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Frank-Rutger Hausmann: Vom Strudel der Ereignisse verschlungen. Deutsche Romanistik im ‚Dritten Reich

In weit geringerem Maße als das Verhalten der Mediziner im Nationalsozialismus ist das der Vertreter geisteswissenschaftlicher Berufsgruppen erforscht. Im Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann hat Frank-Rutger Hausmann eine Studie über die Romanistik im Dritten Reich vorgelegt, von der unser Rezensent, Albrecht Betz, meint, sie sei exemplarisch auch für andere Fachbereiche.

Albrecht Betz | 17.12.2001
    In weit geringerem Maße als das Verhalten der Mediziner im Nationalsozialismus ist das der Vertreter geisteswissenschaftlicher Berufsgruppen erforscht. Im Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann hat Frank-Rutger Hausmann eine Studie über die Romanistik im Dritten Reich vorgelegt, von der unser Rezensent, Albrecht Betz, meint, sie sei exemplarisch auch für andere Fachbereiche.

    Es galt, die Fiktion von deutscher Hegemonie in Europa so lange als möglich aufrecht zu erhalten: Noch in den ersten Monaten des Jahres 1944 wurden - in Venedig und Marseille - deutsche Kultur- und Wissenschafts-Institute gegründet. Ihre Leiter und Mitarbeiter waren Romanisten, sicher glücklich mit einer so attraktiven Aufgabe - die zugleich einen Heldentod etwa an der Ostfront vermeiden half. Den hatte, 1942, Karl-Heinz Bremer erlitten, die Nummer zwei des Pariser "Institut allemand". Gleichsam entgegen gesetzt: der Fall Victor Klemperer. Seiner jüdischen Abkunft wegen war er 1935 amtenthoben worden. Ein Jahrzehnt lang überlebte er höchst gefährdet in Dresden, klammerte sich an sein Tagebuch, um einmal Zeugnis abzulegen von der Barbarei, und schließlich gelang ihm eine erstaunliche Nachkriegskarriere in der DDR. Zwischen diesen extremen Polen - offizieller Vertreter im Dienst der deutschen Kulturpolitik oder Ausschluss aus "rassischen Gründen" (er betraf 20 Prozent, ein Fünftel der Hochschulromanisten), bewegte sich das durchweg von Konservativen weiterhin konservativ betriebene philologische Fach im Dritten Reich. Wie sich dies gleichwohl mit unterschiedlich starkem und meist freiwilligem Arrangement mit dem NS-Wissenschaftssystem verband, hat Frank-Rutger Hausmann mit seiner Gesamtdarstellung der Romanistik in der braunen Epoche minutiös untersucht. Entstanden ist ein Referenzwerk, das als Modell für benachbarte Vorhaben gelten kann. Denn ein weithin ungebrochenes Kontinuitätsdenken und geringes Schuldbewusstsein zeichnete die Professorenschaft auch anderer Geisteswissenschaften aus und führte nach 1945 zu einer Restauration statt zu einer kritischen Aufarbeitung.

    Hausmann hat mit seiner großen Studie versucht, die Arbeit einer ganzen Forschungsequipe als Solist zu bewältigen. Den Leser überrascht - und überzeugt - die Fülle erstmals ausgewerteter Quellen und ihre Interpretationen, die zu einem durchweg gut lesbaren Panorama zusammentreten. Das konnte auch darum gelingen, weil die Romanistik bis 1945 ein wenn nicht schmales, so doch übersehbares Fach geblieben war. So kann deutlich gemacht werden, wie - ab 1933 - die bis dahin von der scientific community anerkannten wissenschaftlichen und ethischen Standards sich rasch auflösten und dass es aktiven Widerstand, mit der heroischen Ausnahme von Werner Krauss, nicht gegeben hat; selbst Krauss, der spätere bedeutende Aufklärungsforscher, kam ohne Scheinkonzessionen nicht aus. Worin bestand die Andienung an das Regime?

    Am krassesten erscheint sie in drei Bereichen. Neben der Übernahme des "offiziellen", pathetisch-verblasenen "Tonfalls" wurde die Kollaboration mit dem Regime vor allem in drei Bereichen deutlich: - im Versuch der Fundierung einer Sprach- und Literaturwissenschaft auf rassisch-biologischer Grundlage; - in der pseudohistorischen, auf Namens- und Wort-"Forschung" fußenden Begründung territorialer Ansprüche des "großdeutschen" Reichs (Burgund, Lothringen, Wallonien); - in der Beteiligung am "Kriegseinsatz der deutschen Geisteswissenschaften".

    Germanische Superiorität sollte, in befreundeten wie in besetzten Ländern, als nicht nur militärische und wirtschaftliche, sondern als kulturschöpferische überzeugend vermittelt werden: von Bukarest über Rom und Paris bis nach Madrid und Lissabon. Sympathiewerbung, Image-Pflege und Sprachförderung sollten die Loyalität der Verbündeten festigen helfen. Bereitwillig ließen sich Romanisten für solche Aufgaben der Repräsentation und der indirekten Propaganda instrumentalisieren. Gleichwohl war die Romanistik als Disziplin nie in jenem Maß in den Nationalsozialismus involviert wie etwa Medizin und Biologie, Jura und Geschichtswissenschaft. Es gab, vor allem für die etablierten älteren Professoren, wissenschaftliche Rückzugsbereiche, die geduldet wurden. Großordinarien blieben ohnehin unangreifbar, soweit sie Zurückhaltung übten, so Karl Vossler in München und Ernst Robert Curtisius in Bonn. Doch es gab hinreichend Fachvertreter, bei denen sich die Gefährdung in Ambivalenz und Opportunismus niederschlug. Gegen die Vertreibung ins Exil solch bedeutender Gelehrter wie Leo Spitzer und Erich Auerbach wurde nicht nur nicht protestiert, vielmehr wurde oft mit Genugtuung wahrgenommen, dass durch die Emigration jüdischer Romanisten Lehrstühle frei wurden.

    Hausmann hat knapp dreißig Romantische Seminare - von Königsberg bis Straßburg - durchleuchtet und die sowohl wissenschaftlichen wie wissenschaftspolitischen Aktivitäten von etwa hundert Protagonisten des Fachs studiert. Er hat das monographische und publizistische Schrifttum und die Politik der Zeitschriftenherausgeber, das Rezensions-, Kongress-Vortragswesen untersucht. Das Verhalten gegenüber Ministerien und Institutionen wird ebenso aus Akten, aus Dienst- und Privatkorrespondenzen rekonstruiert wie die Karrierestrategien, Rivalitäten und Geltungsansprüche der Fachvertreter. Den Titel seiner Geschichte der Romanistik im Dritten Reich hat Hausmann einem Brief Richard Alewyns an Hugo Friedrich entnommen, vom August 1933. Darin findet sich die Formel "vom Strudel der Ereignisse verschlungen..." Sie steht für alle späteren Selbststilisierungen zum Opfer.

    Albrecht Betz über Frank-Rutger Hausmann "Vom Strudel der Ereignisse verschlungen. Deutsche Romanistik im ‚Dritten Reich’". Der Band ist im Frankfurter Verlag Vittorio Klostermann erschienen, hat 741 Seiten und kostet DM 148,--.