eigentlich so etwas, was man von einer klassisch sozialdemokratischen Partei oder auch von einem Kandidaten erwarten kann, während Sarkozy stärker in letzter Zeit mal so den Schröder gibt, sage ich mal, sein Fable für Strukturreformen, schwierige Entscheidungen entdeckt hat. Gut, sein politischer Mut war nicht immer so groß in den letzten fünf Jahren, deswegen kann man ihm da sehr, sehr leicht vorhalten, dass er seine Versprechen, jetzt strukturelle Reformen durchzuführen, nicht immer eingehalten hat. Aber da ist so ein bisschen klassisch der Gegensatz Mitte-Links und Mitte-Rechts ähnlich wie bei uns CDU und SPD, also SPD und CDU.

    Heinemann: Und Sarkozy hatte ja Gerhard Schröder jüngst sogar im Élysée-Palast empfangen. – Überraschend, Herr Uterwedde, ist der Erfolg - jedenfalls in den Umfragen - des Linksradikalen Jean-Luc Mélenchon. Wir haben ihn eben gehört im Bericht von Ursula Welter. Er wird voraussichtlich nicht Präsident werden, aber Sie sprachen ja gerade von Spielräumen und von engen Spielräumen. Welche Zugeständnisse wird François Hollande, der Kandidat der Sozialisten, für dessen Unterstützung, für die Unterstützung des Linksradikalen, machen müssen?

    Uterwedde: Ich denke, er wird auf jeden Fall auf die Wähler sehr achten müssen. Hollande hat ausgeschlossen, dass er mit irgendjemandem verhandelt zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang. Aber die Tatsache, dass Mélenchon es schafft, bis zu 15 Prozent der Wähler auf sich zu ziehen, übt natürlich einen Meinungsdruck aus auf François Hollande. Er wird diese Wähler brauchen, dringend nötig haben, um gewählt zu werden. Insofern hat Hollande auch schon reagiert. Diese etwas spektakuläre Ankündigung vor einigen Wochen, die Einkommenssteuer für Einkommen ab einer Million mit 75 Prozent zu besteuern, das ist deutlich so eine Antwort und ein linkes Symbolargument gewesen, das eben auch auf die Wähler von Mélenchon zielt.

    Heinemann: Herr Uterwedde, wo Front National draufsteht, steckt weiterhin Le Pen drin. Allerdings diesmal tritt ja die Tochter des Rechtsextremisten als Spitzenkandidatin an. Ist das nur ein neues Gesicht, oder erkennen Sie auch ein anderes Programm?

    Uterwedde: Das ist überwiegend alter Wein in einem neuen Schlauch, um es etwas unelegant zu sagen. Marine Le Pen hat die Partei entstaubt, hat also zum Beispiel Abstand genommen von den üblen, auch antisemitischen Vergleichen des Vaters, der Anleihen nimmt bei der Periode des Zweiten Weltkrieges, des Nationalsozialismus. Da ist sie deutlich moderner. Ihr Ziel ist es, schon im Grunde genommen den Front National zu einer Art nationalpopulistischen Partei zu machen, die eines Tages so respektabel wäre, dass sie eben auch als Koalitionspartner denkbar wäre. Aber in Wirklichkeit ist sie meilenweit davon entfernt, insofern ein sympathisches, dynamisches Gesicht, eine neue Verpackung für im Kern doch alte Inhalte.

    Heinemann: Sie haben eben gesagt, Sie sehen François Hollande am Ende vorne als Präsident. Wird dieser Urnengang als Wahl oder als Abwahl in die Geschichtsbücher eingehen?

    Uterwedde: Na das ist ja immer so, das ist auch in Deutschland so. In erster Linie ist es oft bei einem Regierungswechsel eine Abwahl der alten Regierung. Natürlich verbinden sich für manche Wähler auch durchaus Erwartungen an den Wechsel, an Hollande, aber wenn man mal die Meinungsumfragen, auch die Tiefenanalysen genauer liest, dann sieht man schon, dass es gewisse Skepsis gibt bei den Wählern. Nicht alle Franzosen glauben, dass es wirklich deutlich besser wird, wenn Francois Hollande an die Macht kommt. Die Franzosen wissen genau, dass die Spielräume sehr, sehr eng sind und dass in vielen Bereichen eben doch auch dem neuen Präsidenten die Hände gebunden sein werden. Trotzdem erwartet man sich in der Verteilungspolitik, in der Sozialpolitik, in der Wohnungsbaupolitik, in anderen Feldern schon einen Wandel, einen Wechsel und eine deutliche Politik zu Gunsten der sozialen Gerechtigkeit.

    Heinemann: ... , sagt Professor Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut. Danke schön und auf Wiederhören!

    Uterwedde: Bitte schön.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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