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Frankfurt
Kleist "Penthesilea" klug inszeniert

Heinrich von Kleists Liebesdrama "Penthesilea" handelt von dem Konflikt eines Individuums mit der gesellschaftlichen Ordnung - derzeit in einer überraschenden und klugen Inszenierung von Michael Thalheimer in Frankfurt zu sehen. Hier findet die politische Aufklärung nicht auf den üblichen Projektionsflächen statt.

Von Cornelie Ueding | 05.12.2015
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (Hessen), aufgenommen am 09.12.2013.
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Gleich zu Beginn ein Bild, das im Zusammenhang mit diesem als kannibalisch und gewalttätig verrufenen Stück unerwartet ist: Ganz weit hinten, oben, an der Spitze des pfeilartig ansteigenden Bühnenpodests hält Penthesilea den toten Körper ihres Geliebten, Achill, wie die Madonna einer Pieta in den Armen: zerschunden. Blutüberströmt. So als wollte sie noch einmal die Stationen des unfassbaren Geschehens memorieren. Noch halb unter Schock, traumatisiert und zugleich hellsichtig. Was war da? Wer war sie? Doch schon entgleitet ihr der nackte Leichnam und rollt hart aufschlagend die steile Rampe hinunter - zurück in die Realität einer gleichermaßen makabren wie grausamen Episode des Trojanischen Krieges.
    Michael Thalheimers Inszenierung spielt auf des Messers Schneide - auf ihr balancieren nur drei Figuren: Penthesilea, Achill, die Oberpriesterin. Das Schlachtfeld, die verbissenen Kämpfe zwischen Trojanern, Griechen und dieser dritten, ganz und gar aus der Kriegslogik fallenden Streitmacht, dem Heer der Amazonen, finden nur in Berichten und in den Köpfen der Zuschauer statt. Doch die Besessenheit des Kampfes ist - als Nachhall - nahezu körperlich zu spüren: Denn all das Wüten findet auch in den Protagonisten selbst statt.
    Verunsichert, auftrumpfend, verstört, dominant: Achill. Unruhig, vibrierend, um Kontrolle bemüht, dann wieder jäh ausbrechend: Penthesilea. Penthesilea, die das System ihres streng durchrationalisierten, entindividualisierten Amazonenstaates, eines radikalen Frauenregimes, so sehr repräsentiert, dass sie nicht einmal bemerkt, dass sie bereits im Begriff ist, es zu verlassen. Sieg heißt die Doktrin. Keine Niederlage! Und gar um einen, den Einen zu kämpfen, ist inakzeptabel. Männer haben hier austauschbare Samenspender zu sein, nichts mehr: In diesem Staat der Frauen ist individuelle Liebe Sünde, ein Tabu. Wie aber soll eine, die nur zu kämpfen gelernt hat, dann Liebe zeigen? Sie kann es nur, indem sie das Objekt ihrer Liebe besonders vehement angreift und attackiert.
    Constanze Becker als Penthesilea
    Es ist beklemmend und anrührend zu sehen, wie sich Constanze Becker als Penthesilea immer wieder dazu zwingt, in der Spur zu bleiben. Wie sie - nur ganz selten die Furie und Megäre als die sie gesehen wird - eher träumerisch und sanft nach dem eigentlichen Ziel ihres obsessiven Kämpfens fahndet. Es ist ein besonderer Kunstgriff der Regie, dass auch ihr Text in dieser Aufführung verwoben ist mit den Stimmen der fordernden Amazonen, die in ihrem Kopf wispern und tuscheln: So macht Thalheimer ganz ohne besserwisserische Erklärungsversuche deutlich, wie perfekt und perfide radikale ideologische Systeme das Individuum steuern und selbst gegen die eigenen Gefühle und Bedürfnisse immunisieren.
    Josefin Platt als Oberpriesterin und ideologische Repräsentantin des Staates verkörpert diesen Druck, konspirativ und wohlwollend, tückisch und loyal zugleich. Penthesilea hat keine Chance, sich selbst auf die Schliche zu kommen. Ein kurzer, schwer erkämpfter Moment liebevoller, zärtlicher Zuwendung schlägt in wütenden Kampf um, als sie glaubt, in eine Falle gelockt und der eigenen Doktrin der Unbesiegbarkeit untreu geworden zu sein: so rabiat und rücksichtslos, so absurd und selbstzerstörerisch, dass Felix Rech als - ebenfalls sieg-orientierter - Achill fast ratlos versucht, ihr "diese Marotte" zu lassen und das Spiel der Unterwerfung zum Schein mitzuspielen.
    "Schrei. So fordere ich zum Kampf."
    Tödliche Klarsicht
    Eine fatale Idee. Denn Penthesilea's Welt kennt kein Sowohl-als–auch und kein So-tun–als–ob. Sie kann seinen Plan nicht verstehen - muss ihn töten. Doch sie tut mehr, sie löscht ihn aus - überschüttet ihn sanft mit Blut. Blut-Vergiftung. Kein Blutrausch, keine Paranoia, keine sadistische Triebaufwallung. Tödliche Klarsicht. Tödlich auch für sie selbst. Und tödlich für den Staat, dem es gelungen war, Menschen von sich selbst so weit weg zu erziehen, dass sie sich selbst verloren haben. Als stolze Amazonenkönigin war Penthesilea ein Reproduktionsautomat. Zum Individuum wird sie erst, nachdem sie alles verloren hat: Das präpariert diese minimalistisch blickscharfe und schnörkellos anrührende Interpretation wie unter einem Mikroskop für feinste Seelenschwingungen heraus: sprachgenau und bildkräftig zugleich. Der sanfte, fast stille Ausklang dieser klugen Aufführung sollte nicht als Flucht in eine längst ad absurdum geführte Idylle begriffen werden. Die politische Aufklärung findet freilich im Kopf des Zuschauers statt, nicht auf den üblich gewordenen Projektionsflächen.